Foto: H.S.
25.02.2023 - von Ralf Richter
Die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen es auf erschreckende Weise: Studierende sind in Deutschland überproportional armutsgefährdet. Waren 2021 insgesamt 15,8 Prozent der Bevölkerung in der Bundesrepublik von Armut bedroht, so lag die Zahl unter den rund 2,9 Mio. Studierenden bei 37,9 Prozent.
An diesem Befund wird auch die deutliche Erhöhung des BAföG-Höchstsatzes, die zum Wintersemester 2022/23 einsetzte, nichts ändern. Denn inzwischen hat die Inflation diese Erhöhung vollständig aufgefressen. Mehr noch, die Explosion der Mietpreise in den urbanen Ballungszentren – also dort, wo die meisten Hochschulen ihre Standorte haben – treibt das Armutsrisiko für Studierende weiter in die Höhe. So liegt die Armutsgefährdung bei Studierenden, die allein oder ausschließlich mit anderen Studierenden zusammenleben gar bei 76,1 Prozent. Die Situation dürfte sich weiter zuspitzen. Denn noch immer ist die im dritten Entlastungspaket der Bundesregierung angekündigte einmalige Energiepreispauschale von 200 Euro bei den Studierenden nicht angekommen.
Hinzu kommen die Langzeitwirkungen der Corona-Pandemie, deren gesamtes Ausmaß wir noch nicht übersehen. Die Isolation der letzten Semester hat viele Studierende gesundheitlich beeinträchtigt und wird sich auch nicht mit der Rückkehr in die Hörsäle verflüchtigen.
Dass unter diesen Bedingungen Abiturient*innen überlegen, ob sie überhaupt noch ein Studium aufnehmen sollen und viele Studierende über einen Abbruch des Studiums nachdenken bzw. ihr Studium nach Erwerb des Bachelors nicht fortsetzen wollen, darf niemanden überraschen. Dies trifft insbesondere für die jungen Menschen zu, die aus sozial benachteiligten Familien kommen. Denn sie verfügen über keine Netze, die sie in Risikosituationen auffangen können. Damit verschärft die aktuelle Krise massiv das Problem der mangelnden Chancengleichheit im Bildungsbereich.
Als gewerkschaftliches Begabtenförderungswerk leisten wir einen konkreten Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit. Doch um die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden zu verbessern, braucht es umfassende Initiativen der Politik: Es bedarf einer grundlegenden und nachhaltigen BAföG-Reform sowie eines massiven Ausbaus bezahlbaren Wohnraums für Studierende. Dies wäre nicht nur ein wesentlicher Beitrag zu mehr Chancengleichheit in unserem Bildungssystem, sondern auch ein substanzieller Beitrag zur Sicherung des Innovationsstandorts Deutschland, dessen wichtigste Ressource die Talente in unserer Gesellschaft sind.
Ralf Richter ist der Leiter der Studienförderung der Hans-Böckler-Stiftung.
Weitere Artikel, nach dem Datum ihres Erscheinens geordnet, zum Thema
Uni & Co.:
05.02.2023: Diskriminierungschutz an der Universität Greifswald – mehr Schein als Sein
13.01.2023: Kassel: Tempo machen bei Entfristung der Beschäftigten der Uni Kassel
20.12.2022: 200-Euro-Hilfe für Studierende wird wohl frühestens im März ausgezahlt
Alle Artikel zum Thema
Uni & Co.