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UN: Bericht über Förderung + Schutz der Rechte älterer Menschen

Foto: H.S.

Vereinte Nationen - 22.11.2025 - von Claudia Mahler

24-21027 (G)
*2421027*
Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen
Siebenundfünfzigste Tagung
9. September-9. Oktober 2024

Tagesordnungspunkt 3
Förderung und Schutz aller Menschenrechte sowie bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, einschließlich des Rechts auf Entwicklung Rechts- und Handlungsfähigkeit und Einwilligung nach vorheriger Aufklärung
Bericht der Unabhängigen Expertin für den Genuss aller Menschenrechte durch ältere Menschen, Claudia Mahler

Zusammenfassung
Die Unabhängige Expertin für den Genuss aller Menschenrechte durch ältere Menschen, Claudia Mahler, gibt in diesem Bericht einen Überblick über ihre Tätigkeit im Berichtszeitraum und befasst sich in einer themenspezifischen Analyse mit der Rechts- und Handlungsfähigkeit und der Einwilligung nach vorheriger Aufklärung, wie sie ältere Menschen erfahren.

Vereinte Nationen A /HRC/57/42 Generalversammlung Verteilung: Allgemein 18. Juli 2024
Deutsch
Original: Englisch
A/HRC/57/42
2 24-21027


I. Einleitung

1. Dieser Bericht wird von der Unabhängigen Expertin für den Genuss aller Menschen-
rechte durch ältere Menschen, Claudia Mahler, gemäß Resolution 51/4 des Menschenrechts-
rats vorgelegt. Der Bericht enthält einen Überblick über die Tätigkeit der Unabhängigen Ex-
pertin im Berichtszeitraum und eine themenspezifische Analyse der Autonomie, der Rechts-
und Handlungsfähigkeit und der Einwilligung nach vorheriger Aufklärung, wie sie ältere
Menschen erfahren. Die Analyse stützt sich auf frühere Arbeiten und eine umfangreiche Do-
kumentenrecherche sowie auf 46 schriftliche Beiträge, die von Staaten, nationalen Men-
schenrechtsinstitutionen, Organisationen der Zivilgesellschaft, Forschenden und anderen In-
teressenträgern als Reaktion auf die Aufforderung zur Einreichung von Beiträgen vom Februar 2024 übermittelt wurden.1 Die Unabhängige Expertin dankt allen, die an der Erstellung
dieses thematischen Berichts mitgewirkt haben.


II. Tätigkeit der Unabhängigen Expertin

A. Länderbesuche[/b]

2. Während des Berichtszeitraums besuchte die Unabhängige Expertin vom 7. bis
16. November 2023 Moldau und vom 11. bis 22. März 2024 Peru. Sie spricht den Regierun-
gen dieser Länder für ihre Einladungen und die Zusammenarbeit vor, während und nach ihren
Besuchen ihren Dank und ihre Anerkennung aus und freut sich auf eine Fortsetzung der
fruchtbaren und konstruktiven Dialoge.

B. Andere Tätigkeiten

3. Während des Berichtszeitraums richtete die Unabhängige Expertin sowohl einzeln als
auch gemeinsam mit anderen Mandatsträgerinnen- und -trägern der Sonderverfahren Mittei-
lungen an Regierungen im Zusammenhang mit den Menschenrechten älterer Menschen. Au-
ßerdem gab sie einzeln und gemeinsam mit anderen Mandatsträgerinnen und -trägern Pres-
semitteilungen heraus, darunter eine Erklärung anlässlich des Internationalen Tages der älteren Menschen im Jahr 2023 über die Notwendigkeit, für ältere Menschen das Versprechen
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in die Tat umzusetzen, sowie eine Erklärung
über die Situation älterer Menschen in Not- und Krisenlagen anlässlich des Welttags gegen
die Misshandlung älterer Menschen im Jahr 2024.

4. Im Rahmen ihres Mandats nahm die Unabhängige Expertin an der vierzehnten Ta-
gung der Offenen Arbeitsgruppe über das Altern teil und sprach bei der Eröffnungssitzung
sowie bei einem Sachverständigenforum zum Thema Barrierefreiheit, Infrastruktur und Le-
bensraum (Verkehr, Wohnen und Zugang). Sie sprach auch bei einer Reihe von Nebenver-
anstaltungen und hielt am Rande der vierzehnten Tagung Treffen auf hoher Ebene ab. Wäh-
rend der Tagung nahm sie als Hauptrednerin an einem Empfang der Mitgliedstaaten anläss-
lich des zehnjährigen Bestehens des Mandats teil. Sie begrüßt die historische Annahme des
vom Vorsitz der Offenen Arbeitsgruppe vorgelegten Beschlusses2, der Lücken im Schutz der
Menschenrechte älterer Menschen aufzeigt und Empfehlungen enthält, um diese Lücken zu
schließen, unter anderem durch eine internationale rechtsverbindliche Übereinkunft zur För-
derung, zum Schutz und zur Gewährleistung der gleichen Anerkennung und Verwirklichung
aller Menschenrechte älterer Menschen.

5. Zwischen August 2023 und Juli 2024 nahm die Unabhängige Expertin an mehreren
internationalen, regionalen und nationalen Tagungen, Veranstaltungen und Konferenzen teil,
um sich zu Themen im Zusammenhang mit den Menschenrechten älterer Menschen zu äu-
ßern. Als Beispiele für einige Aktivitäten während des Berichtszeitraums seien die Grund-
satzrede der Unabhängigen Expertin auf der Tagung der International Longevity Centre Glo-
bal Alliance (Globalen Allianz der internationalen Zentren für Langlebigkeit) in Tokio, ihr
Redebeitrag auf der Global Ageing Conference (Weltkonferenz über das Altern) in Glasgow

_______________
1 Alle Beiträge sind unter Link verfügbar.
2 A/AC.278/2024/2, Kap. IV, Beschluss 14/1.
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(Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland) sowie ihre Grundsatzrede auf der
Internationalen Konferenz zu Menschenrechten älterer Menschen in Wien genannt. Sie reiste
in die Kirgisische Republik und nach Kasachstan, um die Veröffentlichung der russischspra-
chigen Fassung des Leitfadens Protecting Minority Rights: Practical Guide to the Develop-
ment of Comprehensive Anti-Discrimination Legislation (Schutz der Rechte von Minderhei-
ten: Praktischer Leitfaden für die Ausarbeitung umfassender Rechtsvorschriften gegen Dis-
kriminierung) zu unterstützen, der vom Hohen Kommissariat der Vereinten Nationen für
Menschenrechte und Partnern aus der Zivilgesellschaft erstellt wurde, und sprach darüber,
wie wichtig es ist, Altersdiskriminierung auf nationaler Ebene zu bekämpfen. Die Unabhän-
gige Expertin hielt ferner die Eröffnungsrede auf einer vom Hohen Kommissariat der Ver-
einten Nationen für Menschenrechte einberufenen Sachverständigentagung über die Men-
schenrechtsverpflichtungen der Staaten in Bezug auf Gewalt gegen ältere Menschen und den
Missbrauch und die Vernachlässigung älterer Menschen in allen Bereichen, gemäß dem
Mandat des Menschenrechtsrats in seiner Resolution 54/13. Auf der Tagung der Arbeits-
gruppe Menschenrechte im April 2024 in Brüssel stellte sie aktuelle Entwicklungen im Be-
reich der Menschenrechte älterer Menschen vor und erörterte mit den Delegierten der Euro-
päischen Union mögliche nächste Schritte im Vorfeld der vierzehnten Tagung der Offenen
Arbeitsgruppe über das Altern. Als Mitglied des Koordinierungsausschusses für Sonderver-
fahren nahm sie regelmäßig an Präsenz- und Online-Treffen des Ausschusses teil und be-
suchte eine Veranstaltung auf hoher Ebene, die anlässlich des fünfundsiebzigsten Jahrestags
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Genf stattfand.


III. Rechts- und Handlungsfähigkeit älterer Menschen und ihre
Einwilligung nach vorheriger Aufklärung

A. Einleitung


6. Der derzeitige Menschenrechtsrahmen enthält keine klare und kohärente Definition
des Konzepts der Autonomie. Auch wenn es keine umfassende Beschreibung des Begriffs in
den Menschenrechtsnormen gibt, wird Autonomie gemeinhin wie folgt beschrieben: das
Recht, selbst über das eigene Leben zu bestimmen, eigene Entscheidungen zu treffen und
diese Entscheidungen geachtet zu wissen, einschließlich des Rechts älterer Menschen, Risi-
ken einzugehen.3 Die Unabhängige Expertin stellte bereits fest, dass Autonomie eine weiter
gefasste Bedeutung hat, die neben einem individuellen Aspekt, einschließlich der Fähigkeit,
Entscheidungen zu treffen, und einem wirtschaftlichen und finanziellen Aspekt, verstanden
als Eigenversorgung und die Fähigkeit, Einkommen zu erzielen und zu erhalten, auch einen
gesellschaftlichen Aspekt beinhaltet.4 Autonomie wird häufig mit Unabhängigkeit in Ver-
bindung gebracht, die als Fähigkeit einer Person, Aufgaben des täglichen Lebens zu erfüllen,
ihre Entscheidungen in der Praxis umzusetzen und in der Lage zu sein, vollständig in die
Gesellschaft und das Gemeinschaftsleben integriert zu bleiben, beschrieben wurde.5 Um die
Menschenrechte auch im Alter zu gewährleisten, müssen gegen ältere Menschen gerichtete
Diskriminierung und Vorurteile überwunden und die stereotype Annahme aufgegeben wer-
den, dass ältere Menschen weniger würdig und weniger fähig seien, ihre Autonomie und
Unabhängigkeit auszuüben.6

7. Die Rechts- und Handlungsfähigkeit ermöglicht es Erwachsenen, durch die Ausübung
bürgerlicher, politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte uneingeschränkt an
der Gesellschaft teilzuhaben. Die Rechts- und Handlungsfähigkeit verleiht Erwachsenen eine
Rechtsstellung, die sie in die Lage versetzt, an der Gesellschaft teilzuhaben, indem sie beispielsweise Verträge abschließen, finanzielle Entscheidungen treffen und nach vorheriger
Aufklärung ihre Einwilligung zu medizinischen Behandlungen, Diensten und Hilfsangeboten

_______________
3 Open-ended Working Group on Ageing, Substantive inputs – autonomy and long-term care, Link
cial.un.org/ageing-working-group/documents/tenth/A_AC.278_2019_CRP.4.pdf, Ziff. 10.
4 A/HRC/30/43, Ziff. 44.
5 Open-ended Working Group on Ageing, Substantive inputs – autonomy and long-term care, Link
cial.un.org/ageing-working-group/documents/tenth/A_AC.278_2019_CRP.4.pdf, Ziff. 10.
6 Quinn, G. und Doron, I., Against Ageism and Towards Active Social Citizenship for Older Persons: The
Current Use and Future Potential of the European Social Charter, Council of Europe (2021), verfügbar unter
Link.
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einschließlich der Unterbringung in Heimen, geben. Ältere Menschen haben nach dem Über-
einkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen das Recht, „in allen Lebens-
bereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit zu genießen“. Ältere
Menschen können und werden einen „Beitrag zum Funktionieren der Gesellschaft leisten,
wenn angemessene Garantien vorhanden sind”.7 Zu den angemessenen Garantien gehört der
Schutz des Rechts älterer Menschen, selbst zu entscheiden, wie und wo sie leben, welche
medizinischen und sozialen Leistungen sie in Anspruch nehmen und wie sie ihre Ressourcen
und ihre Zeit nutzen wollen.

