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16.10.2024 - von Hanne Schweitzer
Die hierzulande geltenden Regeln zum Schutz vor Diskriminierungen wegen des Geschlechts reichen der EU-Kommission seit dem Jahr 2015 - also seit 9 Jahren - nicht aus. Bis vor ein paar Tagen hat das weder die hiesige Regierung noch die EU sonderlich interessiert. Die entsprechende Mahnung, den Zugang zu Waren und Dienstleistungen ohne jede Diskriminierung wegen des Geschlechts juristisch zu regeln, ruhte ganz hinten unbeachtet in irgendeiner Ablage.
Das ist vorbei. Wurde aber nicht etwa ausgelöst durch eine Attacke des Frauenrats, einleuchtende Argumente von NGOs, ein überzeugendes Plädoyer der Antidiskriminierungsstelle oder gar der Androhung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die EU-Kommission. So etwas schreckt bundesdeutsche Politdarsteller nicht. Sie haben in den ersten drei Jahren ihrer Regierungszeit mehr politisches Vertrauen verspielt als jede Vorgängerregierung. Und in den ersten drei Jahren wurden 29 Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, im Februar 2024 waren insgesamt 64 vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig.
Das angedrohte Verfahren wegen einer Verletzung des EU-Vertrags muss in der jüngsten Vergangenheit dann aber doch Anlass für die Idee einer pfiffigen Person gewesen sein, mit deren Hilfe die Regierungskoalition zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen könnte, ohne Bürgerinteressen zu berücksichtigen oder Kapitalinteressen zu tangieren.
Warum war man in Berlin bloß nicht früher darauf gekommen! Dieses ständige Genörgel und Gequengel der Befürworter einer Verbesserung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), der Appell des Beirats (mitsamt Gegenstimme der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände - BDA), dieses old school-artige Beharren auf Worten, die im Koalitionsvertrag als Ampel-Kitt eingefügt worden waren, es wäre dem Bundesjustizministerium erspart geblieben. Nicht dass der Minister das nötig hätte. An Marco Buschmann von der FDP prallt alles ab. Er übt sich in der Kohl-Merkelschen Tugend des Aussitzens und, wie Anna Schneider in der WELT schrieb, im Formulieren "schwammiger Begriffe", um Sachverhalte gut zu tarnen.
Nun aber existiert dieser Plan, der pfiffigen Person, der eine Kiste Champagner oder mindestens einen Karton belgische Schokolade wert ist, und ohne viel Aufwand umgesetzt werden kann: Die von der EU-Kommission angemahnte Gleichbehandlung wegen des Geschlechts wird ins Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz übernommen. So gibt einerseits die EU-Kommission Ruhe und das AGG ist außerdem noch fortschrittlich verbessert. Wie heißt es noch im Koalitionsvertrag: "Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) werden wir evaluieren, Schutzlücken schließen, den Rechtsschutz verbessern und den Anwendungsbereich ausweiten." Passt!
Gleichbehandlung wegen des Lebensalters ist überflüssig, Grundgesetzänderungen ebenso, und die Gleichbehandlung von Behinderten - demnächst am in diesem Theater!
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