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Musterklage gg. zu geringe Rentenanpassung 2011

23.08.2011 - von Aktion Demokratische Gemeinschaft e.V. München

Wer gegen die zu geringe Rentenanpassung im Jahr 2011 klagen will, nachdem ein Widerspruchsbescheid von der DRV abgelehnt wurde, kann Gebrauch machen von der Musterklage, die im ADG-Forum der Aktion Demokratische Gemeinschaft dankeswerterweise zur Verfügung gestellt wird.

Absender
Datum
Einschreiben
An das
Sozialgericht
...
...
Betr. Klage
Vers. Nr.:
Beklagte: Deutsche Rentenversicherung (DRV)

Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit erhebe ich Klage gegen den Widerspruchsbescheid der DRV vom ...
Der Bescheid der DRV zum 01.07.2011 sowie der Widerspruchsbescheid vom ... verstoßen gegen rechtsstaatliche Grundsätze unter anderem gegen Artikel 3 und Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 19 GG sowie gegen Artikel 20 GG.
Der Bescheid verstößt außerdem gegen Artikel 17 und Artikel 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

Antrag
Ich beantrage, unter Aufhebung des Bescheids zum 01.07.2011 in Gestalt des Wider-spruchsbe¬scheids vom ... die DRV dazu zu verpflichten, meine Rente rückwirkend zum 01.07.2011 um 5 Prozent anzuheben.
Weiterhin beantrage ich, der DRV aufzugeben, alle versicherungsfremden Leistungen entsprechend der Definition des VDR (heute DRV) für die Jahre 2009 und 2010 nachvollziehbar auszuweisen, und gegebenenfalls zu prüfen, ob in der Tatsache, dass die DRV, als Treuhänder der Beitragszahler, vom Gesetzgeber nicht die volle Finanzierung der versicherungsfremden Leistungen einfordert, ein Verstoß gegen § 266 StGB (Untreue) vorliegt.

Hilfsweise beantrage ich, das Verfahren auszusetzen und dem BVerfG die Frage vorzule¬gen, ob durch die Anpassung der Renten nur um 0,99 Prozent rechtsstaat¬liche Grundsätze verletzt werden und damit Verstöße u.a. gegen Artikel 3 GG (Gleichheits¬satz), Artikel 14 GG (Eigentumsschutz), Artikel 19 (Abs. 1, 2) und Artikel 20 GG (Grundsatz von Treu und Glauben, Prinzip des sozialen Rechtsstaats) vorliegen, oder das Verfahren auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Frage vorzulegen, ob das deutsche Rentenrecht gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstößt, insbesondere gegen Artikel 17 und Artikel 20.

Begründung
Es ist unstrittig, dass die DRV entsprechend den vorgegebenen Gesetzen gehandelt hat. Auf meine Aufforderung, im Widerspruchsbescheid alle versicherungsfremden Leistungen für das Jahr 2010 nachvollziehbar auszuweisen, ist die DRV nicht einmal eingegangen, obwohl das sicher nicht gegen ihren gesetzlichen Auftrag verstoßen würde. In einem Rechtsstaat stellt sich damit die Frage: Cui bono?

Das BVerfG hat in der Entscheidung vom 08.04.1987 (2 BvR 909/82 u.a.) unter anderem ausgeführt: „Die Gefahr der Aushöhlung besteht insbesondere dann, wenn die Sonderabgaben unter Berufung auf Sachgesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern ausgedehnt und so ausgestaltet werden, dass sie an Stelle von Steuern treten können. Wegen dieser Konkurrenz versagt es das Grundgesetz dem Gesetzgeber kompetenzrechtlich, Sonderabgaben zur Erzielung von Einnahmen für den allgemeinen Finanzbedarf eines öffentlichen Gemeinwesens zu erheben und das Aufkommen aus derartigen Abgaben zur Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben zu verwenden.“
Und:
„Der Gesetzgeber kann sich seiner Regelungskompetenz für die Sozialversicherung nicht bedienen, um dadurch Mittel für die Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben aufzubringen. Die Finanzmasse der Sozialversicherung ist tatsächlich und rechtlich von den allgemeinen Staatsaufgaben getrennt. Ein Einsatz der Sozialversicherungsbeiträge zur Befriedigung des allgemeinen Finanzbedarfs des Staates ist ausgeschlossen.“

