Mülheim/Ruhr, 2012 Foto: H.S.
30.04.2014 - von Johannes Müllner
Ein persönlicher Eindruck vom rentenpolitischen Hearing des DGB 15.4.2014. Die von der Großen Koalition vereinbarten Änderungen in der Rentenpolitik sind ein Schritt in die richtige Richtung. So beurteilen die Gewerkschaftsvorstände besonders die abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren nach 45 Beitragsjahren. Tatsächlich werden
bei den vereinbarten Verbesserungen endlich wieder die Arbeitnehmerinteressen und die Ziele der Gewerkschaften berücksichtigt. Das ist ein beachtlicher Fortschritt.
Diese Tendenz war auch das Eingangsthema des rentenpolitischen Hearings des DGB am 15. April d.J. in Berlin. Frau Ministerin Andrea Nahles begründete ihre
Gesetzesvorschläge als Maßnahmen innerhalb des bestehenden Rentensystems und setzte sich kritisch mit den Gegenargumenten aus Kreisen der CDU/CSU und der Arbeitgeberverbände auseinander. Als zuständiges Vorstandsmitglied des DGB bekräftigte Annelie Buntenbach die Gewerkschaftsposition, räumte aber auch ein,
dass diese Änderungen nicht ausreichen. Die anschließende Diskussion im Podium und mit dem Publikum, an der Frau Nahles nicht mehr teilnehmen konnte, war hochinteressant.
Es ging nicht vorrangig um Zustimmung zu den Plänen, sondern um die entscheidende Frage "Was bewirken diese Änderungen? Wird mit diesen Maßnahmen die drohende Altersarmut bekämpft?"
Die im Podium vertretenen Abgeordneten der Bundestagsfraktionen bekräftigten ihre Positionen. Die Vertreter der Parteien "Die Linke" und der "Grünen" kritisierten überzeugend, dass mit den vorgesehenen Maßnahmen alle von Altersarmut Bedrohten, ohne 45 Beitragsjahre, weiterhin benachteiligt bleiben. Auch die große Zahl der prekär Beschäftigten kann nicht von den jetzt beschlossenen Änderungen profitieren.
Die Arbeitnehmer/innen mit 45 Beitragsjahren sind eine relativ kleine Gruppe künftiger Rentner/innen. Damit wird das Kernproblem, die gesetzlich gewollte und schrittweise
sich vollziehende Absen-kung des Rentenniveaus, nicht berührt.
In der Diskussion wurde immer deutlicher: Die vereinbarten Änderungen sind unzureichend, sie beseitigen nicht die eigentliche Gefahr für die ältere Generation. Das
Rentensystem selbst müsse geändert werden durch eine sofortige Stabilisierung des Renteniveaus, mindestens auf den heutigen Stand von rund 50 %. Diesen Schritt
dürfe man nicht auf die lange Bank schieben, er müsse noch in dieser Legislaturperiode durchgesetzt werden. Diese Position fand auch die Zustimmung des DGB.
Die Hamburger DGB-Senioren haben bekanntlich seit Jahren für ihre Position gekämpft, das Rentenniveau müsse unbedingt stabilisiert werden. Das sei die wichtigste Voraussetzung, um eine flächendeckende Altersarmut zu verhindern. Dieser Einschätzung hat sich inzwischen der gesamte DGB-Bezirk Nord angeschlossen und eine entsprechende Positionierung des DGB-Bundeskongresses
gefordert.
Um dies zu unterstreichen, habe ich mich auf dem Hearing zu Wort gemeldet und darauf hingewiesen, das Problem sei nicht allein das Rentenniveau, so wichtig seine
Stabilisierung auch ist. Für mich sei es erschreckend, dass viele Betroffene resigniert hätten und es offenbar für die Gesellschaft kein Thema mehr ist, dass seit Jahrzehnten auch die Kaufkraft der bestehenden Renten systematisch verringert wird. Ein bezeichnendes Beispiel sei die diesjährige Westrenten-Erhöhung von 1,7 % im
Vergleich zu den Tariferhöhungen von über 3%. Gesellschaft und Politik haben sich offenbar mit der Abwertung der so genannten Bestandsrenten abgefunden. Diese Entwertung der Renten sei bisher im Hearing mit keinem Wort erwähnt worden. In der Schlussrunde der Diskussion bedankte sich der Abgeordnete, der "Linken" ausdrücklich bei mir, dass ich diesen Aspekt noch erwähnt habe.
Trotz der problematischen Thematik war das Hearing für mich eine konstruktive Veranstaltung. Sie hat eindrucksvoll die unterschiedlichen Positionen deutlich werden lassen: Auf der einen Seite die offizielle politische Linie, die nicht bereit ist, das System selbst in Frage zu stellen. Auf der anderen Seite die Forderung der parlamentarischen Opposition und des DGB, auch das Rentensystem selbst unbedingt und möglichst schnell zu ändern, indem das Rentenniveau stabilisiert wird und die
bestehenden Renten direkt an die Lohnentwicklung angekoppelt werden. Es sind also zwei gesetzliche Maßnahmen, die für die effektive Bekämpfung der Altersarmut entscheidend sind und von den Gewerkschaften unbedingt mit allem Nachdruck durchgesetzt werden müssen. So begrüßenswert die abschlagsfreie Rente mit 63 auch ist, sie verhindert nicht die breit angelegte, von der Politik gewollte Absenkung des Lebensstandards heutiger und künftiger Rentnergenerationen.
Weitere Artikel, nach dem Datum ihres Erscheinens geordnet, zum Thema
Rente:
25.04.2014: Über 90Jährige: 14% weniger vorhanden als angenommen
11.04.2014: Rentner verarmen staatlich gewollt
07.04.2014: Sozialrichter nehmen Klagen von Rentnern nicht ernst
Alle Artikel zum Thema
Rente