8. Der Gesundheitszustand und die Funktionsfähigkeit älterer Menschen sind zwar he-
terogener als die jüngerer Erwachsener8, dennoch wird häufig angenommen, dass ältere Men-
schen kollektiv unter körperlichem und kognitivem Verfall und einer erhöhten Anfälligkeit
für Missbrauch und Ausbeutung leiden9. Die Einschränkung der Wahlfreiheit älterer Men-
schen ist häufig das Ergebnis stereotyper Annahmen über die Fähigkeiten, Wünsche und Be-
dürfnisse älterer Menschen, die dazu führen, dass ihre Wünsche vernachlässigt, ihnen Vor-
lieben unterstellt, ihre Werte und Ansichten missachtet und Entscheidungen für sie getroffen werden.10

9. Es kommt vor, dass älteren Menschen das Recht entzogen wird, ihre Rechts- und
Handlungsfähigkeit auszuüben und ihr Leben selbst zu bestimmen. In manchen Fällen ist
dies auf kulturelle und familiäre Normen zurückzuführen, wenn jüngere Familienmitglieder
einfach die Entscheidungen über das Leben der älteren Menschen treffen.11 In anderen Fällen
steckt ein formeller Befund in einem medizinischen oder eine formelle Feststellung in einem
rechtlichen Kontext dahinter, manchmal, aber nicht immer, wird diese Entscheidung auf der
Grundlage einer formellen medizinischen Beurteilung der Entscheidungsfähigkeit der jewei-
ligen Person getroffen. Älteren Menschen wird aufgrund ihres Alters häufig das Recht ver-
weigert, selbst über ihre Finanzen, ihre Beschäftigung, die Verwaltung und Veräußerung ih-
res Eigentums, ihre Stimmabgabe bei Wahlen, die Wahl ihres Wohnorts und der Personen,
mit denen sie zusammenleben wollen, den Zugang zu Gesundheitsdiensten, ihr Familienle-
ben und ihre Teilnahme an gemeinschaftlichen, freiwilligen oder sozialen Aktivitäten zu entscheiden.12

10. Im Gesundheitswesen ist die Einwilligung nach vorheriger Aufklärung eine freiwil-
lige und nach hinreichender vorheriger Aufklärung erfolgte Entscheidung, die das Recht der
Patientinnen und Patienten schützt, an der medizinischen Entscheidungsfindung beteiligt zu
werden, und die den Gesundheitsdienstleistern damit verbundene Aufgaben und Pflichten
zuweist.13 Ihre sozialen und rechtlichen Auswirkungen ergeben sich aus den Grundsätzen der
Nichtdiskriminierung, der Autonomie, der Privatsphäre, der Selbstbestimmung, der körper-
lichen Unversehrtheit und des Wohlbefindens. Ihre Auslegung im Rahmen der Menschen-
rechtsnormen und der klinischen Praxis konzentriert sich vor allem auf die Gesundheitsver-
sorgung, aber ihre Auswirkungen erstrecken sich auf alle Lebensbereiche. Die Einwilligung
muss ohne Zwang, unzulässige Beeinflussung oder Täuschung und auf der Grundlage ange-
messener und barrierefreier Informationen erteilt werden. Die Einwilligung ist ein wesent-
licher Bestandteil des Genusses des Rechts auf Gesundheit und setzt Rechts- und Handlungs-
fähigkeit voraus. Dazu gehört auch das Recht, eine Behandlung abzulehnen.

11. Nach der heutigen Medizinethik kann eine Person, die als nicht einwilligungsfähig
eingeschätzt wird, keine Einwilligung nach vorheriger Aufklärung geben. Dieses Konzept
entstand in medizinischen Kontexten als Bestandteil der Einwilligung zur Behandlung nach

______________
7 A/66/173, Ziff. 4.
8 Nguyen, Q. D., Moodie, E. M., Forget, M. F., Desmarais, P., Keezer, M. R. und Wolfson, C. (2021), „Health
heterogeneity in older adults: exploration in the Canadian longitudinal study on ageing“, Journal of the Amer-
ican Geriatrics Society, Bd. 69, Nr. 3, S. 678-687.
9 Vervaecke, D. und Meisner, B. A., „Caremongering and assumptions of need: The spread of compassionate
ageism during COVID-19“, The Gerontologist, Bd. 6, Nr. 2 (Februar 2021), S. 159-165.
10 Arbeitspapier des Hohen Kommissariats der Vereinten Nationen für Menschenrechte mit einer Aktualisierung
der analytischen Ergebnisstudie aus dem Jahr 2012 über die normativen Standards in den internationalen Men-
schenrechtsnormen in Bezug auf ältere Menschen, verfügbar unter Link
group/documents/eleventh/OHCHR%20HROP%20working%20paper%2022%20Mar%202021.pdf, Ziff. 116.
11 Siehe World Health Organization (WHO), World Report on Ageing and Health, Genf, 2015.
12 Beitrag von HelpAge International.
13 A/HRC/34/32, Ziff. 17.
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vorheriger Aufklärung, erstreckt sich mittlerweile aber auch auf Bereiche wie finanzielle
Entscheidungen.14 Trotz der Instrumente und Leitlinien für die Beurteilung der Einwilli-
gungsfähigkeit gibt es keine objektive, genaue oder zuverlässige Definition der kognitiven
Einwilligungsfähigkeit, sodass die Beurteilung der kognitiven Einwilligungsfähigkeit prin-
zipiell unzulänglich ist.15 Wenn ältere Menschen nicht über die notwendigen Informationen
und die erforderlichen sprachlichen, rechtlichen oder digitalen Kenntnisse verfügen, um ein
Verfahren zur Erteilung einer Einwilligung nach vorheriger Aufklärung oder zur Abfassung
von Patientenverfügungen zu verstehen und einzuleiten, können sie fälschlicherweise als
nicht einwilligungsfähig eingestuft werden und werden möglicherweise ihrer Fähigkeit zur
Einwilligung nach vorheriger Aufklärung beraubt und den Entscheidungen einer ersetzenden
Entscheidungsperson unterworfen.

12. Einschränkungen der Rechts- und Handlungsfähigkeit beeinträchtigen die Autonomie
älterer Menschen in Bezug auf fast alle Arten von persönlichen Entscheidungen, einschließ-
lich der Verwaltung ihrer Finanzen, der Wahl ihrer Beschäftigung, des Umgangs mit ihrem
Eigentum, ihrer Stimmabgabe bei Wahlen, der Wahl ihrer Wohnsituation und der Personen,
mit denen sie zusammenleben wollen, des Zugangs zu Gesundheitsdiensten und der Teil-
nahme an Aktivitäten in der Familie und der Gemeinschaft. Staatliche und lokale Behörden,
politische Entscheidungsverantwortliche und auch Fachkräfte im Gesundheitswesen sowie
Familienangehörige und der Freundeskreis schließen ältere Menschen oft von Entscheidun-
gen über ihre eigenen Angelegenheiten aus und versäumen es somit, ihre Beteiligung und
Selbstbestimmung zu fördern.16

13. Der Verlust der Rechts- und Handlungsfähigkeit älterer Menschen kann sich auf ver-
schiedene Weise äußern. Er kann mit vermeintlichen Schutzmaßnahmen anderer beginnen,
beispielsweise indem sie Aufgaben für die Betroffenen übernehmen, ihren Zugang zu poten-
ziell gefährlichen Bereichen unterbinden oder ihren Verzehr bestimmter Lebensmittel aus
gesundheitlichen Gründen einschränken. Dieses Verhalten kann in Bevormundung überge-
hen, einschließlich der Beschlagnahmung von Ausweisdokumenten, der unangemessenen
Verwendung von Vornamen und der Ausübung von psychologischem Druck, Einschüchte-
rung oder Erpressung. In schwerwiegenderen Fällen kann es zu regelrechter Belästigung un-
ter Missachtung der Grundrechte älterer Menschen oder zu deren Freiheitsentziehung kom-
men.17

14. Die Betreuung ist ein besonders einschneidendes rechtliches Verfahren zum Entzug
der Rechts- und Handlungsfähigkeit aus Gründen der „mangelnden Leistungsfähigkeit“ oder
Schutzbedürftigkeit einer Person. Sie wird auch als „zivilrechtlicher Tod“ bezeichnet, weil
sie einige oder alle Rechte der Rechts- und Handlungsfähigkeit aufhebt.18 Wenn die Betreu-
ung für ältere Menschen zur Normalität wird, wie es in vielen Ländern der Fall ist, kann es
sein, dass sie zur Standardlösung für die Bewältigung der Herausforderungen wird, mit denen
einige ältere Menschen konfrontiert sind. Opfer finanzieller Ausbeutung können beispiels-
weise im Rahmen einer Betreuung ihrer Rechte enthoben werden, obwohl die Betreuung die
Person möglicherweise nicht schützt und gleichzeitig finanzielle und persönliche Kosten verursacht, was sie zu einem Heilmittel macht, das schlimmer ist als die Krankheit.19 Betreuungen können eingerichtet werden, weil eine Person nicht in der Lage ist, ihre Angelegenheiten kompetent zu regeln.20 Sozialeinrichtungen können eine Betreuung beantragen, wenn älteren Menschen die Zwangsräumung droht oder wenn niemand zur Verfügung steht, um die

