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31.12.2010 - von Hanne Schweitzer
Die gesetzlichen Krankenkassen und ihre Milliardendefizite bzw. Milliardengewinne oder: Gesundheitsfonds und Gesundheitswesen - ihre Heiler, Helden, Hehler oder: Murks und Co. Wer sagt was? Fordert warum? Dementiert? Droht, fällt um, wird über den Tisch gezogen, verdient? Das Jahr 2010!
12.11.2010:
Der Bundestag beschließt mit 306 gegen 253 Stimmen der SPD, Linken und Grünen das GKV-Finanzierungsgesetz. Nach Meinung von Herrn Rösler hat der Bundestag "wesentlich dazu beigetragen, das Gesundheitssystem im Allgemeinen und die Krankenhausversorgung im Besonderen auch in Zukunft finanzierbar zu erhalten". Außerdem leiste die Bundesregierung dadurch "einen Beitrag zu Wachstum und Beschäftigung, in ein System mit mehr Wettbewerb und Solidarität. Die Versicherten werden nach dem Willen von CDU/CSU und FDP künftig alle Kostensteigerungen durch einkommensunabhängige Zusatzbeiträge alleine zahlen müssen. Die Arbeitgeber sind aus dem Schneider, die Demontage der sozialen Krankenversicherung wird fortgesetzt. Das GKV-Finanzierungsgesetz fordert den rundum erfassten Bürger. Nur dieser bekommt, solange die Gelddruckmaschinen noch laufen, einen Teil der in naher Zukunft zu erwartenden Kopfpauschale erstattet. In den Niederlanden wurde schon 2006 die Kopfpauschale eingeführt. Folge: Vier Jahre später benötigen 75% der Versicherten eine staatliche Beihilfe zum Krankenkassenbeitrag. Das Gesundheitswesen frisst den Staat. Das ist so gewollt. Dazu Günter Dibbern, Ex-Vorstandschef der DKV in einem Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger am 28.12.2010: "Die Gesellschaft muss lernen, dass für Gesundheit immer mehr Geld ausgegeben werden muss ... In Kombination einer älter werdenden Bevölkerung und der Personalintensität dieses Dienstleistungssektors ergibt sich daraus, dass in allen weit entwickelten Volkswirtschaften ein deutlich steigender Anteil des Sozialprodukts für das Thema Gesundheit verwendet werden muss."
10.11.2010
Frank-Walter Steinmeier wirft der wespenfarbigen Bundesregierung vor, mit der Gesundheitsreform den inneren Frieden zu gefährden. "Es war immer unsere Stärke, dass medizinische Leistungen jedem zugutekamen, wir dürfen nicht übersehen, dass sich das jetzt ändern soll", sagte Steinmeier.
29.10.2010
„Unsere wesentlichen Ziele sind erreicht“, sagte Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) am 29.10.2010. Die Beiträge der Pflichtversicherten werden um 6,3 Milliarden Euro erhöht. Außerdem zahlen die Steuerzahler 2 Milliarden Euro für die, die die Zusatzbeiträge der Krankenkasse nicht aufbringen können. Kassen und Pharmahersteller handeln die Preise für neue Arzneien untereinander aus. Die Bestandsgarantie für Hausärzte, die den Kassen zu teuer sind, werden von Ende 2012 bis Mitte 2014 verlängert. Die Apotheker sollen 200 Millionen Euro sparen. Damit sie das tun, wird ihr Abschlag auf die Rezeptgebühr zunächst für zwei Jahre von 1,75 Euro auf 2,05 Euro erhöht.(?) Bevor die "Gesundheitsreform" genannten Gesetze am 12. November 2010 im Bundestag abgesegnet wurden, hatte die wespenfarbige Bundesregierung noch ein bisschen daran herum gefeilt. So bekommen die Kassenärzte 120 Millionen Euro mehr, um Unwägbarkeiten der Honorarreform auszubügeln. Das muss man sich merken. Unwägbar, das bedeutet: nicht zu berechnen, nicht abzuschätzen. Eine unwägbare Honorarreform ist demnach eine, deren Folgen nicht berechenbar sind. Warum ist das so? Das kann man doch nicht glauben. Dass das Heer hochdotierter Gesundheitsexperten zu blöd ist, um die Folgen einer Honorarreform exakt zu berechnen. Reform, das bedeutet doch Verträge, bürgerliches Recht. Vergiss es! Manchen Kassenärzten bringen die Unwägbarkeiten der Honorarreform jedenfalls Gewinn. In "einigen Regionen" dieses gesundheitsreformgestressten Landes werden einige Ärzte mit Kassenzulassung, die wegen der Unwägbarkeiten " eventuell weniger" oder "kaum mehr" als vor der "Reform" verdienen, einen Zuschlag erhalten. 120 Millionen. Es sind ja die Pflichtversicherten, die zahlen.
