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Altersgrenze für Bürgermeister bleibt in Bayern 65

19.12.2012

Pressemitteilung zur Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 19. Dezember 2012 über eine Popularklage auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über die Wahl der Gemeinderäte, der Bürgermeister, der Kreistage und der Landräte (Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz – GLKrWG) in der Fassung der Übergangsbestimmung des § 8 Abs. 3 Satz 2 des Gesetzes zur Änderung des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes und anderer Vorschriften vom 16. Februar 2012 (GVBl S. 30, BayRS 2021-1/2-I)

I.
Gegenstand des Verfahrens ist die Altersgrenze, die die Wählbarkeit zum berufsmäßigen ersten Bürgermeister und zum Landrat einschränkt. Für vor dem 1. Januar 2020 stattfindende Gemeinde- und Landkreiswahlen gilt die Regelung, dass nicht gewählt werden kann, wer am Tag des Beginns der Amtszeit das 65. Lebensjahr vollendet hat. Bei Wahlen ab dem 1. Januar 2020 ist demgegenüber eine Altersgrenze von 67 Jahren maßgeblich.

II.
1. Die Antragsteller, die Mitglieder des Bayerischen Landtags sind, wenden sich gegen die derzeit geltende Altersgrenze von 65 Jahren. Der Zulässigkeit der Popularklage stehe nicht entgegen, dass der Verfassungsgerichtshof bereits in einer Entscheidung von 1968 die Altersbegrenzung der Wählbarkeit zum berufsmäßigen ersten Bürgermeister für verfassungsgemäß erachtet habe. Mittlerweile sei ein grundlegender Wandel der Lebensverhältnisse eingetreten. Neuere wissenschaftliche Untersuchungen zeigten, dass es nur einen geringen oder gar keinen Zusammenhang zwischen Lebensalter und beruflicher Leistungsfähigkeit gebe. Durch den Erlass des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, das Diskriminierung u. a. wegen des Alters verbiete, hätten sich auch die rechtlichen Gegebenheiten geändert. Begründet sei die Popularklage, da die Differenzierung nach dem Alter sachlich nicht gerechtfertigt sei und daher gegen die Bayerische Verfassung verstoße. Das Grundrecht auf Gleichheit sei verletzt, weil es weder für ehrenamtliche Bürgermeister noch für Mitglieder der Staatsregierung eine Altersgrenze gebe. Es sei auch nicht nachvollziehbar, weshalb der Gesetzgeber es noch bis zum Ablauf des Jahres 2019 bei der Altersgrenze von 65 Jahren belasse, obwohl er sich mit der Änderung des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 GLKrWG bereits für eine Altersgrenze von 67 Jahren entschieden habe.

2. Der Bayerische Landtag und die Bayerische Staatsregierung halten die Popularklage für unbegründet. Die Altersgrenze für berufsmäßige erste Bürgermeister und für Landräte diene der Sicherung eines effektiven und leistungsfähigen öffentlichen Dienstes, somit einem im Allgemeininteresse liegenden Ziel.

Die sachgerechte Erfüllung der zahlreichen und höchst verantwortungsvollen Pflichten der Landräte und der ersten Bürgermeister könne nur gelingen, wenn die Dienstfähigkeit sichergestellt sei. Es sei nach wie vor eine allgemeine Erfahrungstatsache, dass mit zunehmendem Alter die Gefahr einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit größer werde. Der Gesetzgeber habe bei der Einschätzung der Erforderlichkeit und Angemessenheit der Altersbegrenzung einen weiten Prognose- und Gestaltungsspielraum. Der Differenzierung wegen des Alters lägen sachgerechte Erwägungen zugrunde. Die Übergangsregelung rechtfertige sich sowohl aus der erst längerfristig uneingeschränkt wirkenden Verschiebung des Ruhestandsalters auf das 67. Lebensjahr bei Laufbahnbeamten als auch aus dem Schutz der Dispositionen von der Änderung der Altersgrenze betroffener Amtsinhaber, potenzieller Kandidaten sowie deren Partei oder Wählergruppe.

III.
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat die Popularklage am 19. Dezember 2012 abgewiesen. Die derzeit geltende Fassung des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 GLKrWG, nach der zum berufsmäßigen ersten Bürgermeister und zum Landrat nicht gewählt werden kann, wer am Tag des Beginns der Amtszeit das 65. Lebensjahr vollendet hat, ist mit der Bayerischen Verfassung vereinbar.

Zwei Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs haben ein Sondervotum abgegeben.

Zu der Entscheidung im Einzelnen:

Die Popularklage ist unbegründet.

1. Ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) wegen der Verletzung bundesrechtlicher Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ist nicht gegeben. Nach der Intention des Gesetzgebers soll die Altersgrenze des Art. 39 Abs. 2 Satz 2 GLKrWG gewährleisten, dass die Leistungsfähigkeit der berufsmäßigen ersten Bürgermeister und der Landräte über die gesamte Amtszeit andauert. Es sprechen gewichtige Gründe dafür, dass die Altersgrenze wegen der beruflichen Anforderungen gerechtfertigt ist (vgl. § 8 Abs. 1 AGG).

a) Die Kommunalgesetze weisen berufsmäßigen ersten Bürgermeistern und Landräten umfangreiche Aufgaben im Hinblick auf die Verwaltung und Vertretung der Gemeinden und Landkreise zu. Die damit verbundene Verantwortung verlangt, soll sie ordnungsgemäß und wirkungsvoll wahrgenommen werden, ein erhebliches, den Durchschnitt übersteigendes Maß an Arbeitseinsatz, Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit im Sinn physischer und psychischer Belastbarkeit. Der erforderliche, der gewissenhaften Erfüllung der Amtspflichten geschuldete Einsatz ist nicht nur umfangreich, sondern insbesondere nicht oder nur begrenzt absehbar und dementsprechend nicht steuerbar. Vieles lässt sich zeitlich nicht frei disponieren, mitunter sind unaufschiebbare Entscheidungen zu treffen. Eine „geregelte“ Arbeitszeit ist den Anforderungen des Amts fremd.

Die wesentliche Bedeutung der unbeeinträchtigten Leistungsfähigkeit eines berufsmäßigen ersten Bürgermeisters oder eines Landrats erschließt sich auch anhand der gesetzlichen Vertretungsregeln. Diese sehen bei den berufsmäßigen Bürgermeistern im Regelfall, bei den Landräten stets eine lediglich ehrenamtliche Vertretung vor. Der Gesetzgeber durfte daher in seine Überlegungen einbeziehen, dass ehrenamtliche Vertreter regelmäßig nicht in der Lage sein werden, den (zeitlichen) Anforderungen einer hauptamtlichen Tätigkeit mittel- oder gar längerfristig Rechnung zu tragen.

b) Die Normierung einer Altersgrenze für berufsmäßige erste Bürgermeister und für Landräte soll zu einer effektiven und kontinuierlichen Amtsführung beitragen und verfolgt damit einen rechtmäßigen Zweck. Sie ist auch angemessen im Sinn des § 8 Abs. 1 AGG.

aa) Der Gesetzgeber geht davon aus, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung mit zunehmendem Alter die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit steigt. Aus neueren tatsächlichen Erkenntnissen über die Leistungsfähigkeit Älterer ergibt sich nichts, was eine andere Einschätzung hätte gebieten müssen. Die in verschiedenen Veröffentlichungen wiederholt getroffene Feststellung, ältere Arbeitnehmer seien nicht weniger, sondern anders leistungsfähig, bezieht sich im Wesentlichen auf den Personenkreis der etwa 55- bis 64-Jährigen. Die angegriffene Altersgrenze lässt demgegenüber eine Ausübung des Amts deutlich über das 64. Lebensjahr hinaus zu, gegebenenfalls sogar bis in den Beginn des achten Lebensjahrzehnts hinein. Schon das steht einer uneingeschränkten Gültigkeit der gewonnenen Erkenntnisse für berufsmäßige erste Bürgermeister und für Landräte entgegen. Unabhängig davon zeigen die Untersuchungen, dass der Erhaltung der Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer auch positiv Rechnung getragen werden muss, etwa durch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit. Eine dementsprechende besondere Gestaltung der Arbeitsbedingungen wäre mit den Anforderungen des Amts eines berufsmäßigen ersten Bürgermeisters oder Landrats aber nicht vereinbar.

bb) Angemessen ist die Altersgrenze auch insofern, als sie nicht vom Einzelfall, sondern typisierend von einer generellen Vermutung altersbedingt beeinträchtigter Leistungsfähigkeit ausgeht. Dass ein berufsmäßiger erster Bürgermeister oder Landrat gegebenenfalls während der laufenden Wahlperiode wegen Dienstunfähigkeit entlassen oder in den Ruhestand versetzt werden kann, führt zu keiner anderen Beurteilung. Das Kommunalwahlrecht geht im Interesse der Kontinuität und Stabilität (auch) des exekutiven Handelns auf kommunaler Ebene von einer sechsjährigen Wahlperiode aus. Es ist deshalb angemessen, vorzeitigen Neuwahlen möglichst vorzubeugen.

2. Ebenso wenig verstößt die angegriffene Altersgrenze gegen das passive Wahlrecht (Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV), die Gewährleistung der allgemeinen Zugänglichkeit der öffentlichen Ämter (Art. 116 i. V. m. Art. 94 Abs. 2 Satz 1 BV) und die durch Art. 101 BV verbürgte Freiheit der Berufswahl.