_______________
14 Moye, J. und Marson, D. C., „Assessment of decision-making capacity in older adults: an emerging area
of practice and research”, The Journals of Gerontology Series B: Psychological Sciences & Social Sciences,
Bd. 62, Nr. 1 (2007), S. 3-11.
15 Diller, R., „Legal capacity for all: Including older persons in the shift from adult guardianship to supported
decision-making”, Fordham Urban Law Journal, Bd. 43, Nr. 3 (2016), S. 495.
16 Beitrag von HelpAge International.
17 Beitrag von Respect Seniors.
18 Dinerstein, R., „Implementing legal capacity under Article 12 of the UN Convention on the Rights of Per-
sons with Disabilities: The difficult road from guardianship to supported decision-making”, Human Rights
Brief, Bd. 19, Nr. 2 (2012).
19 Diller, R. und Salzman, L., „Stripped of funds, stripped of rights: a critique of guardianship as a remedy
for elder financial harm”, University of Pennsylvania Journal of Law and Social Change, Bd. 24, Nr. 2 (2021).
S. 149-151.
20 Beitrag Ecuadors, S. 2.
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Pflegezahlungen oder -ansprüche der Person zu verwalten.21 Bei einer Betreuerin oder einem
Betreuer kann es sich um Familienmitglieder, Freundinnen und Freunde, Anwältinnen und
Anwälte sowie amtliche oder Berufsbetreuerinnen und -betreuer handeln.22 Krankenhäuser
und Pflegeheime können aus verschiedenen Gründen eine Betreuung beantragen, unter an-
derem um ihre finanzielle Situation zu verbessern oder um „schwierige“ Patientinnen und
Patienten beziehungsweise Bewohnerinnen und Bewohner zu bestrafen.23 Betreuungen ge-
hen möglicherweise mit körperlichem, psychologischem oder emotionalem Missbrauch (ein-
schließlich sozialer Isolation), finanziellem Missbrauch, sexuellem Missbrauch, Missbrauch
im Zusammenhang mit Beeinträchtigungen und anderen Formen der Gewalt einher.24

15. Die Zwangseinweisung in Einrichtungen ist eine weitere Möglichkeit, die Rechts- und
Handlungsfähigkeit älterer Menschen einzuschränken. In vielen Ländern ist es gängige Pra-
xis, dass Familien oder Behörden die Rechts- und Handlungsfähigkeit älterer Menschen auf-
heben, um sie in Einrichtungen unterzubringen, in denen ihre Bewegungsfreiheit und ihre
Fähigkeit, nach vorheriger Aufklärung in eine Behandlung einzuwilligen, eingeschränkt wer-
den können.25 Das Europäische Netzwerk der Nationalen Menschenrechtsinstitutionen be-
schrieb Fälle, in denen die Einwilligung eines älteren Menschen nach vorheriger Aufklärung
keine Voraussetzung für die Einweisung in ein Pflegeheim ist.26 Das Netzwerk berichtete
außerdem von Beispielen eingeschränkter Autonomie, etwa wenn Pflegeheimbewohnerin-
nen und -bewohner gezwungen wurden, ihre Renten an das Heim zu überschreiben, und die
fehlende Absprache über ihren Pflegeplan oder Tagesablauf. Andere Bedenken, die in Bezug
auf Menschen mit Demenz in Pflegeheimen geäußert wurden, beziehen sich auf eine über-
höhte Medikation und die Verabreichung antipsychotischer Medikamente ohne freie Einwil-
ligung nach vorheriger Aufklärung, um die Bewohnerinnen und Bewohner in Pflegeheimen,
die über zu wenig Personal verfügen und ihr Personal nicht angemessen schulen, „unter Kon-
trolle zu halten”.27


B. Rechtliche und politische Standards
Internationale Rahmen


16. Das Recht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht ist in Artikel 6 der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte verankert. Nach Artikel 16 des Internationalen Paktes über
bürgerliche und politische Rechte haben alle Menschen „das Recht, überall als rechtsfähig
anerkannt zu werden”. Das umfasst die Fähigkeit, Trägerinnen und Träger von Rechten zu
sein (namentlich die Rechtsfähigkeit) und die Fähigkeit, diese Rechte auszuüben (Hand-
lungsfähigkeit).28 Zwar ist die Diskriminierung aufgrund der „Rasse”, der Religion oder des
Vermögens untersagt, nicht aber ausdrücklich die Diskriminierung aus Gründen des Alters.

17. Grundsätzlich sollen gemäß dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische
Rechte die Rechte älterer Menschen auf Rechts- und Handlungsfähigkeit geschützt und al-
tersbedingte Diskriminierung verboten werden. In der Praxis bietet der Pakt jedoch keinen
angemessenen Schutz der Rechte aller Bevölkerungsgruppen auf Rechts- und Handlungsfä-
higkeit, insbesondere derjenigen, die mit intersektionalen Formen von Diskriminierung

_______________
21 Diller, R., „Legal capacity for all: Including older persons in the shift from adult guardianship to supported
decision-making”, Fordham Urban Law Journal, Bd. 43, Nr. 3 (2016), S. 495.
22 Nwakasi, C. C. und Roberts, A. R., „Older adults under guardianship: Challenges and recommendations
for improving practice”, Journal of Aging & Social Policy, Bd. 34, Nr. 3 (2022), S. 401–417.
23 Hirschel, A. und Smetanka, L., „The use and misuse of guardianship by hospitals and nursing homes”,
Syracuse Law Review, Bd. 72, (2022), S. 255-256.
24 Bedson, L., Chesterman, J. und Woods, M., „The prevalence of elder abuse among adult guardianship
clients”, Macquarie Law Journal, Bd. 18 (2018), S. 15-33.
25 Open-ended Working Group on Ageing, „Analysis and overview of guiding questions on long-term care
and palliative care received from Member States, ‘A’ Status National Human Rights Institutions and accred-
ited non-governmental organizations” (2018), verfügbar unter Link
group/documents/ninth/OEWGA9_Substantive_Report_LTC_Palliative-Care_DESA.pdf.
26 European Network of National Human Rights Institutions, „We have the same rights”: The Human Rights
of Older Persons in Long-Term Care in Europe (2017), verfügbar unter Link
nhri_hr_op_web.pdf.
27 A/76/157, Ziff. 55.
28 A/HRC/37/56.
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konfrontiert sind. Das zeigen die einschlägigen Artikel des Übereinkommens zur Beseitigung
jeder Form von Diskriminierung der Frau und des Übereinkommens über die Rechte von
Menschen mit Behinderungen, in denen jeweils die Rechte von Frauen sowie von Menschen
mit Behinderungen auf Rechts- und Handlungsfähigkeit bekräftigt werden.

18. Nach Artikel 15 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminie-
rung der Frau gewähren die Vertragsstaaten der Frau in zivilrechtlichen Fragen dieselbe
Rechtsfähigkeit wie dem Mann und dieselben Möglichkeiten zur Ausübung dieser Rechtsfä-
higkeit. Der Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau erklärt, dass ältere Frauen besonders der Ausbeutung und dem Missbrauch, einschließlich wirtschaftlicher Ausnutzung, ausgesetzt sind, wenn ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit ohne ihre Einwilligung
an Anwältinnen und Anwälte oder Familienangehörige übertragen wird. Der Ausschuss emp-
fiehlt den Vertragsstaaten sicherzustellen, dass älteren Frauen nicht aus willkürlichen oder diskriminierenden Gründen die Rechts- und Handlungsfähigkeit entzogen wird.29

19. Etwa die Hälfte aller älteren Menschen hat eine Behinderung, und global gesehen
handelt es sich bei einem Viertel der Menschen, die mit einer mittelschweren bis schweren
Behinderung leben, um ältere Menschen.30 Nach Artikel 12 des Übereinkommens über die
Rechte von Menschen mit Behinderungen genießen Menschen mit Behinderungen in allen
Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit. Darüber hin-
aus legt der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen Artikel 14 des Über-
einkommens (Freiheit und Sicherheit) dahingehend aus, dass die unfreiwillige Entziehung
der Freiheit von Menschen mit Behinderungen nicht mit dem Übereinkommen vereinbar
ist.31 Nach Artikel 25 (Gesundheit) soll die Erbringung aller Dienste einschließlich der institutionellen Versorgung, auf der freien Einwilligung der betroffenen Person nach vorheriger Aufklärung beruhen, und alle Gesetze, die eine unfreiwillige Behandlung mit Genehmigung Dritter, beispielsweise Familienangehöriger, zulassen, sollen aufgehoben werden.32 Die Unabhängige Expertin betonte die Notwendigkeit einer regelmäßigen Beurteilung des Wunsches einer Person, Pflege zu erhalten und den Ausstieg aus der Pflege zu ermöglichen, wenn dies gewünscht wird.

20. Da die uneingeschränkte Teilhabe an der Gesellschaft zu den wichtigsten Grundsätzen
und Zielen des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen gehört,
umfasst dieses Recht auch die Stimmabgabe, die Partizipation an öffentlichen Angelegen-
heiten und die Beteiligung an Entscheidungen, die das Leben und den Zugang zur Gesund-
heitsversorgung betreffen (unter anderem Art. 25, 29, 34 Absatz 3). Diese Bestimmungen
können in Verbindung mit Artikel 19 (Selbstbestimmtes Leben und Inklusion in der Gemein-
schaft) als Sicherheitsnetz gegen den Entzug der Rechts- und Handlungsfähigkeit, das Fehlen
der Einwilligung nach vorheriger Aufklärung, die Zwangseinweisung in Einrichtungen und
andere Formen der unfreiwilligen Behandlung von Menschen mit Behinderungen dienen.

21. Der Schutz nach dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinde-
rungen gilt auch für ältere Menschen mit Behinderungen, einschließlich älterer Menschen,
bei denen davon ausgegangen wird, dass sie eine Behinderung haben. Es kann jedoch sein,
dass ältere Menschen mit Behinderungen bei der Durchführung des Übereinkommens das
Nachsehen haben.33 So geht das Übereinkommen beispielsweise nicht auf die Tatsache ein,
dass älteren Menschen mit Behinderungen weniger Rehabilitationsleistungen angeboten
werden als jüngeren Menschen mit Behinderungen34 und dass älteren Menschen mit schwe-
ren Krankheiten und körperlichen und kognitiven Beeinträchtigungen, die in Einrichtungen
leben, der Zugang zur Justiz (Art. 13 des Übereinkommens) zur Durchsetzung ihrer Rechte

_______________
29 CEDAW/C/GC/27, Ziff. 27 und 34. Auf Deutsch verfügbar unter: Link
man/sites/default/files/2024-09/cedaw-c-gc27.pdf.
30 Siehe Link.
31 Committee on the Rights of Persons with Disabilities, 2014, Statement on article 14 of the Convention on
the Rights of Persons with Disabilities, verfügbar unter Link
playNews.aspx?NewsID=15183&LangID=E.
32 Siehe CRPD/C/CHN/CO/1.
33 A/74/186, Ziff. 6.
34 Siehe Link.
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fehlen kann, da sie keine Rechts- und Handlungsfähigkeit und nur begrenzten Zugang zu
rechtlichem Beistand haben und die Durchsetzung kompliziert und teuer ist35.
Regionale Rahmen