Offensichtlich geht das BVerfG fälschlicherweise davon aus, dass die jährlichen dafür vorgesehenen Bundeszahlungen an die DRV die versicherungsfremden Leistungen in vollem Umfang ausgleichen. Das ist nachweislich nicht der Fall.
Es wäre Aufgabe der DRV, diesen Irrtum endlich aufzuklären. Anderenfalls macht sich die DRV, meiner Meinung nach, der Untreue im Sinne des § 266 StGB schuldig. Laut einer Pressemitteilung der DRV vom 24.06.2010 hat Herr Dr. Rische, Präsident der DRV, bestätigt, dass auch 2009 noch nicht einmal alle entsprechenden Ausgaben durch die Bundeszuschüsse gedeckt sind. Das Problem ist also seit langem bei der DRV bekannt.

In der Bundestagsdrucksache Nr. 16/65 vom 10.11.2005 bestätigt die Bundesregierung auf Seite 331 folgendes:

„Die deutschen Sozialversicherungen enthalten eine Vielzahl versicherungsfremder Elemente. Eine Leistung oder eine im Sozialversicherungssystem enthaltene Umverteilung ist immer dann als versicherungsfremd anzusehen, wenn sie nicht dem sozialversicherungstypischen Ausgleich zwischen niedrigen und hohen Risiken dient, wenn sie nicht dem Versicherungszweck entspricht oder wenn sie an Nichtversicherte gewährt wird. Versicherungsfremde Leistungen und versicherungsfremde Umverteilungsanliegen stellen - sofern sie als notwendig erachtet werden - gesamtgesellschaftliche Aufgaben dar und sollten von der gesamten Gesellschaft, also von allen Steuerzahlern, finanziert werden und nicht nur vom kleineren Kreis der Beitragszahler im Wesentlichen aus Lohneinkommen bis zu einer Beitragsbemessungsgrenze.

Die nicht durch Bundeszuschüsse gedeckten versicherungsfremden Leistungen und Umverteilungsströme in der Gesetzlichen Krankenversicherung, der Sozialen Pflegeversicherung, der Gesetzlichen Rentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung belaufen sich derzeit auf rund 65 Mrd. Euro. Mit der Beseitigung der Beitragsanteile, die der Finanzierung von versicherungsfremden Leistungen dienen, können der Steuercharakter der Sozialversicherungsbeiträge reduziert und das Äquivalenzprinzip in den Sozialversicherungen gestärkt werden.

Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wird so attraktiver, und der Einnahmeschwäche aufgrund einer schwindenden Beitragsbasis kann entgegengewirkt werden.“
Das bedeutet, dass es neben dem offiziellen Bundeshaushalt einen „Schattenhaushalt“ gibt dessen Volumen mit 65 Mrd. Euro mehr als 20 Prozent des offiziellen Haushalts ausmacht und allein zu Lasten der Sozialversicherungsbeiträge von Arbeitnehmern und Rentnern geht. Nutznießer dieses „Schattenhaushalts“ sind meiner Meinung nach alle, die sich an dessen Finanzierung nicht beteiligen müssen, insbesondere auch die verbeamteten Führungskräfte der DRV.

