15.12.2004 - von Hanne Schweitzer
AD-Gesetzentwurf erreicht fast internationales Niveau. Wo ist der Sekt? Ach was, Champagner muss her! Die Bundesregierung hat – zwar mit erheblicher zeitlicher Verzögerung -, aber gegen die erheblichen Widerstände aus der "Wirtschaft" den "Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien" vorgelegt, der über die Mindestanforderungen hinausgeht, die vom Rat der EU im Jahr 2.000 in seinen Richtlinien 78 und 43 und 73 für die EU-Mitgliedstaaten festgelegt wurden.
"Hoc erat in votis"
Der jüngste, nunmehr dritte Entwurf, der noch durch den Bundestag muss, enthält das Verbot von Diskriminierungen in Beruf und Beschäftigung.
Er enthält ausserdem das Verbot von (Alters)-Diskriminierung beim Abschluß von Verträgen, die als Massengeschäfte des Alltags gelten, etwa durch Banken und Versicherungen.
Ungleichbehandlungen wegen des Lebensalters, des Geschlechts, einer Behinderung, der Ethnie, der sogenannten Rasse, der Religion, der sexuellen Orientierung und der Weltanschauung sollen z.B. Versicherungen nur dann gestattet sein, wenn sie sich dabei auf eine versicherungsmathematisch genaue Risikobewertung stützen können. Das macht Sinn, und es dürfte der Versicherungswirtschaft schwer fallen, dagegen zu argumentieren.
Doch bevor wir die nächste Flasche entkorken:
Keiner weiß heute, wie sich der Gesetzentwurf lesen wird, nachdem er den parlamentarischen Prozeß durchlaufen haben wird.
Die Gegner eines umfassenden Antidiskriminierungsgesetzes jedenfalls sind zahlreich und einflußreich, und sie haben sich, ihre Mannen, Strohmänner und Argumente schon lange positioniert.
Als Steilvorlage diente 2001 jene Äußerung von Arbeitgeberchef Dieter Hundt. Der befürchtete in einem Interview mit der WELT "die Strangulierung der Wirtschaft", wenn hierzulande ein Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet werden würde, das über die Mindestanforderungen in den Richtlinien hinausginge.
Nikolaus Piper von der Süddeutschen Zeitung wurde am 1.12.04 mit einem gemäßigteren Kommentar ins Feld geschickt. Der Grundsatz der Gleichbehandlung, wie er im Grundgesetz festgeschrieben ist, gilt Piper darin lediglich als Übel, das die "Wirtschaft" und den "Standort" benachteiligt.
Nun ist die Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung allseits für ihre extrem neoliberale Einstellung bekannt. Entsprechend geht Piper ("die verschärfte Antidiskriminierungspolitik ist ein weiterer großer Schritt in die Überregulierung der Gesellschaft"), auch stillschweigend darüber hinweg, dass ausgerechnet die Staaten, in denen schon seit Jahrzehnten bürgerfreundliche Antidiskriminierungsgesetze gültig sind (Kanada, USA, Australien, Irland), selbst unter neoliberalen Hardlinern weder als überreguliert noch als bürokratisch monströs gelten.
Der Chef des deutschen Industrie- und Handelskammertags, Ludwig Georg Braun, erhielt in der WELT vom 1.12.04 Gelegenheit, seinen Senf zum neuesten Entwurf des Antidiskriminierungsgesetzes dazu zu geben. "Es handelt sich um einen erneuten Fall von Übererfüllung einer EU-Richtlinie zum Schaden der deutschen Wirtschaft", gab Herr Braun der Zeitung zu Protokoll. Der Gesetzentwurf berge "unkalkulierbare Risiken für den Mittelstand".
Diesem eher laschen Argument schickte Braun zwei Beispiele für die Auswirkung von Antidiskriminierungsgesetzen hinterher. 1. "Darf man etwa in einer Stellenanzeige für einen Nachrichtensprecher noch schreiben, daß ein Muttersprachler gesucht wird? 2. Kann man wenigstens noch akzentfreies Deutsch verlangen?"