Berechenbarer als die Unwägbarkeit der Honorarreform ist die Grundlohnrate. "Die Grundlohnrate definiert die Zuwachsobergrenze für die Landesbasisfallwerte und limitiert damit die Geldmittelbereitstellung für stationäre Leistungen. Aha! Klar ist: Es gibt keinen "medizinisch logischen Zusammenhang zwischen der Lohnentwicklung und dem Bedarf an Gesundheitsleistungen". Aha. Aber ---: Die Grundlohnrate steigt. 2011 war ihr Anstieg (von wem, das wissen wir nicht), auf 0,5 Prozent geschätzt worden. Mittlerweile ist aber amtlich, dass sie auf 1,15 Prozent gestiegen ist. Dadurch haben Kliniken und Zahnärzte mehr in der Kasse. Dadurch steigen aber, warum auch immer, die Ausgaben der Kassen. Das Dumme daran: Die Einnahmen der Kassen steigen durch das Steigen der Grundlohnrate aber noch lange nicht. Weil die Beiträge der Pflichtversicherten ja bekanntlich in den Gesundheitsfonds "fließen", werden die Kassen, entgegen aller bisherigen Versicherungen, nun wohl doch schon 2011 Zusatzbeiträge erheben. Die Steigerung der Grundlohnrate ist dafür ein guter Grund. Lapidar dazu die FAZ vom 29.10.2010: "Im Gesundheitsministerium wird diese Sorge nicht geteilt."
28.10.2010
Gefeilt hat die Bundesregierung auch an der Aufnahme von Medikamenten in den Leistungskatalog. Die Hersteller von Medikamenten sollen nun den Nutzen bzw. die Qualität eines Medikaments nachweisen, damit es in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen wird. Bisher waren Wunsch und Wille der Bundesregierung ein anderer. Der Gemeinsame Bundesausschuss von Krankenkassen und Ärzten sollte den Herstellern nachweisen, dass ein Medikament "unzweckmäßig" sei. Dadurch wäre es aber nicht mehr möglich gewesen, einem Medikament die Aufnahme in den Leistungskatalog zu verweigern. Auch bei den "Waisenmedikamenten" machte die Bundesregierung einen Rückzieher. Diese Medikamente für seltene Erkrankungen wollte die Regierung ursprünglich überhaupt nicht mehr auf ihren Nutzen prüfen lassen. Nun werden sie geprüft. Allerdings erst dann, wenn der Umsatz eine bestimmte Grenze erreicht hat. Wieder so eine Unwägbarkeit.]"Die Finanzierung des Sozialausgleichs über Steuermittel ist gesichert." BMG-Pressesprecher Christian Lipicki, dpa, 21.9.2010[/b]
15.10.2010
Kann sein, dass Sie gar nicht so gesund sind, wie Sie bisher gedacht haben. Innerhalb eines Jahres ist die Zahl der Kranken mit Diabetes plus Nierenschäden um 17,4 Prozent gestiegen. An Arterienverkalkung litten mehr als 17,1 Prozent der gesetzlich Versicherten, als im Jahr zuvor. Ursache dafür ist - der Gesundheitsfonds. Dieses Monster spuckt nämlich mehr Geld für die Krankenkassen aus, wenn sie mehr kranke Patienten vorweisen können. Also werden die (und vielleicht auch Sie) per Kodierung einfach kränker gemacht. Wie der Trick funktioniert? siehe den Panorama-Beitrag vom 14.10.2010 unterLink
5.10.2010:
Der Schätzerkreis der gesetzlichen Krankenversicherungen schätzt, dass der Gesundheitsfond aufgrund der besseren konjunkturellen Entwicklung in diesem Jahr, voraussichtlich 1 Milliarde Euro mehr einnehmen wird als er noch im Frühjahr geschätzt hat. Der Schätzerkreis schätzt die Einnahmen auf 173,50 Milliarden Euro. Bei den Krankenkassen schätzt der Schätzerkreis die Ausgaben für dieses Jahr auf 172,4 Milliarden Euro. Davon sollen 170,3 Milliarden Euro durch Zuweisungen aus dem Gesundheitsfond gedeckt werden. Nicht berücksichtigt bei den Schätzungen sind weitere Einnahmen der Krankenkassen wie zum Beispiel Zusatzbeiträge.
