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EuGH entscheidet über Zwangspensionierung mit 65

24.01.2009 - von Dr. Rechtsanwalt Bertelsmann

Das Arbeitsgericht Hamburg hat mit einer am 23.01.09 zugestellten Entscheidung vom 20.1.2009 dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg Fragen zur Klärung vorgelegt, die die deutsche Praxis der Zwangspensionierung mit 65 betreffen.

Das Problem:
In fast allen Tarifverträgen (und auch im Beamtenrecht) sind Regelungen enthalten, mit denen das Arbeitsverhältnis automatisch mit Erreichen der sozialversicherungsrechtlichen Altersgrenze beendet wird, zur Zeit also mit 65 Jahren, nach und nach ansteigend bis auf 67 Jahre. Diese Altersgrenzen 65 in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und Einzelarbeitsverträgen gibt es seit Jahrzehnten.

Der Fall:
Eine Reinigungskraft wurde 65. Der Arbeitgeber teilte ihr unter Verweis auf den einschlägigen Rahmentarifvertrag für das Gebäudereiniger-Handwerk mit, dass mit Vollendung des 65. Lebensjahres ihr Arbeitsverhältnis enden würde. Die Arbeitnehmerin war damit nicht einverstanden. Sie erhob Klage gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und auf Weiterbeschäftigung. Die Argumentation von Rechtsanwalt Dr. Klaus Bertelsmann, der die Klägerin in dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht Hamburg (Aktenzeichen 21 Ca 235/08) vertritt:

„Eine automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit 65 ist eine Altersdiskriminierung, die gegen Europa-Recht verstößt. Zwar lässt § 10 Ziff. 5 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) die Möglichkeit einer Altersgrenze zu, diese deutsche Regelung verstößt nach unserer Auffassung jedoch gegen die Altersdiskriminierungsrichtlinie der EG.“

Da das Bundesarbeitsgericht allerdings am 18.06.2008 zum Gebäudereiniger-Handwerk entschieden hatte, dass die Altersgrenze zulässig sei, hatte Dr. Rechtsanwalt Bertelsmann die Vorlage des Verfahrens an den Europäischen Gerichtshof angeregt, um die Rechtmäßigkeit dieser Altersgrenze im Hinblick auf Europa-Recht überprüfen zu lassen.

Die Entscheidung:
Das Arbeitsgericht Hamburg ist der Rechtsprechung des BAG, die die Altersgrenze für zulässig hält, nicht gefolgt, sondern hat dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung nach Art. 234 EG-Vertrag vorgelegt. Damit soll geklärt werden, ob das deutsche Recht dem Europarecht entspricht. Der EuGH ist zur Auslegung von Europarecht zuständig, er wird die Vereinbarkeit der deutschen Regelungen mit Europarecht überprüfen.

1. Das Arbeitsgericht Hamburg bittet den Europäischen Gerichthof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Artikel 234 EG zur Auslegung der Richtlinie 2000/78/EG um die Beantwortung folgender Fragen:

Frage 1:
"Sind nach Inkrafttreten des AGG kollektivrechtliche Regelungen, die nach dem Merkmal Alter differenzieren, mit dem Verbot der Altersdiskriminierung in Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 der "Richtlinie 2000/78/EG des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 27.11.2000" vereinbar, ohne dass das AGG dies (wie früher in § 10 Satz 3 Nr. 7 AGG) ausdrücklich gestattet?"

Frage 2:
"Verstößt eine innerstaatliche Regelung, die dem Staat, den Tarifvertragsparteien und den Parteien eines einzelnen Arbeitsvertrags erlaubt, eine automatische Beendigung von Arbeitsverhältnissen zu einem bestimmten festgelegten Lebensalter (hier: Vollendung des 65. Lebensjahres) zu regeln, gegen das Verbot der Altersdiskriminierung in Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 der "Richtlinie 2000/78/EG des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 27.11.2000", wenn in dem Mitgliedstaat seit Jahrzehnten ständig entsprechende Klauseln auf die Arbeitsverhältnisse fast aller Arbeitnehmer angewendet werden, gleichgültig, wie die jeweilige wirtschaftliche, soziale, demographische Situation und die konkrete Arbeitsmarktlage war?"

