03.09.2017
Zeitreise im Museum Folkwang: 1.
Über die Rote Armee Fraktion und den Deutschen Herbst 1977 ist aus journalistischer, historischer, literarischer und filmischer Perspektive viel geschrieben und erzählt worden. Der Fotograf und Bildarchäologe Arwed Messmer widmet sich in seiner neuen Arbeit aus fotografischer Sicht diesem Kapitel der bundesdeutschen Geschichte. Arwed Messmers Ausgangspunkt sind die bisher unbeachtet gebliebenen unterschiedlichen Aufnahmen von Polizeifotografen – Fotos von Demonstrationen, Tatortbilder und erkennungs-dienstliche Aufnahmen –, die er in verschiedenen staatlichen Archiven gesichtet hat. Messmer stellt die Frage, wie diese ehemalige kriminalistische Spurensuche heute als künstlerische Recherche produktiv werden kann – im Sinne einer anderen Erkenntnis dieser Zeit.
Die damalige gesellschaftliche Debatte über die Studentenproteste 1967 und die spätere terroristische Abspaltung wurde erbittert in den Medien geführt. Von der Roten Armee Fraktion existiert eine Vielzahl von Bildern, doch nur einige wenige sind in Erinnerung geblieben. Kannte die Generation der 1970er Jahre noch die Aufnahme des toten Holger Meins oder die 1978 im Stern veröffentlichten Fotografien der „Todesnacht“ in Stammheim, so denkt man heute eher an die Raster der Fahndungsplakate oder an das Videostill und die Polaroid-Aufnahmen des von der RAF entführten Hanns-Martin Schleyer im sogenannten Volksgefängnis. Diese Bilder gehören zum kollektiven Gedächtnis der Deutschen. Doch mit der Konzentration auf einige wenige Bilder, geht auch eine Verarmung historischer Zeugenschaft einher.
Messmers Erzählung spannt den Bogen von den Jahren 1967 bis 1977, von den Anfängen der RAF hin zur multiplen Gewaltentladung des Jahres 1977, der Entführung und Ermordung von Hanns-Martin Schleyer und dem Tod von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in der JVA Stammheim. Arwed Messmers Methode des zweiten Blicks fördert Bilder zutage, die zuvor größtenteils noch nicht veröffentlicht worden sind und die sich auf den Filmstreifen neben den bekannten Aufnahmen befinden – etwa jener Aufnahmen aus Stammheim, die später, veröffentlicht unter anderem im Stern, zu Ikonen geworden sind. Oder er entdeckt auf Aufnahmen der Berliner Schutzpolizei aus dem Jahr 1967 die Szene des sterbenden Benno Ohnesorg am 2. Juni, ein Tod vor laufenden Kameras. Der Polizeifotograf hielt die ganze Szene fest – hierin unterscheidet er sich vom Journalisten, der immer verdichten und weglassen muss. Ihre ursprüngliche Funktion haben diese Aufnahmen gegen eine andere dokumentarische Qualität eingetauscht. Somit hat Messmers Arbeit auch eine bildethische Dimension: Welche Aufnahmen darf man zeigen, wie kann man sie zeigen, warum sollen wir sie sehen? Dies rührt an einen zentralen Punkt in der Debatte über Bilder, die einerseits historische Dokumente sind, andererseits ihre eigene Ästhetik und ein großes, kaum steuerbares Potential für die empathische Auseinandersetzung mit Geschichte aufweisen.
Seit mehr als 10 Jahren arbeitet Arwed Messmer mit fotografischem Archivmaterial, das seinen eigentlichen, funktionalen Wert eingebüßt hat, nicht selten visueller Ausschuss der Geschichte geworden ist – und dem der Künstler nun neue Leseweisen abgewinnt. In Zusammenarbeit mit Annett Gröschner erschien 2016 die Neuauflage des vielbeachteten Bandes Die Inventarisierung der Macht. Die Berliner Mauer aus anderer Sicht. Zuletzt legte er den Band Zelle/Cell vor, der die Entführung des Politikers Peter Lorenz 1975 mit vergleichbarem Bildmaterial der Polizei nachzeichnet.
Für sein Projekt zur Erforschung der staatlichen Bildarchive zur RAF wurde Arwed Messmer 2014 mit dem Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stipendium für Zeitgenössische Deutsche Fotografie ausgezeichnet.
Arwed Messmer dankt dem Bundesarchiv, dem Staatsarchiv Ludwigsburg und der Polizeihistorischen Sammlung Berlin für die Kooperation und der Stiftung Kunstfonds und der VG Bild-Kunst für die freundliche Unterstützung.
In Kooperation mit der Biennale für aktuelle Fotografie. Gefördert von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung.
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Zeitreise im Folkwang 2:
Neben der RAF-Ausstellung sei auch die von Peggy Buth empfohlen: "Vom Nutzen der Angst" ist ebenfalls noch bis zum 3. September 2017 im Folkwang zu sehen. Auch diese Ausstellung braucht Zeit. Peggy Buth steht mit ihren Arbeiten in der Tradition einer kritischen dokumentarischen Kunst, wie sie von Hans Haacke und Harun Farocki betrieben worden ist. Für ihr Konzept "Vom Nutzen der Angst" hat die Künstlerin 2014 das Stipendium für Zeitgenössische Fotografie der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung erhalten.