5.10.2010
Erinnern Sie sich noch? Da war doch mal die Sache mit der elektronischen Gesundheitskarte. Hat man lange nichts mehr von gehört. Das ist beunruhigend.
4.10.2010
500 Millionen mehr an Honorar für die 150.000 niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten im Jahr 2011. Das ist das Ergebnis der Honorarvereinbarung zwischen Krankenkassen und Kassenärztlicher Bundesvereinigung vom 4.10.2010. Das Bundesgesundheitsministerium begrüßte es mit den Worten: Die Selbstverwaltung habe ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Warum auch etwas zur Summe sagen? 500 Millionen, pöh, Peanuts. Und was die Selbstverwaltung da ausgeklüngelt hat, zahlen ja eh die Versicherten. Zusätzlich bekommen aber alle Ärzte 2011 noch eine Grunderhöhung von 0,75 Prozent = 180 Millionen Euro und dazu noch ca. 350 Millionen Euro für weitere Leistungen! Welche auch immer das sein mögen! Die Weiterbildung der Ärzte wird zu 90% von Pharmafirmen finanziert.
Damit belaufen sich die Honorarsteigerungen für die 150.000 Ärzte im Jahr 2011 auf eine Milliarde Euro. Teilen wir mal die Zahl von einer Milliarde durch 150.000, ergibt sich pro Arzt im nächsten Jahr eine Erhöhung seines Einkommens durch die Behandlung von gesetzlich Versicherten PatientInnen von 6.666,6 Euro, oder rund 555 Euro pro Monat im Jahr 2011. Mit der Realität der Ärzteeinkommen hat diese Zahl jedoch nichts zu tun. Die Einnahmen durch PrivatpatientInnen kommen noch dazu, auch erhält nicht jeder Arzt die gleiche Erhöhung. Kinderärzte z.B. gehören zu den Geringverdienern. Maschinenärzte, die fast ausschließlich Geräte zur Diagnose oder Behandlung einsetzen, sind Vielverdiener. (siehe: Einnahmen, Aufwendungen und Reinertrag bei Arztpraxen. Niedergelassene Ärzte ohne Zahnärzte, 2007. Link
Man kann es kaum glauben, aber die Ärztefunktionäre sind mit dem Verhandlungsergebnis nicht zufrieden. Der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung monierte, das die 180 Millionen Euro der Grunderhöhung noch nicht definitiv gesetzlich beschlossen und die 350 Millionen für weitere Leistungen(welche das wohl sein könnten???) nur geschätzt seien. Andreas Köhler, Präsident der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, appellierte (!) sogar an die Politik, die Grunderhöhung doch bitte zu erhöhen.
2.10.2010:
Verteidigungsminister Guttenberg kommentiert die unentwegte Gesundheitsreform in einer Rede in Berlin: "Wir sind in Teilen auch heute noch eine blockierte Gesellschaft, die sich den Luxus leistet, jahrelang über Ladenschlusszeiten und Gesundheitsprämien zu streiten." Mit "Gesundheitsprämien", so darf man vermuten, meint der Minister die Zusatzprämien zum Krankenkassenbeitrag, bzw. die geplante Kopfpauschale. Bei der Kostensteigerung im Gesundheitssystem wird übrigens die demografische Entwicklung propagandistisch überbewertet. Der demografische Faktor beträgt beim Kostenzuwachs lediglich ca. 1,2-1,4% pro Jahr. Und seit ca. 30 Jahren ist der Anteil der Gesundheitskosten am BIP gleich geblieben.
27. 9. 2010
Am Gesundheitswesen soll die Biomedizin genesen, könnte man schlussfolgern, wenn man sich die hehren Worte zu Gemüte führt, die der Staatssekretär im Gesundheitswesen, Stefan Kapferer, zur Eröffnung einer Workshop genannten, zweitägigen Tagung der OECD in Berlin sprach. Finanziert wurde der Workshop für 70 Beteiligte vom Bundesministerium für Gesundheit und der kanadischen Regierung. Der Titel lautete: „Better Health through Biomedicine – Innovative Governance“ (Bessere Gesundheit durch Biomedizin - Innovative Steuerungsmechanismen). Wie immer ging es darum, die Profitinteressen der Industrie als "besseren Zugang zu biomedizinischen Innovationen wie Gendiagnostik, kardialer Stammzelltherapie oder individualisierter Arzneimitteltherapie"[/i]) zwecks "hochqualitativer und bezahlbarer Gesundheitsversorgung" zu verkaufen. Staatssekretär Stefan Kapferer wusste, was von ihm erwartet wurde: "Die Zukunft des Gesundheitssystems in Deutschland wird entscheidend von einer gelungenen Balance zwischen Innovation und Kostenkontrolle abhängen. Dafür ist es notwendig, die biomedizinischen Entdeckungen der jüngeren Vergangenheit unter Wahrung notwendiger Standards für Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit noch schneller zu den Patientinnen und Patienten zu bringen."