Frage 3:
"Verstößt ein Tarifvertrag, der es dem Arbeitgeber erlaubt, Arbeitsverhältnisse zu einem bestimmten festgelegten Lebensalter (hier: Vollendung des 65. Lebensjahres) zu beenden, gegen das Verbot der Altersdiskriminierung in Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 der "Richtlinie 2000/78/EG des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 27.11.2000", wenn in dem Mitgliedstaat seit Jahrzehnten ständig entsprechende Klauseln auf die Arbeitsverhältnisse fast aller Arbeitnehmer angewendet werden, gleichgültig, wie die jeweilige wirtschaftliche, soziale und demographische Situation und die konkrete Arbeitsmarktlage ist?"

Frage 4:
"Verstößt der Staat, der einen Tarifvertrag, der es dem Arbeitgeber erlaubt, Arbeitsverhältnisse zu einem bestimmten festgelegten Lebensalter (hier: Vollendung des 65. Lebensjahres) zu beenden, für allgemeinverbindlich erklärt und diese Allgemeinverbindlichkeit aufrecht erhält, gegen das Verbot der Altersdiskriminierung in Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 der "Richtlinie 2000/78/EG des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 27.11.2000", wenn dies unabhängig von der jeweils konkreten wirtschaftlichen, sozialen und demographischen Situation und unabhängig von der konkreten Arbeitsmarktlage erfolgt?"

2. Der Rechtsstreit wird bis zum Abschluss des Vorabentscheidungsverfahrens an den EuGH ausgesetzt.

Zusammengefasst soll geklärt werden, ob die Altersgrenzen im deutschen Recht zulässig sind, wenn diese über Jahrzehnte hinweg in allen Branchen ohne Bezug auf die jeweilige wirtschaftliche, soziale, demographische Situation und die konkrete Arbeitsmarktlage gegolten haben – also eine Standardaltersgrenze ohne konkrete Begründung regelten.

Dieses Verfahren wird von besonderer Relevanz sein, da praktisch alle Tarifverträge in Deutschland entsprechende Altersgrenzen haben.

Das Verfahren wird nun vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg weitergeführt. Der EuGH hatte bisher nur einen speziellen spanischen Fall zur Altersgrenze zu entscheiden, der vorliegende Fall aus Hamburg ist der erste, mit dem die deutsche Praxis der Zwangspensionierung überprüft werden wird.

Der EuGH wird die Fragen des Arbeitsgerichts beantworten, das Arbeitsgericht hat dann die vom EuGH vorgenommene Auslegung des Europarechts auf den konkreten Fall anzuwenden. Darüber hinaus hat die Auslegung des Europarechts durch den EuGH generelle Auswirkungen auf die gesetzliche Regelung des AGG und die bestehenden Altersgrenzen in Tarifverträgen.

Normalerweise dauert es ca. 18 Monate nach der Vorlage, bis eine schriftliche Entscheidung des EuGH vorliegt.

Rechtsanwalt Bertelsmann, der bereits etliche Verfahren um Gleichbehandlungsfragen vor dem Europäischen Gerichtshof vertreten hat:

„Es mag sein, dass unter bestimmten arbeitsmarktpolitischen Umständen zu manchen Zeiten solche Altersgrenzen vielleicht geregelt werden können. In Deutschland aber ist es seit Jahrzehnten Standard, diese Altersgrenzen in Tarifverträge zu schreiben, gleichgültig wie die Arbeitsmarktsituation ist, gleichgültig wie die wirtschaftliche Situation insgesamt ist. Dies ist eine pauschale Diskriminierung wegen des Erreichens des 65. Lebensjahres. Wir sehen dieses als unzulässig und gegen Europa-Recht verstoßend an. Wir erwarten, dass über den EuGH diese Zwangspensionierung gekippt werden wird.“

Weitere Informationen:
Homepage www.bertelsmann-gaebert.de unter „Aufsätze“ der Aufsatz:
„Altersgrenze 65, EuGH und AGG - Zwangsbeendigung von Arbeitsverhältnissen nur eingeschränkt zulässig.“

Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=2665
Quelle: PM, 23.1.09, Dr. Rechtsanwalt Bertelsmann