3. Der Gleichheitssatz ist nicht verletzt.

a) Ein Verstoß gegen Art. 118 Abs. 1 BV ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass die Altersgrenze nur für berufsmäßige, nicht aber für ehrenamtliche erste Bürgermeister gilt. Zwar verbietet es der Gleichheitssatz, gleiche Sachverhalte in willkürlicher Weise ungleich zu behandeln. Der angegriffenen Regelung liegt jedoch eine sachgerechte Differenzierung zugrunde.

Nach der gesetzlichen Konzeption des Art. 34 Abs. 1 und 2 der Gemeindeordnung (GO) ist die berufsmäßige Ausübung des Amts des ersten Bürgermeisters abhängig vom Aufgabenkreis der Gemeinde (als Kreisverwaltungsbehörde) und von der Zahl der Einwohner. Hat die Gemeinde nicht mehr als 5.000 Einwohner, so sieht Art. 34 Abs. 2 Satz 2 GO den ersten Bürgermeister im gesetzlichen Regelfall als Ehrenbeamten, darüber bis zu 10.000 Einwohnern als Beamten auf Zeit. Abhängig von den Verhältnissen des Einzelfalls kann die Gemeinde Abweichendes durch Satzung beschließen. Mehr als 10.000 Einwohner führen zwingend zu einer berufsmäßigen Tätigkeit des ersten Bürgermeisters. Diese gesetzliche Regelung beruht auf der nachvollziehbaren Einschätzung, dass der im Amt des ersten Bürgermeisters geforderte Arbeitseinsatz zum gemeindlichen Aufgabenkreis, zur Einwohnerzahl einer Gemeinde und der daraus abgeleiteten Aufgabenfülle in einer unmittelbaren Beziehung steht. Der Gesetzgeber konnte daher davon ausgehen, dass das Amt des ersten Bürgermeisters in Gemeinden bis zu 5.000 Einwohnern regelmäßig nicht jenen besonderen Einsatz erfordert, der in größeren Gemeinden die angegriffene Altersgrenze rechtfertigt.

b) Bereits in seiner Entscheidung vom 29. April 1968 hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass die Altersgrenze für berufsmäßige erste Bürgermeister nicht deshalb gegen den Gleichheitssatz verstößt, weil es für die Mitglieder der Staatsregierung keine Altersgrenze gibt. Neue Erkenntnisse, die zu einer anderen Beurteilung Anlass geben müssten, haben sich seither nicht ergeben. Ergänzend ist darauf zu verweisen, dass bei den Mitgliedern der Staatsregierung im Krankheitsfall eine hauptberufliche Vertretung zur Verfügung steht, während berufsmäßige erste Bürgermeister im gesetzlichen Regelfall und Landräte stets lediglich ehrenamtliche Vertreter haben.

c) Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass der Gesetzgeber die Altersgrenze bereits auf 67 Jahre angehoben, es aber übergangsweise für bis zum Ablauf des Jahres 2019 stattfindende Wahlen noch bei der Altersgrenze von 65 Jahren belassen hat.

Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu bestimmen, ob ein Rechtsgebiet der Novellierung bedarf und ab wann eine Neuregelung gelten soll. Die Bestimmung des Zeitpunkts für das Inkrafttreten eines Gesetzes bedarf daher im Regelfall keiner besonderen Rechtfertigung. Ein verfassungsgerichtliches Eingreifen kommt nur in Betracht, wenn hierbei äußerste Grenzen überschritten werden. Sowohl die Altersgrenze von 65 als auch diejenige von 67 Jahren steht für sich gesehen mit der Verfassung im Einklang. Die Altersgrenzen rechtfertigen sich gegenüber dem Grundrecht der passiven Wahlfreiheit durch das ebenfalls aus der Verfassung abgeleitete Gebot der Gewährleistung einer effektiven und durch Kontinuität geprägten Verwaltung. Weder das eine noch das andere verfassungsrechtliche Gut genießt gegenüber dem jeweils anderen einen besonderen Vorrang. Der Übergangsregelung liegen im Übrigen sachlich einleuchtende Überlegungen zugrunde. Sie dient u. a. dem Ziel, Eingriffe in bereits im Hinblick auf den im Jahr 2014 anstehenden allgemeinen Kommunalwahltermin getroffene Dispositionen der Amtsinhaber, der an einer Kandidatur Interessierten sowie der Parteien und Wählergruppen zu vermeiden.

Zwei Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs haben ein Sondervotum abgegeben. Sie sind der Auffassung, dass die angegriffene Altersgrenze von 65 Jahren im Hinblick auf ihre übergangsweise Geltung gegen Art. 118 Abs. 1 BV verstößt.

Bayerischer Verfassungsgerichtshof

Link: Bayern: Ab 2020 Höchstalter für Bürgermeister 67
Quelle: Pressemitteilung Bayerischer Verfassungsgerichtshof