22. Von allen internationalen und regionalen Übereinkünften bietet das Interamerikani-
sche Übereinkommen über die Rechte älterer Menschen den umfassendsten Schutz für die
gleiche Anerkennung älterer Menschen vor dem Recht.36 Artikel 30 legt fest, dass älteren
Menschen die Rechts- und Handlungsfähigkeit zugestanden werden soll, und sieht die Be-
reitstellung der erforderlichen Unterstützung und Garantien für die Ausübung der Rechts-
und Handlungsfähigkeit im Alter vor. Artikel 7 beschreibt das Recht älterer Menschen, Ent-
scheidungen zu treffen, über ihre Lebensplanung zu bestimmen, gleichberechtigt mit anderen
ein autonomes und selbstbestimmtes Leben im Einklang mit den eigenen Traditionen und
Überzeugungen zu führen und Zugang zu Mechanismen zu erhalten, die es den Betroffenen
ermöglichen, ihre Rechte auszuüben. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission
liest in dieser Bestimmung eine Verpflichtung, Maßnahmen zu ergreifen, die der oder dem
Einzelnen ermöglichen, Entscheidungen zu treffen, die für ihre Lebensführung notwendig
sind.37

23. Das Interamerikanische Übereinkommen enthält außerdem eine konkrete Bestim-
mung über die freie Einwilligung nach vorheriger Aufklärung in Gesundheitsfragen. Nach
Artikel 11 ist es verpflichtend, dieses Recht durch konkrete Mechanismen zu gewährleisten,
die Missbrauch verhindern können, aber auch die Fähigkeit einer Person zur Ausübung die-
ses Rechts stärken, unter anderem durch rechtsverbindliche Patientenverfügungen. In Arti-
kel 12 über die Langzeitpflege werden die Staaten aufgefordert, Mechanismen einzurichten,
die sicherstellen, dass ältere Menschen ihren freien Willen hinsichtlich des Beginns und der Beendigung von Pflegeleistungen zum Ausdruck bringen können. Darüber hinaus schützt
das Interamerikanische Übereinkommen in Artikel 27 die politische Partizipation, ein-
schließlich des aktiven und passiven Wahlrechts, und verpflichtet die Staaten, aktiv die Bedingungen und Mittel für die Ausübung der politischen Rechte älterer Menschen zu schaffen
bzw. bereitzustellen.

24. Artikel 4 des Protokolls zu der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte
der Völker über die Rechte älterer Menschen in Afrika legt das Recht auf Zugang zur Justiz
und auf gleichen Schutz vor dem Recht fest. Der Geltungsbereich des Protokolls ist jedoch
recht begrenzt und bezieht sich auf die Verpflichtung, Gesetze zu erarbeiteten und zu über-
prüfen, um Gleichbehandlung und Schutz zu gewährleisten, Rechtsbeistand zu leisten und
die Schulung der Strafverfolgungsbehörden im Hinblick auf die wirksame Durchsetzung der
Rechte zu gewährleisten. Artikel 5 des Protokolls zur Afrikanischen Charta erkennt das
Recht älterer Menschen an, Entscheidungen ohne ungebührliche Einmischung zu treffen. Der
Artikel sieht ebenfalls vor, dass ältere Menschen eine Person ihrer Wahl ernennen können,
die ihren Wünschen und Anweisungen nachkommen, und erwähnt, dass ältere Menschen im
Falle ihrer Unfähigkeit rechtlichen und sozialen Beistand erhalten, damit sie Entscheidungen treffen können, die in ihrem besten Interesse sind und zu ihrem Wohl gereichen. Diese Bestimmungen, die nicht alle Aspekte der Rechts- und Handlungsfähigkeit im Zusammenhang mit dem Alter abdecken, sind eine gute Grundlage für die nächsten Schritte bei der Ausarbeitung der Rechte älterer Menschen auf internationaler Ebene, auch wenn sie zum Teil mit dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Konflikt stehen.
Die Verweise auf die „Unfähigkeit” und das „beste Interesse” älterer Menschen spiegeln ein
medizinisches und bevormundendes Modell wider, das im Gegensatz zu Artikel 12 des Über-
einkommens steht, der die Achtung der Rechts- und Handlungsfähigkeit von Menschen mit
Behinderungen garantiert und die Anwendung ersetzender Entscheidungsfindung aus-
schließt.38

_______________
35 Ebd.
36 Inter-American Convention on Protecting the Human Rights of Older Persons, Art. 3 c) über die Würde,
Unabhängigkeit, Eigeninitiative und Autonomie älterer Menschen.
37 Inter-American Commission on Human Rights und Organization of American States, Human Rights of the
elderly and national protection systems in the Americas (2022).
38 Flynn, E., „Disability and ageing: Bridging the divide? Social constructions and human rights”, Routledge
Handbook of Disability Law and Human Rights, Routledge (2016), S. 211-226.
A/HRC/57/42
24-21027 9

25. Im Gegensatz dazu wird in Artikel 30 Absatz 2 Buchstabe c des Protokolls zur Afri-
kanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker über die Rechte von Menschen
mit Behinderungen in Afrika die Anwendung des Rechts auf Rechts- und Handlungsfähigkeit
in den Fällen bekräftigt, in denen eine Kombination aus höherem Alter und Behinderung
eventuell als Rechtfertigung für die Einschränkung oder Verweigerung der Rechts- und
Handlungsfähigkeit herangezogen wird, und es wird die Verpflichtung der Staaten bekräftigt,
älteren Menschen mit Behinderungen jegliche Unterstützung zu gewähren, die sie benötigen,
um ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit gleichberechtigt mit anderen auszuüben.39 Diese
Bestimmung erkennt die intersektionalen Herausforderungen beim Genuss dieses Rechts an
und bietet einen umfassenderen und besseren Schutz im Einklang mit den Standards des
Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

26. Auch die unverbindlichen Empfehlungen des Europarats spiegeln ein medizinisches
Modell wider, das nicht im Einklang mit dem Übereinkommen über die Rechte von Men-
schen mit Behinderungen steht. So lässt Empfehlung CM/Rec(2009)6 den Verlust der
Rechts- und Handlungsfähigkeit aufgrund einer „Verschlechterung der Behinderung“ zu. Der
Wortlaut der Empfehlung läuft beinahe darauf hinaus, dass der Genuss von Rechten mit zu-
nehmendem Alter von Natur aus abnimmt.40 Empfehlung CM/Rec(2014)2 zum Schutz der
Menschenrechte älterer Menschen nähert sich den Standards des Übereinkommens an, da
nach ihr ältere Menschen das Recht haben, gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Hand-
lungsfähigkeit zu genießen.41 Gleichzeitig erlaubt die Empfehlung etwaige aus Schutzgrün-
den erforderliche Einschränkungen und die Benennung von Dritten durch ältere Menschen,
die in ihrem Namen entscheiden.42 Darüber hinaus wird in der Empfehlung eingeräumt, dass
Entscheidungen auch ohne die Einwilligung der älteren Person getroffen werden können,
etwa in Fällen, in denen die Person zu einer Gefahr für sich selbst oder für Dritte wird, nicht in der Lage ist, für ihre persönlichen Grundbedürfnisse zu sorgen, oder eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt.43

27. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Eu-
ropäischen Ausschusses für soziale Rechte weist Lücken beim Schutz der Rechte älterer
Menschen auf Rechts- und Handlungsfähigkeit auf. In beiden Gremien spiegelt sich die Un-
klarheit über die Auslegung und den Schutz der Rechts- und Handlungsfähigkeit im Alter
wider. Trotz der Bemühungen, die Autonomie älterer Menschen bei ihren Lebensentschei-
dungen sicherzustellen, werden auch Fälle von Rechts- und Handlungsunfähigkeit anerkannt,
für die Verfahrensgarantien gelten. Der Europäische Gerichtshof stellte zwar fest, dass die
Entziehung der Rechts- und Handlungsfähigkeit einen Eingriff in Artikel 5 (Recht auf Frei-
heit und Sicherheit), Artikel 6 (Recht auf ein faires Verfahren) und Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention)44 darstellen kann, erklärte jedoch
auch, dass Einschränkungen der Rechts- und Handlungsfähigkeit gerechtfertigt sein können,
um die Interessen von Personen mit psychischen Beeinträchtigungen zu schützen, die nicht
in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen.45 Trotz der Versuche, älteren Menschen Autono-
mie bei ihren Lebensentscheidungen einzuräumen, erkennt die Europäische Union immer
noch Rechts- und Handlungsunfähigkeit an, wenn auch mit Verfahrensgarantien46, was im
Widerspruch zum Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen steht.

_______________
39 Flynn, E., „The rights of older persons with disabilities in the Protocol to the African Charter on Human
and Peoples’ Rights: A critical analysis”, African Disability Rights Yearbook, Bd. 9 (2021), S. 275.
40 Quinn, G. und Doron, I., Against Ageism and Towards Active Social Citizenship for Older Persons: The
Current Use and Future Potential of the European Social Charter, Council of Europe (2022), S. 39.
41 Council of Europe, Recommendation CM/Rec(2014)2, Ziff. 12 (Link.
42 Ebd., Ziff. 13 und 15.
43 Ebd. Explanatory memorandum, Ziff. 66.
44 Siehe European Court of Human Rights, X and Y v. Croatia, Application No. 5193/09, Judgment, 3 No-
vember 2011 (Art. 6 der Europäischen Konvention).
45 European Court of Human Rights, Lashin v. Russia, Application No. 33117/02, Judgment, 22 January 2013,
Ziff. 80 und 92.
46 A/HRC/30/43, Ziff. 16 und 100.
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10 24-21027


C. Ursachen für die Einschränkung der Rechts- und Handlungsfähigkeit
älterer Menschen

Ageism und das Narrativ des Verfalls


28. Die Lücken im Schutz der Rechts- und Handlungsfähigkeit älterer Menschen auf na-
tionaler Ebene werden von mehreren sich überschneidenden Faktoren beeinflusst. Länder-
übergreifend wird im Hinblick auf unterschiedliche Lebensphasen suggeriert, dass das Alter
durch Schwäche, Verfall und Verletzlichkeit gekennzeichnet ist. Dieses Narrativ überschattet
das Narrativ der Stärken, die sich im Alter zeigen, wie etwa die Weisheit und emotionale
Stabilität älterer Menschen und ihre Beiträge durch familiäre Fürsorge.47

29. Struktureller oder institutioneller Ageism zeigt sich in politischen Maßnahmen und
Gesetzen, die Altersgrenzen vorsehen und die Möglichkeiten älterer Menschen einschränken.
Ageism hat zu politischen Maßnahmen und Praktiken geführt, die den Eindruck erwecken,
dass gemeinhin akzeptiert wird, dass die Rechte älterer Menschen bei Bedarf verletzt werden
können, um ihnen besonderen Schutz zu bieten, auch wenn die Verletzung derselben Rechte
bei jüngeren Menschen nicht toleriert würde.48 So wird in nationalen und subnationalen Ge-
setzen das Alter indirekt als Grund für die Verweigerung oder Einschränkung der Rechts-
und Handlungsfähigkeit herangezogen, indem beispielsweise auf „Senilität“, „altersbedingte
Krankheiten“ oder „mit fortgeschrittenem Alter verbundene Funktionseinschränkungen“
verwiesen wird.49 Das Alter des obligatorischen Eintritts in den Ruhestand ist ein weiteres
Beispiel für institutionellen Ageism.50 Die Pandemie der Coronavirus-Krankheit (COVID-19)
zeigte, dass die Bereitschaft, ältere Menschen zu isolieren, höher ist als bei jüngeren Menschen und dass das Alter bei Triage-Verfahren verwendet wird, um über den Zugang zu Ver-
sorgung zu entscheiden.51 In einigen Ländern wird älteren Menschen mit Behinderungen der
Zugang zu gemeindenahen Diensten und Unterstützung verwehrt, die jüngeren Menschen
zur Verfügung stehen.52