24.9.2010
Das Kartellrecht soll, im Rahmen der Gesundheits"reform" nun auch bei den Gesetzlichen Krankenversicherungen Anwendung finden. Folge: Die Rabattverträge mit der Pharmaindustrie sind in Gefahr. So hat z.B. die AOK für 155 Wirkstoffe Rabattverträge mit diversen Herstellern abgeschlossen, und "spart" dadurch im Jahr 2010 schlappe 520 Millionen Euro. Wird das Kartellrecht angewandt, haben die Hersteller die Möglichkeit, durch Einsprüche vor Gericht Vertragsabschlüsse um Jahre zu verzögern. Die Mehrkosten, das ist klar, werden dann mal wieder auf die BeitragszahlerInnen abgewälzt werden.
22.9.2010
Heute wurden vom wespenfarbigen Bundeskabinett die Gesundheits"reform"-pläne verabschiedet. Auf das das Gesundheitswesen gesunde. Passiert das zusammengeschusterte Machwerk das Parlament, sind wir den kalifornischen what ifs des Lebens ein gutes Stück näher gerückt. What if I get sick, what if I live long time, what if I am disabled ... siehe: Link Dem smarten Staatssekretär Bahr des smarten Gesundheitsministers Rösler kam selbstverständlich kein Sterbenswörtchen über das Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge nach 2011 und den faktischen Einstieg in die Etablierung der Kopfpauschale über die schmalen Lippen. Stattdessen: Halleluja, das Jahrhundertwerk ist vollendet. Die Gesundheitsreform, so Jens Spahn (CDU), gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in einem Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger, - zeige eine gerechte Lastenverteilung, - schaffe eine stabile und nachhaltige Finanzgrundlage, - vermeide höhere Zusatzbeiträge für 2011 weitgehend. Außerdem seien die Zusatzbeiträge sozial gerecht ausgestaltet und die gesetzlichen Krankenversicherungen würden durch den erleichterten Wechsel von besser Verdienenden in die privaten Krankenkassen "nur" etwa 200 Millionen Euro einbüßen. "Dieser Zusatzbeitrag entsolidarisiert die Gesetzliche Krankenversicherung", stellt Jutta Wagner, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes(djb) fest. "Damit geht die Reform besonders zu Lasten von Frauen. Sie haben meist niedrigere Einkommen, die Belastung ist folglich höher. Eine solche Verschiebung zum Nachteil von Frauen ist gesellschaftlich nicht hinnehmbar."
Eine zunehmende Zahl von WissenschaftlerInnen ist ebenfalls anderer Meinung, als der smarte Jens Spahn und sein ebenso smarter Minister: Das fundamentale Finanzierungsproblem bleibt, ergo: mangelnde Nachhaltigkeit. Die Zusatzbeiträge verschärfen die bereits bestehende relative Ungleichbelastung von Gering- und Gutverdienern - ein Gutverdiener muss nur etwa fünf Prozent seines Einkommens überweisen, von Brutto-Einkommen zwischen 450 und 1.000 Euro müssen bis zu zehn Prozent als Arbeitnehmeranteil für die Krankenversicherung gezahlt werden´, ergo: Gerechtigkeitsdefizit. "Geringe und mittlere Einkommen schultern die Reform". Geringe und mittlere Einkommen, das heißt vor allem Rentner und Rentnerinnen und Frauen!
ArbeitnehmerInnen und RentnerInnen werden, wenn das Gesetz im Bundestag verabschiedet wird, ab 1.1.2011 einen Beitrag von 8,2 Prozent aus eigener Tasche löhnen müssen. Dazu kommt, je nach Krankenkasse und ihrer Kassenlage ein Zusatzbeitrag von maximal zwei Prozent der monatlichen Bezüge. Ab 2012 sollen dann alle gesetzlichen Krankenkassen Zusatzbeiträge erheben. Plus Praxisgebühr, + Medikamentenzuzahlung etc. Wilfried Jacobs, AOK Rheinland-Hamburg am 1.9.2010 in Berlin: 2014 müsse jedes Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse knapp 275 Euro pro Jahr an Zusatzbeitrag zahlen, für 2020, also in zehn Jahren prognostiziert er 890 Euro pro Jahr. Kann aber durchaus möglich sein, dass der Staat bis dahin pleite ist und keinen Sozialausgleich mehr zahlen kann.