Beide Beispiele appellieren deutlich an ausländerfeindliche Ressentiments und belegen vorzüglich nicht nur die Stimmung im Land, sondern auch, wie dringend wir Antidiskriminierungsgesetze brauchen.
Natürlich bietet auch die FAZ der "Wirtschaft" galant den Arm zum Agitationsspaziergang gegen ein umfassendes, bürgerfreundliches Antidiskriminierungsgesetz. "Die Gleichstellungsaktivisten halten nur so lange ihre Ideale hoch, wie es etwas zu gewinnen gibt," schreibt z.B. "apl" in der FAZ vom 20. 11.04.
Wo "apl" recht hat, hat er/sie recht, auch wenn seine Kombination von Idealen und Gewinn viel über seine Denkrichtung aussagt. Zu gewinnen gibt es aber tatsächlich jede Menge: Den Anspruch auf Gleichbehandlung in Beruf und Beschäftigung. Den Schutz vor direkter und indirekter Diskriminierung im Zivilrecht. Den Wegfall ungerechtfertigter Altersgrenzen. Denn niemand "apl", ist z.B. "schuld" an seinem Lebensalter. Lebensalter kann man nicht an die Börse bringen oder auf dem Markt verkaufen. Lebensalter ist biologische Realität, aber zunehmend auch soziales Merkmal. Und genau darum geht es. Um Chancengleichheit. Ein altes, bürgerliches Ideal!
Wir brauchen ein umfassendes und bürgerfreundliches Antidiskriminierungsgesetz. Wir brauchen es nicht zum Schaden der deutschen Wirtschaft, sondern - um in das Braun´sche Pathos einzustimmen - zum Wohl des deutschen Volkes – bzw. zum Wohl der BürgerInnen dieses Landes!
In den USA, Kanada, Australien, Irland, GB wird zur Verhinderung von Altersdiskriminierung im Berufsleben schon lange praktiziert, was für bundesdeutsche Arbeitgeber, aber auch für die meisten ArbeitnehmerInnen kaum vorstellbar ist. Nach der erfolgreichen Verabschiedung des Gesetzentwurfs gegen Diskriminierung im Berufsleben muss es aber demnächst auch hierzulande praktiziert werden:
1. Es wird unterschieden zwischen direkter und indirekter Altersdiskriminierung.
2. Es gilt das Verbot direkter oder indirekter Altersangaben in Stellenanzeigen und Stellengesuchen.
3. Es gilt das Verbot von direkten oder indirekten Altersangaben durch private wie öffentliche Arbeitsanbieter.
4. Während des gesamten Bewerbungsverfahrens ist die Frage nach dem Lebensalter nicht erlaubt.
5. Die erste Zeile in jedem deutschen Lebenslauf -"geboren dann und dann, dort und da" -ist ersatzlos gestrichen.
6. Bewerbungsunterlagen dürfen keine Fotos beigelegt werden. Das dient sowohl der Verhinderung von Altersdiskriminierung, als auch der Verhinderung von Diskriminierung wegen der sogenannten Rasse.
7. Löhne und Gehälter orientieren sich an der zu erbringenden oder erbrachten Leistung, nicht (automatisch steigend) am Lebensalter.
8. Bei Weiterbildung, Beförderung, Versetzung, Entlassung darf das Lebensalters nicht maßgebend sein.
9. Jede/r ArbeitnehmerIn kann wegen Altersdiskriminierung klagen.
10. Jede/r ArbeitnehmerIn hat bei erfolgreicher Klage Anspruch auf Schadenersatz.
Wir hoffen, das wir die Realisierung dieser Regeln noch erleben dürfen! Wo ist der Sekt? Ach was, Champagner muss her! Denn wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!
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15.12.2004: Antidiskriminierungsgesetz: Stellungnahme des BDA
15.12.2004: Der AD-Gesetzentwurf vom 15.12.04
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