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Gut beraten? Zur Rolle der Zivilgesellschaft in Sachverständigengremien

Foto: H.S.

23.02.2023 - von Oto Brenner-Institut

- Mehr als 300 ExpertInnengremien (!) beraten in der Bundespolitik, wichtige Informationen über ihre Mitglieder liegen jedoch kaum vor
- Die Otto Brenner Stiftungs-Studie analysiert erstmals systematisch die Profile der Sachverständigengremien. wissenschaftliche Befunde identifizieren Defizite in der Zusammensetzung und konstatieren Intransparenz bei der Berufung
- InteressenvertreterInnen aus der Wirtschaft sind überrepräsentiert und wissenschaftlichen BeraterInnen fast gleichgestellt
- Gemeinwohlorientierte Akteure der Zivilgesellschaft bleiben hingegen unterrepräsentiert +++ Verfahren für die Berufung in Gremien sind nicht formalisiert und kaum nachvollziehbar +++

Nur 14 Prozent der in die Politikberatungsgremien auf Bundesebene berufenen Mitglieder sind gemeinwohlorientierte Akteure aus zivilgesellschaftlichen Organisationen. Gegenüber VertreterInnen wirtschaftlicher Interessen bleiben sie stark unterrepräsentiert, die Gefahr einer systematischen Verzerrung der ExpertInnenvorschläge an die Politik wird so begünstigt. Das ist ein zentrales Ergebnis der Studie „Gut beraten? Zur Rolle der Zivilgesellschaft in Sachverständigengremien“, die die Otto Brenner Stiftung heute veröffentlicht.

Die Autorinnen der innovativen Untersuchung, Siri Hummel und Laura Pfirter vom Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft, haben erstmalig die Zusammensetzung der mehrere hundert Gremien starken Beratungslandschaft auf Bundesebene analysiert – und zeigen sich vom Ergebnis überrascht:

„Dass WirtschaftsvertreterInnen 29 Prozent aller Gremienmitglieder stellen und damit fast so häufig als ExpertInnen geladen werden wie WissenschaftlerInnen, die ein Drittel der Gremien besetzen, war so nicht zu erwarten“, konstatiert Sozialwissenschaftlerin Laura Pfirter.
Schließlich sei, neben der Bereitstellung von Expertise, immer wieder auch die Einbeziehung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen ein erklärtes Ziel der einberufenden Politik. „Angesichts der marginalen Vertretung gemeinwohlorientierter Perspektiven aus der Zivilgesellschaft, die auch noch schwächer vertreten sind als behördliche und politische Akteure, kann dieses Ziel nur als gescheitert bezeichnet werden“, bilanziert Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung. Allerdings gibt es auch Unterschiede zwischen den Gremien, abhängig von der ministeriellen Zuständigkeit: Eine vergleichsweise gute Einbindung gemeinwohlorientierter Belange kann die Studie für `klassische` Themenfeldern der Zivilgesellschaft nachweisen, etwa in der Wohlfahrts-, Familien- oder Entwicklungspolitik. Kaum Gehör finden die zivilgesellschaftlichen Belange hingegen in den Gremien der Finanz-, Wirtschafts- und Justizministerien.

Auch in der Zusammensetzung der eingeladenen zivilgesellschaftlichen RepräsentantInnen konstatieren die Forscherinnen eine systematische Unwucht. Die Zivilgesellschaft wird meist durch Großorganisationen (Kirchen, Wohlfahrts- und Naturschutzverbände, Gewerkschaften) vertreten. Dies werde nicht nur dem fortschreitenden Pluralismus in der Gesellschaft nicht gerecht, bilanziert die Untersuchung, sondern zeige auch „ein fehlendes Verständnis für die Vielfältigkeit der Zivilgesellschaft vonseiten der Politik“.

Einen Grund für die Vorherrschaft der „üblichen Verdächtigen“ sei das Fehlen offizieller Verfahrensweisen und Kriterien für die Besetzung der Gremien, erklärt Autorin Siri Hummel, stellvertretende Direktorin des Maecenata Institut. Zusätzlich gäbe es die deutsche Besonderheit, dass zwar Verbänden in gesetzlichen Vorgaben oder Geschäftsordnungen ein privilegierter Zugang zum politischen System garantiert wird, aber: „Der Verbandsbegriff ist rechtlich und wissenschaftlich nicht klar definiert – es bleibt also weiterhin unklar, wer eingebunden werden muss“, so Hummel weiter. Sie appelliert an die politisch Verantwortlichen, hier dringend nachzuschärfen, für Klarheit zu sorgen und Deutlichkeit herzustellen.

Einen weiteren Punkt betont das Autorinnenduo mit Nachdruck: Während ihrer Recherchen stellte sich auch heraus, dass erhebliche Unterschiede bezüglich der Transparenz (!) in der Beratungsarbeit bestehen. Häufig war es ihnen trotz aufwendiger Eigenrecherchen nicht möglich, Informationen über die Gremien und ihre Mitglieder zu gewinnen; Auskunftsersuche diesbezüglich von Privatpersonen oder auch zivilgesellschaftlichen Organisationen wurden durch die zuständigen Ministerien mitunter sogar verweigert. „Der begrüßungswerte Anspruch der Ampelkoalition, ein transparenteres Regierungshandeln zu praktizieren, wird sich auch daran messen lassen müssen, ob diese austernähnliche Verschlossenheit aufgebrochen wird und die gepflegte Intransparenz überwunden werden kann“, resümiert Jupp Legrand.

Siri Hummel/Laura Pfirter: Gut beraten? Zur Rolle der Zivilgesellschaft in Sachverständigengremien; OBS-Arbeitspapier 57; Frankfurt am Main, im Februar 2023

PDF der Studie unter: Link

Quelle: Otto Brenner, Pressemitteilung, 22. Februar 2023