15.9.2010
Professor Ulrich Schwabe vom Pharmakologischen Institut der Universität Heidelberg hat den Arzneiverordnungsreport 2010 vorgelegt und kommt zu dem Schluss: Die Preise für besonders häufig verkaufte Arzneimittel sind hierzulande fünfmal höher als in Schweden. Durch überteuerte Preise für Arzneimittel haben die Gesetzlichen Krankenkassen demnach 2009 fast 10 Milliarden Euro zu viel ausgegeben. Aber auch sonst sind die Zahlen des Reports nicht von schlechten Eltern. So stiegen die Kosten für Medikamente 2009 bei den gesetzlichen Krankenkassen um 4,8 Prozent auf 32,4 Milliarden. Die Kosten für ärztliche Behandlungen stiegen um sieben Prozent auf 30,6 Milliarden und die Kosten für den Krankenhausbereich, was immer damit gemeint sein mag, stiegen ebenfalls und zwar um 6,8 Prozent auf 56,4 Milliarden. Dabei stehen 25 Prozent der Krankenhausbetten über`s Jahr gerechnet leer. Insgesamt gaben die gesetzlichen Krankenkassen 2009 fette 6,2 Prozent mehr aus als 2008. Sie brachten 170,8 Milliarden Euro in den diversen Sparten, Branchen und Führungsetagen der Gesundheitsindustrie in Umlauf. 170,8 Milliarden Euro. das sind, grob gerechnet, 350,6 Milliarden Mark! Teilen Sie das mal durch 70 Millionen Versicherte! (Übrigens: Im 1. Quartal 2005 beliefen sich die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung auf insgesamt 34,452 Mrd. Euro!)
Sind wir nun alle putzmunter und gesund? Ist die Säuglingssterblichkeit die niedrigste der Welt, leben wir am längsten? Nö. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist in anderen Industrieländern höher, die Säuglingssterblichkeit niedriger und was die Heilerfolge bei schweren Erkrankungen anbelangt, rangiert unser milliardenschweres Gesundheitswesen nur im unteren Drittel der Länder Westeuropas.
13.9.2010
Geht es nach dem Willen der wespenfarbigen Bundesregierung, sollen die privaten Krankenversicherungen einen Zugewinn von bis zu einer Milliarde durch die Gesundheits"reform" erhalten. Das soll dadurch geschehen, dass im Gesetzentwurf die Wartezeit für einen Wechsel von Gutverdienenden in die privaten Krankenkassen von drei auf ein Jahr verkürzt wird (= 500 Millionen). Des Weiteren soll die Milliarde dadurch voll werden, dass der Gesetzentwurf den gesetzlichen Krankenkassen verbietet, Zusatzleistungen in Wahltarifen selbst anzubieten. Wer mehr bezahlen kann und an Leistungen haben möchte (Zahnersatz, Chefarztbehandlung und Unterbringung in Ein- oder Zweibettzimmern), soll einen Zusatzvertrag nur bei einer privaten Krankenversicherung abschließen dürfen (= 250 Millionen).
Fehlen an der Milliarde Zugewinn noch 250 Millionen Euro. Die sollen nach dem Willen von Schwarz-Gelb dadurch zustande kommen, dass die privaten Krankenkassen für neue Medikamente in Zukunft "nur" noch den Preis zahlen sollen, den die gesetzlichen Kassen bei den Rabattverhandlungen mit den Herstellern der Pharmaindustrie vereinbart haben. Also die, von denen wir aus dem Report des Professors Schwabe wissen, dass ihre Preise um fast 10 Milliarden überteuert sind.
