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Die Flut hebt jedes Schiff ... Zur Pflegekonferenz in B.

24.05.2012 - von Hartmut Jeromin

Meine oft geäußerte Meinung, mit einer besseren „Arbeitsmarktlage“ regeln sich die nötigen Einnahmen der Sozialkassen von selbst, scheint sich jetzt zu bestätigen! Herr Bahr in Berlin hat vier Mrd. Überschüsse in den Kranken-Kassen als Folge der Konjunktur in der Wirtschaft. Dazu noch die angesparte gesetzliche Reserve und die Zuschüsse aus Steuermitteln. Alles in allem also 20 Mrd €! Eine nachhaltige Beschäftigungspolitik könnte also auch für die Zukunft solche Verhältnisse in allen Sozialkassen garantieren.

Aber bestimmte Trends in der Gesellschaft stehen dem entgegen und können die Schiffe auch wieder auf Grund setzen.

Das konnte ich erneut auf einer „Pflegekonferenz“ am 23.05.2012 in Berlin erfahren. Eingeladen hatte das Bündnis für gute Pflege, zu dessen 14 Mitgliedern auch der DGB und Verdi gehören.

Die Veranstalter zeigten mit ihrer Themenstellung (Gute Pflege ist Menschenrecht…) und ihren vier Forderungen, dass sie auch ethisch auf der Höhe der Zeit stehen: Pflegebedürftige brauchen maßgeschneiderte Pflege, Angehörige brauchen Unterstützung und Anerkennung, beruflich Pflegende brauchen gute Lohn- und Arbeitsbedingungen, gute Pflege hat ihren Preis und braucht mehr Solidarität.

Besser geht es nicht!

Die Zahlen: Heute gibt es in den Pflegeheimen ca. 700 000 Pflegebedürftige, davon sind 2/3 dement. Die Pflegeversicherung (Teilkasko-) deckt mit 5 Mrd. € ca. 30% der Kosten, den „Rest“ tragen Familien, Sozialhilfe (Kommunen) oder die Krankenkassen. Gesamtwert etwa 20 Mrd.€. Ein „Markt“, der private Träger lockt…
Aber in 15 Jahren sollen es drei Mio Pflegebedürftige sein, davon zwei Mio. an Demenz erkrankte.

Und was macht die Politik vorausschauend? Sie setzt sich aufs Podium und macht Wahlkampf!

FDP- Christine Aschenberg-Dugnus: Gut, was wir auf den Weg gebracht haben. Vielen wird es besser gehen ab 2013, keinem schlechter! Ab 2013 mehr Geld für Demente, weil sie nun durch den veränderten Pflegebegriff nicht mehr benachteiligt werden.

SPD- Hilde Mattheis: 2013 wird es bringen ... Sozialkassen nicht dem EU-Wettbewerbsrecht unterwerfen.

Linke- Kathrin Senger-Schäfer: Alle sollen einzahlen ein. Geld ist ein politisches Problem.

Grüne- Elisabeth Scharfenberg: Mut für nachhaltige Finanzierung fehlt.

CDU- Willi Zylajew: Vollversorgung finanziell nicht zu machen ...

Sie beharkten sich also trefflich, sagten unter der Hand aber auch viel Wesentliches zum Thema. Aber so richtig ließ keiner die Katze aus dem Sack! Obwohl mir der CDU-Mann imponierte: Er geht auch zu 1. Mai Kundgebungen und was er dort von Gewerkschaftern und Kirchenleuten zum Thema so hört, reicht nicht ... er wird sich jedenfalls für Mindest- und Tariflohn weiterhin einsetzen, obwohl er nur einer von 300 CDU-Abgeordneten ist. Und er sagte zu den anderen Parlamentariern: in der Opposition seid ihr mutig, aber wer war von 2001 – 2009 Gesundheitsminister - Ulla Schmidt, SPD!

Und Professor Michael Isfort zeigte z.B. an der Entwicklung eines Begriffs, wie die Politiker so ticken:
2001 hieß das entsprechende Handeln der Politiker Pflegeleistungsergänzungsgesetz, 2008 hieß es dann Pflegeweiterentwicklungsgesetz und neuerdings einfach Pflegeneuausrichtung. Dazwischen auch SGB 5, SGB 6, SGB 7…

Das Publikum, größtenteils Fachpublikum oder Betroffene, war aber gut im Bilde. Die Gewerkschaften wiesen schon länger auf die Zusammenhänge von Lohnpolitik, steigender Altersarmut und den sozialen Kassen hin. Es kannte auch, dass sich erst bei 98% Auslastung eine Pflegeeinrichtung rentiert und deshalb die Betten „warm gehalten“ werden. Und dass bei 10% Rendite in privaten Pflegeheimen kein Tarifgehalt gezahlt wird, also Sozialdumping programmiert ist und demzufolge privat keine Pflegeeinrichtung betrieben werden dürfte!

Und spätestens hier setzte mein soziales Gewissen wieder ein: Darf mit der Pflege Gewinn gemacht werden und was ist von einer Gesellschaft zu halten, in welcher das möglich ist? Da hätten wir ja nicht nur kleine Maschmeyer, nebst „Freunden“!

Wenn aber der Mensch mit seinen Bedürfnissen das Maß der Dinge wäre, in unserem Fall also der pflegebedürftige Mensch, mit seinen Menschenrechten wie Gleichheit, Recht auf Leben, Recht auf Pflege bis in die Grenzbereiche, dann wird das Pflegeproblem wohl doch auch zum ideologischen Problem. Und so wird Qualität in der Pflege, gute Aus- und Weiterbildung dazu ohne Schulgeld dafür, Bezahlung nach guten Flächentarifen, die Arbeitszeit aber auch die Achtung und Gesunderhaltung der pflegenden Angehörigen zur Gretchenfrage in der Politik, denn 2/3 davon ist häusliche Pflege.

Und natürlich auch zu einem Generationenproblem, denn jeder hat Eltern! Jeder hat von ihnen genommen. Jeder soll pflegen, so er will und kann! Aber die Gesellschaft kann Pflege nicht ins Private abschieben, wir leben nun mal in sozialen Bezügen! Und ich bin einerseits froh darüber, bisher noch zu keinem Besuch in einer Pflegeeinrichtung gewesen zu sein, bei uns wurde, wie damals überall, zu Hause gepflegt. Die Tante die Oma, unsere Eltern pflegten sich selbst, der Freund seine behinderte Frau, der Nachbar seine demente Frau, die 80jährige Hauswirtin ihren 97jährigen Mann. Was mich andererseits erwartet, kann ich nicht vorhersehen…

Heute erzwingen einfach die jetzigen und die zu erwartenden Zahlen, dass die Politiker nicht nur auf die nächste Flut warten, sondern auch in der Ebbe die Schiffe nicht auf Grund setzen. Denn wenn die Politiker auf der ethischen Höhe der Zeit wären, dürfte es zwischen ihnen eigentlich nur Einigkeit in diesen Fragen geben! Zu wichtig und existenziell ist eine gute Pflege! Nur geringe Differenzen könnte ich mir vorstellen, etwa wieviel Geld wann locker gemacht werden muss oder wie eine bessere Pflegequalität gewährleistet werden kann, aber nicht so wie hier geschehen, das Plenum einfach als Wahlkampfbühne zu missbrauchen! Das geht gar nicht! Und deshalb ist es auch gut und richtig, nötig und wichtig, wenn sich Betroffene und Interessierte verbünden und den Politikern auf die Pelle rücken - meint Hartmut Jeromin im Mai 2012

Quelle: per Mail

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