In drei Kapiteln berichtet Buth von sozialen Utopien und wirtschaftlichen Interessen, von der Einbeziehung und Ausgrenzung von Menschen, von Hoffnung aber auch von Diskriminierung und Verleumdung. Ihren Ausgangspunkt nimmt Buths künstlerische Arbeit 2013/14 in der nördlichen Pariser Vorstadt. Stadtviertel wie La Courneuve stehen für den Aufbruch in den 1960er Jahren, als nach dem Ende von Kolonialisierung und Algerienkrieg Generationen von Migranten aus Afrika und dem Maghreb dort angesiedelt worden sind. Buths Videos und Projektionen im ersten Raum der Ausstellung zeigen die Zerstörung dieser als Ghettos in Verruf geratenen Viertel in den vergangenen Jahrzehnten und die Perspektiven dieser Tage, die auf die Errichtung lukrativer Eigenheimsiedlungen setzen.
Peggy Buth führte ihre Arbeit 2015 fort und recherchierte zu Projekten des sozialen Wohnungsbaus im US-Bundesstaat Missouri. Auch dort zeichnet die Künstlerin eine Geschichte der gescheiterten Utopien und der wachsenden Diskriminierung nach. In der fotografischen Arbeit MLK Blvd steht der Martin Luther King Boulevard für die Emanzipation der Afroamerikaner in den 1960er Jahren. Er ist auch Sinnbild der heutigen urbanen Realität und ihrer sozialen Ungerechtigkeit, Diskriminierung und Paranoia. Von dem urbanistischen Modellprojekt Pruitt-Igoe, das bereits in den 1950er Jahren in St. Louis errichtet worden ist, bleibt nur die Erinnerung der einstigen Bewohner, wie dies in Buths Film PRUITT IGOE REUNION-GALA zum Ausdruck kommt.
Für Ruhrgebietler besonders interessant sind Buths Arbeiten über die urbane Situation in Essen und das Ruhrgebiet und Diskussion über die sozial deklassierten Stadteile des Essener Nordens. So sucht das Video "Leute wie wir" nach den Ursachen für die unterschiedlichen Formen der sozialen Ausgrenzung vor Ort. Es stellt Fragen zur Relevanz von Solidarität und Empathie, zur Konstruktion und Funktion des Arbeiter-Mythos und reflektiert die Bedeutung der Arbeit während der (De-) Industrialisierung und Globalisierung. Andere Arbeiten verweisen auf die historischen Verflechtungen und Verwerfungen, die auf die über Jahrzehnte hinweg herrschende Unternehmenskultur der Friedrich Krupp AG zurückzuführen sind.
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Zeitreise im Folkwang 3:
Die Dritte, zu der der Eintritt ebenfalls frei ist, zeigt Dabei handelt es sich um "San Francisco 1967 - Plakate im Summer of Love" Die Hippie-Bewegung fand mit dem Summer of Love 1967 in San Francisco ihren Höhepunkt. Zum 50. Jubiläum widmet das Museum Folkwang der Hippie-Kultur im Sommer 2017 eine umfangreiche Ausstellung. Rund 250 psychedelische Plakate – ergänzt durch Fotografien, Schallplattencover und Konzertkarten – ermöglichen einen umfassenden Einblick in diese wichtige Umbruchphase. San Francisco 1967 ist die bisher größte Plakatausstellung zum Summer of Love in Europa überhaupt.
Vor dem Hintergrund schwerer Rassenunruhen, dem Vietnamkrieg und einer konsumorientierten Gesellschaft, entwickelte sich in San Francisco der 1960er Jahre eine Gegenkultur, die nach neuen Wegen im Zusammenleben von Menschen und Staaten suchte. Neben dem Dresscode war es vor allem die Musik von Jefferson Airplaine, The Grateful Dead, The Doors oder Jimi Hendrix und Janis Joplin, die der Bewegung Ausdruck verlieh. Geworben wurde vor allem mit Plakaten. Dem psychedelischen Plakat – der richtungsweisenden visuellen Hinterlassenschaft jener Jahre um 1967 – widmet sich diese Ausstellung. Gezeigt werden 246 Plakate, ergänzt durch Theaterzettel, Konzerttickets, Schallplattencover, Soundeffekte und der Installation einer originalen Joshua Light Show von 1967. Die Themenfelder der Ausstellung rücken Vietnamkrieg, Musikkultur, afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung, sexuelle Befreiung und Alltagskultur in den Fokus.
Den Künstlern ist es in kürzester Zeit gelungen, einen völlig neuen Stil zu kreieren: Europa diente unter anderem mit Elementen des Jugendstils und der Wiener Sezession als Inspirationsquelle. Auch die zeitgenössische amerikanische Kunst und neue Strömungen wie etwa die Pop Art griffen namhafte Plakatkünstler und Designer wie Victor Moscoso, Bonnie MacLean, Gary Grimshaw, Lee Conclin, Bob Schnepf und andere auf. Die Plakate belegen, dass die Hippiekultur – jenseits aller verkürzenden Klischees – sich in vielen unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen engagierte. Sie dokumentieren in ihren Formen, Farben und Themen eine ungewöhnliche Zeit voller Ideale. Die Designs des psychedelischen Plakats gehören zu den kreativen Höhepunkten der Plakatgeschichte.
Ermöglicht wurde diese Ausstellung durch Leihgaben des Hannoveraner Sammlerpaares Lutz Hieber und Gisela Theising.
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