30. Dieses negative Narrativ und Ageism sollen eine Rechtfertigung dafür darstellen, dass
dem Schutz älterer Menschen vor sich selbst und anderen durch die Einschränkung ihrer
Rechts- und Handlungsfähigkeit Vorrang gewährt wird, was zu der Überzeugung führt, dass
Gerichte, medizinische Dienstleister, Familienangehörige und andere Verantwortliche bes-
sere Entscheidungen für ältere Menschen treffen können als ältere Menschen für sich selbst.
Paradoxerweise ist diese Entziehung der Rechte in der Doktrin der Einwilligung nach vorhe-
riger Aufklärung verankert, die aus der Erkenntnis entstand, dass von der medizinischen Be-
vormundung abzusehen und die persönliche Autonomie zu fördern ist.
Gesellschaftliche und wirtschaftliche Faktoren

31. Der Verlust des Einkommens, negative Vorurteile und der Rückzug der Familie kön-
nen Anlass für die Einschränkung der Rechts- und Handlungsfähigkeit im Alter sein.53 Wenn
ältere Menschen nicht mehr erwerbstätig sind, ändern sich außerdem häufig auch die Fami-
liendynamik und -rollen. Darüber hinaus können Staaten auch die Rechts- und Handlungsfä-
higkeit älterer Menschen in Bezug auf den Zugang zu ihren finanziellen Vermögenswerten,
einschließlich Renten und Ersparnissen, einschränken, um die Kontrolle über die Verwendung

_______________
47 WHO, World Report on Ageing and Health (2015), S. 174, verfügbar unter Link
tions/i/item/9789241565042.
48 A/HRC/48/53.
49 Open-ended Working Group on Ageing, „Substantive inputs in the form of normative content for the de-
velopment of a possible international standard on the focus areas ‘right to work and access to the labour
market’ and ‘access to justice’“, verfügbar unter Link
sion.shtml.
50 Jecker, N. S., „The dignity of work: An ethical argument against mandatory retirement”, Journal of Social
Philosophy, Bd. 54, Nr. 2 (2023).
51 A/HRC/48/53, siehe auch Jecker, N. S., „Too old to save? COVID?19 and age?based allocation of life-
saving medical care”, Bioethics, Bd. 36, Nr. 7 (2022), S. 802-808.
52 Jönson, H. und Larsson, A. T., „The exclusion of older people in disability activism and policies—a case
of inadvertent ageism?”, Journal of Aging Studies, Bd. 23, Nr. 1, (2009), S. 69-77.
53 Dabove, M. I., „Autonomy and capacity: about human rights of older persons in dependency situations”,
Ageing International, Bd. 42, Nr. 3 (2017), S. 335-353.
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dieser Mittel zu behalten.54 Menschen, die keinen Zugang zu gemeindenaher Pflege und Un-
terstützung haben, sind mitunter dazu gezwungen, entgegen ihren Präferenzen in Heimen zu
leben, wo ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit üblicherweise vielfältigen Bedrohungen aus-
gesetzt ist.55

32. In der Praxis können wohlhabende ältere Menschen auch Einschränkungen ihrer
Rechts- und Handlungsfähigkeit erfahren. Mitunter werden ihr Wille und ihre Wünsche von
ihnen nahestehenden Personen, die versuchen, die Kontrolle über ihre finanziellen Mittel zu
übernehmen, nicht anerkannt. Die Wünsche älterer Menschen in Bezug darauf, wo und mit
wem sie leben möchten, werden möglicherweise ignoriert und solche Situationen können zu
wirtschaftlicher Ausbeutung durch Familienmitglieder oder Pflegekräfte führen, die die Kon-
trolle über ihre Renten, ihr Vermögen oder ihr Eigentum übernehmen. Vor allem ältere
Frauen laufen Gefahr, ihr Eigentum im Alter zu verlieren.56

33. Ältere Menschen, die in Gemeinschaften leben, sind in hohem Maße Gewalt, Miss-
brauch und finanzieller Ausbeutung ausgesetzt.57 Das stellt ein großes Problem für das öf-
fentliche Gesundheitswesen dar, das schwerwiegende gesundheitliche Folgen für die Opfer
hat, einschließlich einer erhöhten Gefahr in Bezug auf Morbidität, Sterblichkeit und die Einweisung in Einrichtungen und Krankenhäuser, und das sich negativ auf die Familien und die Gesellschaft insgesamt auswirkt.58 Als Missbrauch gilt auch das Einsperren durch Familienmitglieder oder Pflegekräfte59, selbst wenn das Einsperren dem Schutz der älteren Person dienen soll. Missbrauchsopfer können Angst, Schuldgefühle oder Scham empfinden. Diese Gefühle halten sie womöglich davon ab, ihr Recht in Anspruch zu nehmen, und können als mangelnde Entscheidungsfähigkeit fehlinterpretiert werden.60 Einweisung in Einrichtungen

34. Zusätzlich zu einem erhöhten Missbrauchs-, Vernachlässigungs- und Ausbeutungsri-
siko wird älteren Menschen in institutionellen Einrichtungen wie Altersheimen, Kranken-
häusern und anderen Pflegeeinrichtungen die Freiheit entzogen.61 In all diesen Umgebungen
fehlt es teilweise an angemessenen Sicherheitsvorkehrungen, Schwachstellenanalysen und
unabhängiger Aufsicht. Vor allem in Langzeitpflegeeinrichtungen kommt es häufig zu
Schwierigkeiten beim Einholen einer echten Einwilligung nach vorheriger Aufklärung. Äl-
tere Menschen können: in die Pflege und Behandlung in einem Heim einwilligen, ohne den
damit verbundenen Einschränkungen ihrer Freiheit vollständig zuzustimmen; zunächst ein-
willigen, es sich aber später anders überlegen; oder einer Kurzzeitpflege zustimmen, ohne zu beabsichtigen, dass sie zu einer Langzeitpflege wird. Die Frage der Freiwilligkeit wird durch das Fehlen von Wahlmöglichkeiten zusätzlich erschwert. Eine alternativlose Einwilligung bedeutet im Grunde genommen Zwang. Unzureichende Ressourcen für die Pflege in der Gemeinde und das Fehlen eines Rechtsanspruchs auf häusliche Pflege können ältere Menschen gegen ihren Willen in ein Heim zwingen. Außerdem sind viele ältere Menschen nicht darüber informiert, dass die Zustimmung zur Unterbringung in einem Pflegeheim den Verlust ihrer Autonomie, ihrer funktionalen Unabhängigkeit und ihrer Privatsphäre zur Folge haben kann.

_______________
54 Age UK, Discussion Papers, Allen, R, „Legal issues for strengthening international legislation on the rights
of older persons”, Ziff. 30.
55 Beitrag von Sage Advocacy.
56 A/76/157.
57 A/HRC/54/26.
58 Yon, Y., Mikton, C. R., Gassoumis, Z. D. und Wilber, K. H., „Elder abuse prevalence in community set-
tings: a systematic review and meta-analysis”, The Lancet Global Health, Bd. 5, Nr. 2 (Februar 2017),
S. e147-e156.
59 Dong, X. Q., „Elder abuse: systematic review and implications for practice“, Journal of the American Ger-
iatrics Society, Bd. 63, Nr. 6 (Juni 2015), S. 1214-1238.
60 A/HRC/54/26.
61 Beitrag von Sage Advocacy.
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12 24-21027

Intersektionale Formen der Diskriminierung

35. Ältere Frauen sind stärker durch den Verlust der Rechts- und Handlungsfähigkeit ge-
fährdet als Männer.62 Manche sind nach dem Tod ihres Ehepartners nicht dazu berechtigt,
das eheliche Vermögen zu erben und zu verwalten. In anderen Fällen wird ihre Rechts- und
Handlungsfähigkeit ohne ihre Einwilligung an Anwälte oder Familienmitglieder übertra-
gen.63 Auf die Schwierigkeit älterer Frauen mit Behinderungen, ihre Rechts- und Handlungs-
fähigkeit zu erhalten und auszuüben, ging die Unabhängige Expertin bereits in einem frühe-
ren Bericht ein.64 Ältere Frauen mit psychosozialen Behinderungen, die Missbrauch melden,
werden aufgrund von Gedächtnisproblemen oft als unzuverlässige Zeuginnen betrachtet, was
manchmal dazu führt, dass ihnen ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit abgesprochen wird.65
Ältere Frauen leiden häufig unter größerer Armut und haben weniger Zugang zu Renten –
verschärft durch die kumulative Wirkung des Lohngefälles zwischen Frauen und Männern
im Laufe ihrer Erwerbstätigkeit. Das schränkt ihre Wahlmöglichkeiten ein und kann auch
ihre Fähigkeit, ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit wirksam auszuüben, beeinträchtigen.