Wie aus dem veröffentlichten Text der Rede des VDR-Präsidenten am 21.11.1994 in Würzburg hervorgeht, bedient sich die Bundesregierungen offensichtlich schon lange im großen Stil aus den Sozialversicherungskassen der Arbeitnehmer und Rentner, um ihren allgemeinen Finanzbedarf zu befriedigen:

„Die Problematik der der Sozialversicherung aufgebürdeten versicherungsfremden Leistungen bekommt zunehmend eine politische Dimension. Das liegt zum einen an den Summen, um die es geht. Das Institut der deutschen Wirtschaft stellt hierzu fest, dass Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung für die versicherungsfremden Leistungen pro Jahr mehr als 170 Milliarden DM aufwenden müssen. Der Bund als Verursacher dieser Zahlungen beteilige sich daran nur mit 70 Milliarden DM, auf den restlichen 100 Milliarden DM blieben mithin die Beitragszahler sitzen, also Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Würden auch die restlichen 100 Milliarden DM über Steuermittel und nicht aus Beiträgen finanziert, könnten, so das Institut - die Beitragssätze zur Sozialversicherung um mehr als 8 Prozentpunkte gesenkt werden.

Die sich daraus für die Versicherten und ihre Arbeitgeber ergebende Entlastung würde zwar - allerdings nur zu einem Teil - durch höhere Steuern wieder verloren gehen. Die dennoch verbleibenden ordnungspolitischen Argumente sind zum anderen aber so eindeutig, dass die Forderung, zwischen Beitrags- und Steuerfinanzierung klar zu differenzieren, endlich realisiert werden muss.“

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts haben sich die Einkommen in der Privatwirtschaft seit 1998 um etwa 31 Prozent, die Verbraucherpreise um etwa 19 Prozent erhöht, die Renten dagegen nur um etwa 11,6 Prozent. Das heißt, es gibt hier bezogen auf die Einkommensentwicklung einen Nachholfaktor zu Gunsten von Arbeitnehmern und Rentnern in Höhe von 19,4 Prozent, und bezogen auf die Entwicklung der Verbraucherpreise immer noch in Höhe in Höhe von rund 7,4 Prozent.

Da das BVerfG in den vergangenen 30 Jahren keine Verfassungsbeschwerde zum Thema Rentenanspruch/Rentenhöhe mehr zur Entscheidung angenommen hat, muss davon ausgegangen werden, dass das BVerfG in absehbarer Zeit seine Befangenheit in dieser Sache nicht ablegen wird und damit der Rechtsweg in Deutschland zur Zeit ausgeschöpft ist.

Ich halte es deshalb für sachgerecht, dass das Sozialgericht das Verfahren aussetzt und dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Frage vorlegt, ob das in Deutschland praktizierte Zwei-Klassenrecht bei der Altersvorsorge der Charta der Grundrechte der Europäischen Union genügt, insbesondere im Hinblick auf die Artikel 17 (Recht auf Eigentum) und Artikel 20 (gleiches Recht für alle Bürger).

Im übrigen sollte sich die deutsche Justiz die Frage stellen, ob sie weiterhin eine Politik unterstützt, die scheinbar nur dadurch überlebensfähig ist, dass sie zweckgebundene Sozialversicherungsbeiträge von Arbeitnehmern und Rentnern in großem Stil für andere Zwecke missbraucht. Meiner Meinung nach ist unter diesen Voraussetzungen der von BVerfG und BSG seit Jahrzehnten propagierte Vorrang der „Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers“ gegenüber elementaren Grundrechten von Arbeitnehmern und Rentnern nicht länger haltbar.
Augustinus sagte vor rund 1600 Jahren diese ehrwürdigen und immer wahren Worte: „Remota iustitia quid sunt regna nisi magna latrocinia? (De civitate Dei, 4,4) Auf deutsch: Was sind Staaten ohne Gerechtigkeit anderes als große Räuberbanden?“

Im Hinblick darauf, dass zum Thema zu geringe Rentenanpassung sowohl eine Beschwerde beim BVerfG (Az. 1 BvR 3148/10) als auch eine Beschwerde beim EUGH für Menschen¬rechte (Az. 62071/10) anhängig ist, stelle ich zusätzlich den Antrag, das Verfahren bis zu diesen höchstinstanzlichen Entscheidungen ruhen zu lassen.

Mit freundlichen Grüßen
...

Link: Widerspruch gegen Renten-Nullrunde: Musterklage
Quelle: ADG-Forum 08-2011