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VERSTÄNDIGUNG, wie sie sein soll:

Sommer im Rhin-Havelluch

05.01.2023 - von Hartmut Jeromin

Also das Gegenteil von den nun wieder stattfindenden kriegerischen Spezial-Operationen. Ich frage mich immer wieder: Geht das auch anders oder muss das so sein. Es will sich mir nicht! Da können auch die vielen Propagandisten nichts dran ändern, es will sich nicht …

In einer Dezembersendung traten bei Andre Rieu auch farbige Ensembles auf mit so flotten, aber sehr alten Melodien und Rhythmen wie „My Bonie is over the Ocean…“ u.a. Das machte die Sendung vitaler und zeitgemäßer. Und das erinnerte mich an meine Sturm- und Drangzeit (Studium). Wir sangen im Sommer 1965 auf einem LKW eben dieses Lied. Zusammen mit anderen Menschen aus der halben Welt. Unwahrscheinlich? Das passt doch nicht in diese Zeit? Zumal dabei auch Menschen aus Ost und West mitsangen.

In den 1960iger Jahren erlebte ich das, in der DDR, im Sommer, im Rhin-Havelluch. Unsere Seminargruppe der PH-Potsdam wurde kurzfristig in ein Lager für Arbeit und Erholung abgeordnet. Nach Paaren im Glien. Warum gerade wir kann ich nicht mehr feststellen. Und ich kam auch etwas später dazu, alle anderen waren schon am Ort. Da waren Baracken mit Küche u.s.w. Mit Mittelgang, Stuben links und rechts. Dort also traf ich auf meine Leute und dazu auf die anderen: Das waren junge und auch ältere Menschen aus dem Westen, ja aus aller Welt. Aus Belgien, Frankreich, Amerika, Jugoslawien, UDSSR, Polen, Tschechien, Marokko, England … sie machten sich bekannt mit einem postkartengroßen Bild, darauf mindestens das Wort PAX und auch ein Spaten war abgebildet. Also Delegationen aus Ost und West.

Sie sollten gemeinsam da arbeiten, im Luch, mit Spaten im Moor, Gräben ausheben. Und das taten sie auch. Zur Verfügung stand ein LKW zur Personenbeförderung. Auch ein Fachmann für Melioration stand bereit. Sicher etliche von der Sicherheit. Ansonsten Gummistiefel und Lagerbedingungen. Zu essen bekamen wir das übliche, alle das gleiche. Besonders Tomaten waren reichlich im Angebot. Wir fuhren also gemeinsam mit dem Lastwagen ins Luch, bekamen da unsere Aufgaben erklärt und machten los. Hier zeigte sich der Sinn unseres Dabeiseins: Unsere Seminargruppe war eine B-Gruppe, also mit schnellem Studienverlauf. Wir hatten alle schon einen Beruf. Ich z.B. den eines Gärtners. Ein Spaten war für mich also nichts Fremdes. Die parallelen A-Gruppen mit Normalabitur waren mit solchen Fähigkeiten nicht gesegnet, deshalb wir.
Ich muss auch zugeben dass mir Text und Melodien unserer Gesänge unbekannt waren, das kulturelle Niveau der Teilnehmer differierte wohl beträchtlich. Aber gesungen haben wir bei den Fahrten zur Arbeit, freiwillig! Hin und zurück.

Ich erinnere mich an den Leiter der westlichen Delegation, einen Pfarrer Ch. aus Frankreich, schon etwas älter. An M. aus Marokko, der aß so gerne Tomaten mit viel Zwiebeln. An den Professor B. aus Gent in Belgien mit Sohn. Und an zwei Amerikanerinnen, die unbedingt ihre indischen Saris zeigen wollten. An die ewig turtelnden Franzosen, an die dünnen langen Engländer. Und, und, und. Natürlich auch an Truda aus Ostrawa. Mit der bin ich balzend um einen kleinen Badesee gejoggt und auch sonst waren wir einander gewogen. Wir waren jung!

Nachtwachen wurden eingeteilt. Einmal war auch ich dran: Vorne in der Baracke schlief und schnarchte der Pfarrer, nicht zu überhören, hinten in Küchennähe schnarchten einige Schweine, auch nicht zu überhören. Man machte also die Runde von Schnarcher zu Schnarchern, bis zur Ablösung.
Im Wesentlichen arbeiteten wir, bei hochsommerlichen Temperaturen. Schatten war nicht. In den Pausen wurde sich unterhalten. Über alles. Gut, unsere „Experten“ agitierten, besonders A.L. Der wollte alle sofort für den Sozialismus begeistern, das lag ihm oder war seine Aufgabe da. Manchmal konnten auch andere Meinungen vertreten werden. Die Westlichen agierten sehr viel zurückhaltender. In der Freizeit vor allem wieder Badesee am nördlichen Berliner Autobahnring.

Vorzeitig reisten ab die Jugoslawen, in ihrer Heimat hatte die Erde gebebt. Die Polen auch, sie hatten zwei linke Hände, sie hielten die Arbeit nicht aus. Und auch die Russen nach einem kleinen Krach, weil sie im Lager nicht die erste Geige spielen konnten. Sie protestierten mit vorzeitiger Abreise. Aber ansonsten Friede, Freude, Eierkuchen und Gesang!

Am Ende stand eine Besichtigung von Potsdam an, ich machte den Fremdenführer. Zwei Fotos zeugen davon. Und im Laufe der Restferien verarbeitete ich Fotos zu Postkarten und schickte sie den Teilnehmern, Adressen hatten wir ausgetauscht. Manche antworteten noch. So auch der Professor M.B. So sagt es mir seine Widmung in einem Buch, mit vollständiger Adresse.

Geblieben sind die Erinnerungen an diese Sommertage, an unsere Gesänge, an das freundliche Miteinander. In den Gräben fließt heute noch Wasser. Obwohl die Welt damals rundum in Flammen stand, von 1945 bis heute musste ich in keinen Krieg ziehen. Ob das auch durch unser zeitweiliges Zusammenleben bewirkt wurde? Vorstellen kann ich mir einen solchen Zusammenhang durchaus. Die Friedensbewegten hatten ihren Anteil daran.

Geblieben ist mir auch die Erinnerung an Truda M. Wir konnten uns noch einmal treffen danach, in Prag. Wie man aber solche Sachen dauerhafter gestalten hätte können, dazu fehlten mir Kenntnisse und Erfahrungen. Da passte selbst in unserem Teil der Welt nichts richtig zusammen.

Und so wurde auch Truda Geschichte, zum Bedauern von Hartmut Jeromin. Dem gehen aber manchmal bei Gelegenheit diese Gesänge durchs Gemüt und er stellt sich vor, in der Ukraine würde auch wieder gesungen, zusammen mit Russen, gar noch mit anderen Nationen!

Quelle: Hartmut Jeromin