36. Die Rechts- und Handlungsfähigkeit älterer Menschen mit Behinderungen wird auf-
grund von „Vorurteilen und Annahmen, die sowohl auf ihrem Alter als auch ihrer Behinde-
rung beruhen”, auf formelle und informelle Weise häufiger verweigert oder eingeschränkt
als die anderer Menschen. Dies hat zur Folge, dass viele von ihnen in Einrichtungen einge-
wiesen oder zuhause eingesperrt werden oder auf die Zustimmung von Familienmitgliedern
angewiesen sind, um ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit auszuüben.66 Infolgedessen ver-
lieren viele ältere Menschen mit Behinderungen „die Kontrolle über ihr Leben” und sind
„einem hohen Maß an Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung” ausgesetzt.67 Ältere Men-
schen mit Behinderungen sind besonders gefährdet durch expliziten oder impliziten Druck
aus ihrem Umfeld, einschließlich Erwartungen von Familienmitgliedern, finanziellem
Druck, kulturellen Botschaften und sogar Zwang.68

37. An der Schnittstelle zwischen Ageism und Ableismus stehen ältere Menschen mit
psychischen Erkrankungen und Demenz vor besonderen Herausforderungen. Trotz ihres
Rechts auf gleiche Anerkennung vor dem Recht und auf Rechts- und Handlungsfähigkeit
werden sie häufig systematisch diskriminiert69 und sind einem erhöhten Risiko der Zwangs-
einweisung in Einrichtungen und der Vernachlässigung ausgesetzt70. Institutionelle Vorur-
teile innerhalb der medizinischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Systeme tragen zu solchen Vorurteilen bei. Darüber hinaus fehlt es diesen Bevölkerungsgruppen oft an Informationen und an Zugang zu Instrumenten wie der Pflegevorsorge, die zum Schutz ihrer Autonomie beitragen können.71

38. Altern und Demenz stellen eine Bedrohung für die Rechts- und Handlungsfähigkeit
dar, wobei die Risiken durch die weit verbreitete Unkenntnis über die verschiedenen Formen
der Demenz und die unterschiedlichen Auswirkungen auf die jeweiligen Betroffenen noch
verschärft werden. Während einige ältere Menschen mit Demenz erhebliche Unterstützung
bei der Entscheidungsfindung benötigen, können andere eigenständig Entscheidungen tref-
fen. Dennoch kann die Diagnose Demenz dazu führen, dass einer Person ungerechtfertigter-
weise das Recht auf Entscheidungsfindung aberkannt wird, unabhängig von ihren Fähigkei-
ten.72 Die Tatsache, dass Demenz mit einem allmählichen Abbau der kognitiven Fähigkeiten
einhergeht, erschwert die Beurteilung ihrer Fähigkeit. Es kann sein, dass Menschen ihre

_______________
62 Age UK, Discussion Papers, Allen, R, „Legal issues for strengthening international legislation on the rights
of older persons”; siehe auch CEDAW/C/GC/27. Auf Deutsch verfügbar unter: Link
man/sites/default/files/2024-09/cedaw-c-gc27.pdf.
63 CEDAW/C/GC/27, Ziff. 27. Auf Deutsch verfügbar unter: Link
les/2024-09/cedaw-c-gc27.pdf.
64 A/76/157, Ziff. 43 und 53.
65 Beitrag von Transforming Communities for Inclusion.
66 A/74/186 und A/HRC/37/56, Ziff. 18. A/HRC/37/56.
67 A/HRC/37/56, Ziff. 18.
68 A/HRC/43/41, Ziff. 37.
69 Beitrag Österreichs.
70 Beitrag Zyperns.
71 Beitrag von der World Psychiatric Association, der International Psychogeriatric Association, Capacity
Australia, des International Longevity Centre Canada und der Canadian Coalition Against Ageism.
72 Beitrag von Older Persons Advocacy Network.
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24-21027 13


Rechts- und Handlungsfähigkeit aberkannt wird, wenn sie andere Präferenzen äußern, als sie
es in jungen Jahren getan haben. Aber auch bei Menschen ohne Demenz ändern sich die
vermeintlichen Präferenzen oft dramatisch, je nach dem Gesundheitszustand der jeweiligen
Person. Eindeutige Prognosen, die mehrere Situationen abdecken, sind schwierig. Es ist
ebenso schwer vorherzusagen, ob solche Entscheidungen im Laufe der Zeit konstant bleiben
werden.73 Dies wirft die Frage auf, ob Patientenverfügungen die Antwort auf Bedenken hin-
sichtlich der Rechts- und Handlungsfähigkeit und Demenz sein können.

39. Für ältere Menschen mit vielfältigem Hintergrund, einschließlich indigener Personen,
Minderheiten und Migrantinnen und Migranten, gibt es möglicherweise weder kultursensible
Dienste noch eine kultursensible medizinische Versorgung. Dies kann dazu führen, dass fal-
sche Annahmen über ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit getroffen werden, wenn die
Dienstleister nicht verstehen, wie religiöse oder kulturelle Faktoren die Entscheidungen der betreffenden Personen beeinflussen.

40. Ältere LGBTQ+-Personen können bei der Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfä-
higkeit auf zusätzliche Hindernisse stoßen.74 Da es in zahlreichen Ländern keine Gleichstellung der Ehe gibt, können viele ältere LGBTQ+-Personen im Falle der Rechts- und Handlungsunfähigkeit ihres Partners oder ihrer Partnerin keine rechtlichen Entscheidungen treffen, und sie können ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit auch nicht an ihren Partner oder ihre Partnerin übertragen. Das bedeutet, dass möglicherweise Dritte, wie etwa entfremdete leibliche Verwandte, diese Entscheidungen in ihrem Namen und gegen ihren Willen und ihre Patientenverfügung treffen. Darüber hinaus werden ältere LGBTQ+-Personen und -Paare möglicherweise aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität diskriminiert, wenn sie selbstbestimmt leben wollen, sei es in einer Privatwohnung oder in einer Einrichtung. In Ermangelung von Alternativen können sie gezwungen sein, in ihre Herkunftsfamilien zurückzukehren, wo ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit womöglich weiter eingeschränkt wird.


D. Bewährte Verfahren für den Schutz des Rechts älterer Menschen auf
Rechts- und Handlungsfähigkeit

Unterstützte Entscheidungsfindung als Alternative zur Betreuung


41. Unterstützte Entscheidungsfindung ist die Alternative zum Entzug von Rechten, wenn
eine Person Unterstützung bei der Entscheidungsfindung benötigt. Wie der Ausschuss für die
Rechte von Menschen mit Behinderungen in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 1 (2014)
feststellte, ist „Unterstützung“ ein weit gefasster Begriff, der sowohl informelle als auch formelle Unterstützungsmaßnahmen unterschiedlicher Art und Intensität umfasst. Die unter-
stützte Entscheidungsfindung ist eine aufkommende Vorgehensweise und eine Maßnahme,
die das Potenzial hat, ältere Menschen, die mit einem Abbau ihrer kognitiven Fähigkeiten,
einschließlich Demenz, konfrontiert sind, zu stärken und zu unterstützen. Viele Länder haben die unterstützte Entscheidungsfindung gesetzlich anerkannt. In der Regel gibt sie Personen, die Unterstützung benötigen, die Option, eine oder mehrere Personen ihres Vertrauens zu bestimmen, die sie bei der Beschaffung und dem Verständnis von Informationen, der Bewertung von Alternativen und der Formulierung und Umsetzung von Entscheidungen unterstützen.75 Es ist wichtig, dass der Wille und die Präferenzen der betroffenen Person und nicht ihr vermeintliches Wohlbefinden im Mittelpunkt der unterstützten Entscheidungsprozesse stehen.

42. Das Erwachsenenschutzrecht Österreichs sieht Mechanismen für unterstützte Ent-
scheidungsfindung und Unterstützung vor, die es Personen ermöglichen, Vertrauenspersonen
zu ernennen, die sie bei Entscheidungen in persönlichen und finanziellen Angelegenheiten
unterstützen, und räumt der unterstützten Entscheidungsfindung Vorrang vor der stellvertre-
tenden Entscheidungsfindung ein.76 In Kuba können Personen, die bei der Ausübung ihrer
Rechts- und Handlungsfähigkeit Unterstützung benötigen, nach ihrer freien Wahl eine

_______________
73 Beitrag von der World Psychiatric Association, der International Psychogeriatric Association, Capacity
Australia, des International Longevity Centre Canada und der Canadian Coalition Against Ageism, S. 10.
74 Siehe A/HRC/54/26/Add.3, Ziff. 29, A/HRC/54/26/Add.2, Ziff. 28 und A/HRC/54/26/Add.1, Ziff. 34.
75 A/HRC/37/56, Ziff. 41.
76 Beitrag Österreichs.
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Unterstützungsperson benennen und Art, Identität, Umfang, Dauer und Richtlinien dieser
Unterstützung gesetzlich festlegen. Unterstützende Personen können nur in Ausnahmefällen
im Namen der betreffenden Person handeln und müssen den Willen und die Präferenzen, die
diese zuvor geäußert hat, achten. 77 Im Jahr 2016 verabschiedete Costa Rica das Gesetz
Nr. 9379, mit dem alle Formen der Betreuung abgeschafft und die Rechtsstellung der Bürgin
und des Bürgen für Menschen mit Behinderungen eingeführt wurde, um deren Gleichstellung
und volle Rechts- und Handlungsfähigkeit vor dem Gesetz zu gewährleisten.78 In Schweden
fungieren „persönliche Ombudspersonen“ als eine unabhängige Interessenvertretung für
Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Dabei schaffen sie Vertrauen und bieten Un-
terstützung in verschiedenen Lebensbereichen, einschließlich der Entscheidungsfindung.79

43. Das Gesetz über die unterstützte Entscheidungsfindung (Rechts- und Handlungsfä-
higkeit), das in Irland seit 2023 in Kraft ist, enthält einen Beschwerdemechanismus im Zu-
sammenhang mit Entscheidungshilfen zum Schutz vor Missbrauch und unzulässiger Beein-
flussung und besagt außerdem, dass betroffene Personen nur dann als entscheidungsunfähig
gelten, wenn alle praktikablen Schritte erfolglos unternommen wurden, um ihnen dabei zu
helfen.80 In Mexiko verfügen alle Erwachsenen über vollständige Rechts- und Handlungsfä-
higkeit, wenngleich Personen, die Hilfe benötigen, gemäß dem Nationalen Zivil- und Fami-
liengesetzbuch Unterstützung erhalten können. Unterstützung kann nur dann durch Dritte
bestimmt werden, wenn es unmöglich ist, den Willen und die Präferenzen einer Person zu
ermitteln und diese keine Patientenverfügung hinterlassen hat.81
Beurteilung der Entscheidungsfähigkeit im Hinblick auf die Wahrung der Autonomie

44. Die Aberkennung der Rechte auf Rechts- und Handlungsfähigkeit aufgrund einer Be-
hinderung steht im Widerspruch zum Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit
Behinderungen, in dem Autonomie als Grundprinzip der Rechts- und Handlungsfähigkeit
und Schutz als Ausnahme verankert ist82, ausgehend von der Vorstellung, dass die Rechts-
und Handlungsfähigkeit allen Menschen von Geburt an gegeben ist. Dennoch werden Beur-
teilungen und Urteile zur Entscheidungsfähigkeit häufig dazu verwendet, älteren Menschen
ihre Rechte auf Rechts- und Handlungsfähigkeit zu verweigern.83 Unabhängig davon, ob sie
sich auf eine Betreuung, eine medizinische Beurteilung oder die Auffassung der Familie stützen, dass die betreffenden Personen schutzbedürftig sind, kann es vorkommen, dass staatliche und lokale Behörden, politische Entscheidungsverantwortliche, Fachkräfte im Gesundheitswesen, Familienangehörige und Freundinnen und Freunde Menschen mit kognitiven
Beeinträchtigungen von Entscheidungen über ihre eigenen Angelegenheiten ausschließen
und ihre Beteiligung und Selbstbestimmung nicht unterstützen.84

