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Offener Brief wg. Griechenland an Martin Schulz

15.06.2015

Prof. Dr. Elmar Altvater, emeritierter
Professor für Politikwissenschaft, hat am 8.6.2015 einen Brief an den Präsidenten des Europaparlaments Martin Schulz, MdEP Strasbourg / Alsdorf/ europabuero@martin-schulz.eu geschrieben.

... nicht in meinem Namen!
Sehr geehrter Herr Präsident des Europaparlaments,
sehr geehrter Herr Schulz,

Sie haben, so lassen Sie verlauten, „die Faxen dicke“. Sie fordern
die Syriza-Regierung Griechenlandsauf, die „Verzögerungen und Spielchen“ zu beenden, die „ideologische Verbohrtheit aufzugeben“ und endlich auf die Gläubiger-Forderungen "einzulenken“.

Als Martin Schulz aus Würselen steht es Ihnen frei, beim Griechen-Bashing mit zu machen. Aber dem Präsidenten des Europaparlaments
muss ich unmissverständlich mittteilen: Sie sprechen nicht in meinem Namen!

Ihre Tiraden sind wohl bereits Teil einer Kampagne, einen „Grexit“ mit entsprechenden Schuldzuweisungen an die Syriza-Regierung vorzubereiten. Der von der politischen Elite im Euroraum ungeliebten Linksregierung Griechenlands wird die Schuld am dann eintretenden Debakel aufgehalst. Denn wer Schulden hat und sich noch dazu den Luxus einer Linksregierung leistet, trägt Schuld.

Ein Präsident des Europaparlaments sollte Bürgerinnen und Bürger, Wählerinnen und Wähler vertreten und nicht das Geld der Gläubiger. Er sollte sich um rationale Argumente bemühen und nicht Vorurteile bedienen.

Die Forderungen der Gläubiger Griechenlands sind ja erst durch einen Schuldenschnitt bei den großen privaten Banken und Fonds kreiert worden. Schulden wurden sozialisiert, damit private Geldforderungen deutscher und französischer Banken etc. werthaltig
in der Bilanz bleiben konnten. Die Schulden eines souveränen Staates hingegen müssen bedient werden,bis die ausgepowerten Bürgerinnen und Bürger „quietschen“, wie Ihr Parteifreund Wowereit [der langjährige SPD-Bürgermeister von Berlin], einst mitteilte.

Als Parlamentspräsident sollten Sie sich für einen Ausgleich der durch die Verschuldungskrise sichtbar gewordenen Risse einsetzen, die durch die europäischen Gesellschaften gehen, anstatt die „Athener Linken“ zu foulen und insbesondere den griechischen Finanzminister Varoufakis anzupöbeln. [...] Ein Ausgleich bedeutet zweifellos, dass Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen [...] verzichten.

Die Kosten einer geregelten Reduzierung der Schulden wären noch zu verschmerzen. Nicht aber die einem Bankrott folgende Chaotisierung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen weit über Griechenland und den Mittelmeerraum hinaus.

Ihre einseitigen Schuldzuweisungen an die derzeitige Regierung
Griechenland fördern die Spaltung Europas. Denn dabei wird unterschlagen, dass auch die Gläubiger Verantwortung für die Verschuldungtragen, also nicht nur Griechenland als Schuldner, sondern auch Frankreich, Deutschland und andere Länder und deren Konzerne als Gläubiger.

Die von der Troika bzw. von den „Institutionen“ den Griechinnen und Griechen abverlangte Austerity hat das Land in Armut und sogar Elend gestürzt. Trotzdem fordern Sie von der griechischen Regierung, sie solle die „ausgestreckte Hand“ der Institutionen
endlich ergreifen. Der Wählerauftrag, die durch die „Institutionen“ der Troika herbeigeführte Massenverarmung in Griechenland zu beenden, zählt nicht.

Sie verlangen von einer gewählten Regierung in Griechenland, dass sie den Wählerauftrag verrät, um so allen Versuchen in Europa, politische Alternativen gegen die Austerity zu entwickeln, die Vergeblichkeit vor Augen zu führen. Verfolgen Sie die Linie Thatcher, Herr Schulz – „there is noalternative“ - auch wenn Bildungs- und Gesundheitssystem und die Zukunftschancen der Jugend vor die Hunde gehen?

Der Sinn einer Beteiligung an Europawahlen ist nicht mehr ein zu sehen, wenn doch die Austerity-Auflagen alternativlos sind.[...] Kein Wunder, dass sich politikverdrossene Stimmungen ausbreiten. Denn wenn die Austerity-Zwänge des Geldes in Europa mehr wiegen als die Interessen und das Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger, braucht man keine Wahlen. Dann kann man den „Institutionen“ alle Macht erteilen, kann man auf das Parlament verzichten und auf dessen Präsidenten erst recht.

Mit großer Enttäuschung
Ihr
Elmar Altvater

online-Ausgabe FaktenCheck: HELLAS Nummer 3 Juni 2015
Quelle: labournet.de.