45. Die gesetzliche Verankerung der Autonomievermutung (mit Unterstützung, sofern er-
forderlich) als Kernprinzip85, die in Übereinstimmung mit Artikel 12 des Übereinkommens
über die Rechte von Menschen mit Behinderungen die Annahme ablehnt, dass dem Schutz
gegenüber der Autonomie Vorrang zu geben ist, stellt eine Alternative zur Fokussierung auf
die Entscheidungsfähigkeit dar. Stattdessen kann der Schutz so konzipiert werden, dass Un-
terstützung für die Autonomie erforderlich ist.86 Dieser Ansatz spiegelt sich im Gesetz Ir-
lands über die unterstützte Entscheidungsfindung (Rechts- und Handlungsfähigkeit) wider,

_______________
77 Beitrag Kubas.
78 A/HRC/37/56, Ziff. 39.
79 Ebd., Ziff. 46.
80 Verfügbar unter Link, siehe auch A/HRC/37/56,
Ziff. 47. Auf Deutsch verfügbar unter: Link.
81 Beitrag von Dr. Cesar Aranda.
82 Quinn, G. und Doron, I., Against ageism and towards active social citizenship for older persons: the cur-
rent use and future potential of the European Social Charter, Council of Europe, verfügbar unter
Link.
83 Doron, I., Numhauser-Henning, A., Spanier, B., Georgantzi, N. und Mantovani, E., „Ageism and anti-age-
ism in the legal system: A review of key themes”, Contemporary perspectives on ageism (2018), S. 303-319.
84 Beitrag von HelpAge International.
85 Quinn, G., Gur, A. und Watson, J., „Ageism, moral agency and autonomy: Getting beyond guardianship in
the 21st century”, in Ageing, ageism and the law, Edward Elgar Publishing (2018), S. 50-71.
86 Ashcroft, R. E., Dawson, A., Draper, H. und John McMillan, J. Hrsg., Principles of Health Care Ethics,
John Wiley and Sons, 2007, Kap. 3, Cullity, G., „Beneficence”.
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das von folgenden Grundsätzen ausgeht: Alle Personen sind rechts- und handlungsfähig; die
Rechts- und Handlungsfähigkeit wird individuell und nicht nach Gruppen beurteilt; alle praktischen Schritte werden unternommen, um die Entscheidungsfindung zu unterstützen; das
Recht einer Person, eine unkluge Entscheidung zu treffen, wird geachtet; eingegriffen wird
nur falls erforderlich; Eingriffe, soweit erforderlich, müssen so wenig restriktiv wie möglich sein, wobei die Rechte der Person zu achten sind; die Teilhabe und die Äußerung des Willensund der Präferenzen einer Person werden erleichtert; die Ansichten anderer, die ein berechtigtes Interesse am Wohlergehen der Person haben, werden berücksichtigt; die Wahrscheinlichkeit der Wiederherstellung der Rechts- und Handlungsfähigkeit einer Person und die Dringlichkeit eines Eingriffs werden berücksichtigt und bei der Erfassung und Verwendung personenbezogener Daten herrscht strenge Vertraulichkeit.87

46. Capacity Australia sensibilisierte Fachkräfte des Gesundheitswesens für die Bedeu-
tung der Beurteilung der Rechts- und Handlungsfähigkeit. Infolgedessen wurden bewährte
Vorgehensweisen in die nationalen sicherheits- und qualitätsbezogenen Gesundheitsdienst-
standards für die Krankenhausakkreditierung sowie in die Richtlinien der australischen Re-
gierungskommission für Qualität und Sicherheit in der Pflege älterer Menschen aufgenommen.
Einbindung älterer Menschen in Entscheidungsprozesse und Achtung ihrer Entscheidungen

47. Die Rechte älterer Menschen auf Rechts- und Handlungsfähigkeit werden wahr-
scheinlich wirksamer geschützt, wenn ältere Menschen und ihre Interessenvertreterinnen und
-vertreter an der Ausarbeitung von Politiken und Rahmenwerken beteiligt werden, die die
Rechts- und Handlungsfähigkeit regeln. In vielen Kontexten geschieht dies bereits. In Chile
wurden im Rahmen der Anstrengungen zur Schaffung eines Rechtsrahmens für Autonomie
und Einwilligung nach vorheriger Aufklärung in Gesundheitsfragen regelmäßig Konsultatio-
nen mit Beratungsgremien durchgeführt, die sich aus älteren Menschen zusammensetzen.88
In Österreich89 waren Organisationen, die ältere Menschen vertreten, Betreuungsvereine und
Vertreterinnen und Vertreter von Pflegeheimen an der Ausarbeitung von Rechtsnormen für
den Schutz und die Unterstützung von Erwachsenen beteiligt, während in Portugal90 auch
Organisationen, die Menschen mit Behinderungen vertreten, einbezogen wurden. Auch Ni-
geria erarbeitete seine innerstaatliche Politik zum Thema Altern in Absprache mit älteren
Menschen91, während Kuba bei der Überarbeitung seines Familiengesetzbuches Organisatio-
nen der Zivilgesellschaft konsultierte, die sich für ältere Menschen einsetzen.

48. Viele Rechtssysteme sehen Patientenverfügungen vor, in denen Personen ihren Wil-
len und ihre Präferenzen im Vorhinein erklären können, sodass diese dann befolgt werden
können, wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise nicht in der Lage sind, sie
mitzuteilen. Solche Verfügungen beziehen sich in der Regel auf Entscheidungen zur Gesund-
heitsversorgung können aber auch persönliche, finanzielle oder vermögensrechtliche Ange-
legenheiten umfassen (etwa die Erteilung einer Dauervollmacht). Die Gültigkeit und Durch-
setzung solcher Verfügungen, die häufig erfordern, dass der betroffenen Person ihre Rechts-
und Handlungsfähigkeit aberkannt wird, ist jedoch möglicherweise nicht allgemein verbind-
lich oder unterliegt in bestimmten Situationen Ausnahmen.92 Stärkung gemeindenaher Unterstützungssysteme

49. Die Sonderberichterstatterin für die Rechte von Menschen mit Behinderungen betonte
die wichtige Rolle der Gemeinden beim Aufbau von Netzwerken und der Unterstützung bei
der Ausübung der Rechts- und Handlungsfähigkeit.93 Da ältere Menschen in der Regel stär-
ker isoliert sind oder wenig Unterstützung seitens der Familie oder der Gemeinde erhalten,
ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass sie bei der Entscheidungsfindung auf formelle oder

_______________
87 Siehe Link.
88 Beitrag Chiles.
89 Beitrag Österreichs.
90 Beitrag Portugals.
91 A/HRC/54/26/Add.1, Ziff. 13.
92 A/HRC/37/56, Ziff. 44. Auf Deutsch verfügbar unter: Link
09/a-hrc-37-56.pdf.
93 Ebd., Ziff. 28.
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informelle Unterstützung zurückgreifen.94 Unterstützungsnetzwerke könnten eine Alterna-
tive zur Betreuung darstellen. Die Regierung Armeniens richtete beispielsweise in 10 Ge-
meinden Gruppen ein, die in den Entscheidungsfindungsprozess betreffend die Gemeinde-
mitglieder eingebunden werden und älteren Menschen in der Gemeinde, die sich einsam füh-
len und eine Behinderung haben, Unterstützung bieten.95

50. Unterstützung bei der selbstbestimmten Lebensführung kann älteren Menschen hel-
fen, in ihren Gemeinden zu bleiben und eine zusätzliche Einschränkung ihrer Rechts- und
Handlungsfähigkeit, die mit der Einweisung in eine Einrichtung einhergehen, zu vermeiden.
Die Dominikanische Republik führte ein umfassendes, mehrdimensionales Programm zur
Unterstützung der Autonomie und der Eigenständigkeit älterer Menschen ein, das ein vor-
beugendes, progressives, koordiniertes und integriertes Modell für die häusliche Pflege um-
fasst, das auch eine Kurzzeitpflege zur Entlastung der Pflegekräfte und Tagespflegepro-
gramme für ältere Menschen beinhaltet.96


E. Schlussfolgerungen und Empfehlungen

51. Struktureller Ageism und die Diskriminierung älterer Menschen ermöglichen
die Fortführung von Maßnahmen und Praktiken zur Einschränkung ihrer Rechts- und
Handlungsfähigkeit. Bevormundende Maßnahmen zum Schutz älterer Menschen kön-
nen das Gegenteil bewirken, indem sie deren Autonomie in unzulässiger Weise ein-
schränken. Auch soziale und wirtschaftliche Faktoren spielen eine Rolle. Die finanzielle
Situation älterer Menschen kann ausschlaggebend dafür sein, inwieweit ihre Rechts-
und Handlungsfähigkeit eingeschränkt wird, während ältere Menschen, die Opfer von
Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung sind, mit zusätzlichen Hindernissen bei der
Ausübung ihrer Autonomie konfrontiert sein können. Mangelnde digitale Kompetenz
oder Schwierigkeiten beim Verständnis von Informationen, die in einer für ältere Men-
schen nicht barrierefreien Form bereitgestellt werden, werden möglicherweise als man-
gelnde Rechts- und Handlungsfähigkeit wahrgenommen. Ältere Menschen, die mit in-
tersektionalen Formen der Diskriminierung konfrontiert sind, darunter Frauen, Men-
schen mit Behinderungen, einschließlich Demenz, indigene Personen und LGBTQ+-
Personen, sehen sich häufig zusätzlichen Einschränkungen ihrer Rechts- und Hand-
lungsfähigkeit gegenüber.

52. Wird älteren Menschen das Recht auf volle Rechts- und Handlungsfähigkeit ver-
weigert, hat dies unzählige Auswirkungen auf ihr tägliches Leben und ihren Genuss
anderer Menschenrechte. Sie sind möglicherweise nicht in der Lage, ihre Lebensum-
stände frei zu wählen, grundlegende Entscheidungen über ihre Gesundheit, ihre Pflege
oder ihre Finanzen zu treffen oder uneingeschränkt am gesellschaftlichen Leben teil-
zuhaben. Ältere Menschen, die unter Betreuung stehen oder in einer Einrichtung un-
tergebracht sind, sind sogar noch stärker in ihrer Freiheit und Bewegungsfreiheit ein-
geschränkt. Es müssen verstärkt Ansätze verfolgt werden, die ältere Menschen mit
nachlassenden kognitiven Fähigkeiten oder anderen Einschränkungen unterstützen,
ohne ihre Menschenrechte zu verletzen. Zu diesen Ansätzen zählen etwa Maßnahmen
zur Stärkung der unterstützten Entscheidungsfindung, zum Ausbau gemeindenaher
Unterstützungssysteme und zur konstruktiven Einbeziehung älterer Menschen in die
Ausarbeitung politischer Maßnahmen im Zusammenhang mit der Rechts- und Hand-
lungsfähigkeit.

53. Mangels eines einheitlichen internationalen Rechtsrahmens zum Schutz der
Rechte älterer Menschen gibt es unterschiedliche Ansätze in Bezug auf ihre Rechte auf
Rechts- und Handlungsfähigkeit und werden weiterhin medizinische und soziale Mo-
delle genutzt, die ihre Autonomie einschränken. Regionale Normen können zwar hel-
fen, diese Lücke zu schließen, aber ihr Anwendungsbereich ist begrenzt und sie haben
nicht die Verbindlichkeit eines internationalen Übereinkommens. Das Übereinkommen
über die Rechte von Menschen mit Behinderungen leitete einen Paradigmenwechsel für
Menschen mit Behinderungen ein – weg von medizinischen und sozialen Ansätzen, die

_______________
94 Diller, R., „Legal capacity for all: Including older persons in the shift from adult guardianship to supported
decision-making”, Fordham Urban Law Journal, Bd. 43, Nr. 3 (2016), S. 495.
95 Beitrag Armeniens.
96 Beitrag der Dominikanischen Republik.
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ihre Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit betonen, hin zu einem menschenrechtsba-
sierten Ansatz, der ihrer angeborenen Würde und individuellen Autonomie als Träge-
rinnen und Träger von Rechten Vorrang einräumt und sie bei der Ausübung ihrer
Rechts- und Handlungsfähigkeit unterstützt. Die internationale Gemeinschaft muss im
Hinblick auf ältere Menschen unbedingt den gleichen Paradigmenwechsel vollziehen
und ihnen den gleichen rechtlichen Schutz bieten.

54. Die Unabhängige Expertin richtet die folgenden Empfehlungen an die Regierun-
gen als Hauptverantwortliche und an andere Interessenträger im Einklang mit ihren
jeweiligen Mandaten, einschließlich der Zivilgesellschaft, der Gesundheits- und Pflege-
dienstleister, der Gleichstellungsstellen und der Rechtsinstitutionen:

a) Die Staaten sollen regionale Übereinkünfte und Protokolle zum Schutz
der Menschenrechte älterer Menschen ratifizieren und durchführen und in Anlehnung
an die Standards des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinde-
rungen spezifische Standards zu Autonomie, Rechts- und Handlungsfähigkeit, voller
Einwilligung nach vorheriger Aufklärung und unterstützter Entscheidungsfindung
einführen.

b) Die Umsetzung bestehender Normen muss gestärkt und verbleibende Lü-
cken müssen geschlossen werden, um den Genuss der Rechts- und Handlungsfähigkeit
durch ältere Menschen zu gewährleisten und sie bei Entscheidungsprozessen zu unter-
stützen.

c) Gesetze, Strategien und Programme, die den Schutz der vollen Autonomie
älterer Menschen gewährleisten und ihre autonome Entscheidungsfähigkeit unterstüt-
zen, erarbeiten, finanzieren und durchführen.

d) Maßnahmen und Programme zur Bekämpfung von Ageism und zur Än-
derung negativer Stereotypen, die das Altern mit Verfall gleichsetzen, erarbeiten.

e) Sicherstellen, dass ältere Menschen Zugang zu allen für die Ausübung ih-
rer Rechts- und Handlungsfähigkeit erforderlichen Informationen in barrierefreien
und verständlichen Formaten haben.

f) Die Partizipation älterer Menschen an Entscheidungsprozessen, die sie
betreffen, insbesondere an der Ausarbeitung von Gesetzen und politischen Maßnah-
men im Zusammenhang mit der Rechts- und Handlungsfähigkeit und der Einwilligung
nach vorheriger Aufklärung, fördern.

g) Die beitragsabhängigen und -unabhängigen Renten- und Sozialschutzsys-
teme stärken, um sicherzustellen, dass ältere Menschen, die in Armut leben oder sich
im Ruhestand befinden, ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit wirksam ausüben kön-
nen und nicht in finanzielle Abhängigkeit geraten.

h) Die Bedingungen für ältere Menschen in Abhängigkeitsverhältnissen, ein-
schließlich institutioneller und familiärer Verhältnisse, angemessen überwachen, um
sicherzustellen, dass sie nicht ausgebeutet oder ungebührlich in ihrer Rechts- und
Handlungsfähigkeit eingeschränkt werden.

i) Modelle der unterstützten Entscheidungsfindung fördern, die es älteren
Menschen mit nachlassenden kognitiven Fähigkeiten oder anderen Herausforderungen
ermöglichen, ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit weiterhin auszuüben.

j) Alternativen zur Einweisung in Einrichtungen, zur Betreuung und zu an-
deren extremen Einschränkungen der Rechts- und Handlungsfähigkeit fördern und
Personen, die diesen Einschränkungen unterliegen, angemessen begleiten, um sicher-
zustellen, dass die Rechts- und Handlungsfähigkeit, der Wille und die Präferenzen äl-
terer Menschen geschützt werden.

k) Angemessene Sicherheitsvorkehrungen zur Verhinderung von Zwangs-
einweisungen in Einrichtungen treffen.

l) Sicherstellen, dass ältere Menschen, die der Pflege in einer Einrichtung
zustimmen, ein selbstbestimmtes Leben führen können und nicht gezwungen werden,
länger zu bleiben oder mehr finanzielle Mittel für die Pflege aufzuwenden, als sie ei-
gentlich möchten.
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m) Im Rahmen eines inklusiven Umfelds und als Option für ältere Menschen
eine Infrastruktur zur Unterstützung eines selbstbestimmten Lebens in der Gemein-
schaft erarbeiten und stärken, um sicherzustellen, dass ältere Menschen über die Au-
tonomie verfügen, sich für ein selbstbestimmtes Leben zu entscheiden.

n) Das Recht auf Unterstützung und Pflege zu Hause stärken.

o) Präventivmaßnahmen zur Sensibilisierung für alle Formen von Gewalt
erarbeiten, einschließlich finanzieller Ausbeutung, die sich negativ auf die Autonomie
und selbstbestimmte Lebensgestaltung älterer Menschen auswirken können.

p) Sicherstellen, dass ältere Menschen Zugang zur Justiz und zu Rechtsmit-
teln haben, damit sie Einschränkungen ihrer Autonomie anfechten und ihre Entschei-
dungsfreiheit in Bezug auf den Wohnort ihrer Wahl und die Personen, mit denen sie
leben möchten, geltend machen können.

q) Zusätzliche Vorkehrungen treffen, um sicherzustellen, dass die Rechts-
und Handlungsfähigkeit älterer Menschen in ihrer ganzen Vielfalt geschützt wird; das
gilt insbesondere für ältere Menschen, die mit intersektionalen Formen der Diskrimi-
nierung konfrontiert sind, einschließlich älterer Frauen, älterer Menschen mit Behin-
derungen, älterer indigener Menschen und LGBTQ+-Personen, die in ihrer Rechts-
und Handlungsfähigkeit eingeschränkt sind.

r) Insbesondere ältere Frauen sollten gleichen Zugang zu Eigentums- und
Erbschaftsrechten sowie zu Einkommen durch Renten- oder Sozialschutzsysteme ha-
ben, um ungebührende Auswirkungen auf ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit zu ver-
meiden.

s) Ältere Menschen mit Behinderungen müssen davor geschützt werden,
durch implizite oder explizite Maßnahmen seitens ihrer Familienmitglieder oder ande-
rer Personen, die in ihrem Namen Entscheidungen treffen, die Kontrolle über ihr Le-
ben zu verlieren.

t) Sicherstellen, dass ältere Menschen mit Demenz die gleiche Unterstützung
erhalten wie andere Menschen mit Behinderungen, dass für sie die gleichen Standards
zum Schutz ihrer Autonomie gelten wie für andere Personen und dass ihre Rechts- und
Handlungsfähigkeit nicht allein deshalb in Frage gestellt wird, weil sich ihre Präferen-
zen mit der Zeit ändern.

u) Sicherstellen, dass die Dienstleistungen für ältere indigene Personen, Min-
derheiten und Migrantinnen und Migranten an die Kultur der jeweiligen Person ange-
passt sind, um ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit besser zu schützen und zu verhin-
dern, dass diese Fähigkeit aufgrund kultureller Barrieren untergraben wird.

v) Die zusätzlichen Hindernisse überwachen, mit denen ältere LGBTQ+-
Personen konfrontiert sind, wenn Entscheidungen zur Unterstützung ihrer Partnerin
oder ihres Partners getroffen werden müssen, insbesondere in Ländern ohne Gleich-
stellung der Ehe, und sicherstellen, dass sie Zugang zu Diensten haben, die es ihnen
ermöglichen, ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit im Einklang mit ihrer Geschlechts-
identität zu wahren.

w) Sicherstellen, dass die Beurteilungen der Rechts- und Handlungsfähigkeit
sowie der Fähigkeit, eine Einwilligung nach vorheriger Aufklärung zu erteilen, für alle
Altersgruppen gleichermaßen angewandt werden und ältere Personen nicht unverhält-
nismäßig stark davon betroffen sind.

x) Ansätze zur Beurteilung der Rechts- und Handlungsfähigkeit fördern, bei
denen die Wahrung der Autonomie im Vordergrund steht und die individuell auf die
jeweilige Person zugeschnitten sind und nicht als allgemeiner Ansatz für alle Personen
eines bestimmten Alters gelten.

y) Die Staaten müssen sicherstellen, dass ältere Menschen weiterhin Zugang
zur Justiz haben, damit diese ihre Autonomie wiedererlangen können, einschließlich
Schutzmaßnahmen, insbesondere wenn es leicht ist, ihnen die Rechts- und Handlungs-
fähigkeit zu verweigern oder ihnen keinen Zugang zu unterstützten Entscheidungspro-
zessen zu gewähren.
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z) Die wichtigsten Interessenträger zur Teilnahme an Schulungen zu Fragen
der Autonomie, der Rechts- und Handlungsfähigkeit und der vollen Einwilligung nach
vorheriger Aufklärung ermutigen, damit sie verstehen, welche Auswirkungen diese
Fragen auf den vollen Genuss der Menschenrechte älterer Menschen haben.
aa) Die Staaten müssen einen Paradigmenwechsel unterstützen, der sicher-
stellt, dass ältere Menschen als Trägerinnen und Träger von Rechten behandelt wer-
den, einschließlich der Einbindung älterer Menschen in Fragen in Bezug auf ihr Recht
auf autonome Entscheidungen, Rechts- und Handlungsfähigkeit und Einwilligung nach
vorheriger Aufklärung, basierend auf ihrem Willen und ihren Präferenzen. Die Ent-
scheidungen älterer Menschen sind von entscheidender Bedeutung und können nicht
von Regierungen, lokalen Behörden, Familienmitgliedern oder Pflegefachkräften unter
dem Vorwand des „Interesses der älteren Person” oder anderer bevormundender Ver-
haltensweisen ignoriert oder außer Kraft gesetzt werden.

Mehr zum Thema Menschenrechtsschutz Älterer: Beitrag von Dr. Claudia Mahler in NDV 6/2025 ab S.260

Quelle: Vereinte Nationen