11.9.2010
Hat sich das Personal des Bundesgesundheitsministeriums vom Verband forschender Pharmaunternehmen Teile der Gesundheitsreform vorschreiben lassen? Karl Lauterbach, SPD, einst enger Mitarbeiter von Ulla Schmidt, empört sich darüber so, als ob er neu im politischen Geschäft wäre. Dabei ist der Filz zwischen Politik + Wirtschaft in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung, also seit 1998, nicht nur besonders gefördert, sondern durch Otto Schilys "Personalaustauschprogramm" auch legalisiert worden. Hat Lauterbach vergessen, dass seit dieser Zeit Vertreter von Konzernen an den Schreibtischen und Bildschirmen der Ministerien sitzen, und hohe Beamte des Bundes in den Wirtschaftsunternehmen ein- und ausgehen? Black out nennt man das wohl, denn in der Süddeutschen Zeitung wird Lauterbach mit den Worten zitiert: "Das ist die dreisteste Lobbyarbeit, die ich seit Jahren erlebt habe." Mit dreisteter Lobbyarbeit" meint er, dass es fortan nicht mehr der Gemeinsame Bundesausschuss von Krankenkassen und Ärzten sein soll, der die Kriterien für die Bewertung des Nutzens neuer Medikamente festlegt, sondern die Politik. Oder jemand aus der Pharmaindustrie, der gerade am Personalaustauschprogramm teilnimmt. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist seit 2004 das oberste Beschlussgremium der Selbstverwaltung von Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Krankenhäusern und Krankenkassen. Er bestimmt durch den Erlass von Richtlinien, welche Leistungen für die etwa 70 Millionen Versicherten von der GKV gezahlt werden. Dazu gehört die Versorgung mit Medikamenten und Heil- und Hilfsmitteln ebenso wie die Versorgung mit ärztlichen, diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen. Der Gemeinsame Bundesausschuss von Krankenkassen und Ärzten wird deshalb auch „kleiner Gesetzgeber“ genannt. Nun will also der "große Gesetzgeber" dem "kleinen" am Zeug flicken. Den Schwarzen Peter werden, wie immer, die BeitragszahlerInnen haben.
18.8.2010
In Berlin sind zahlreiche Cousins des Gesundheitswesen aus der Sippschaft der Experten angereist, um über den Koalitionsvorschlag zur "Reform" zu debattieren, und ein Sprecher der DAK klagt über Außenstände durch nicht bezahlte Zusatzbeiträge in Höhe von 24 Millionen Euro. Viele Mitglieder haben seit Februar 2010 die Zusatzbeiträge einfach nicht bezahlt. "Der Aufwand von Mahnverfahren", so der DAK-Sprecher, "stehe in keinem Verhältnis zum Ertrag". Die törichte, wespenfarbige Bundesregierung weiß Rat. Gesetzlich Versicherte, die den Zusatzbeitrag nicht bezahlen, sollen BESTAFT werden. Ein Gesetzentwurf soll schon vorliegen, der den Kassen erlauben soll, spätestens nach sechs Monaten auf das Lohnkonto der säumigen Mitglieder zuzugreifen und die Außenstände plus Säumniszuschlag direkt abzubuchen!
11.8.2010
Anfang August ist das Gesundheitswesen ja eigentlich in Urlaub. Im Büro von Daniel Bahr, Bundestagsabgeordneter (FDP) und parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Gesundheit wird jedoch abgearbeitet, was lange liegen blieb. Dazu gehört eine Anfrage von Jakob Pfeiffer. Der hatte am 10.7.2010 via abgeordnetenwatch Daniel Bahr folgende Frage gestellt: "Haben Sie bei dieser Reform [Anm.d.Red.: Gesundheitsreform: Anhebung der Beitragssätze um 0,6 Prozentpunkte] auch daran gedacht, dass die Arbeitgeber bei der Betriebsrente auch wieder den Anteil von 7,3 % übernehmen? Oder soll hier der Rentner die gesamte Erhöhung tragen? Wenn dieses sein soll, dann lassen Sie dieses veröffentlichen, damit wir dann eine Demo organisieren und die Regierung stürzen können."
Antwort von Daniel Bahr am 11.08.2010
"Sehr geehrter Herr Pfeiffer, vielen Dank für Ihre Anfrage. Mit den unlängst vorgelegten Eckpunkten der Bundesregierung zu einer Finanzreform für ein gerechtes, soziales, stabiles, wettbewerbliches und transparentes Gesundheitssystem schaffen wir eine zukunftsfähige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung, ohne dabei Leistungen einzuschränken und gleichen das aktuelle Defizit aus. Mit der Weiterentwicklung der Zusatzbeiträge als einkommensunabhängige Arbeitnehmerbeiträge können auch Ausgabensteigerungen aufgrund des medizinischen Fortschritts finanziert werden, und die Krankenkassen erhalten die für eine wettbewerbliche Ausrichtung unerlässliche Beitragsautonomie. Ein einfach handhabbarer Sozialausgleich sorgt für Gerechtigkeit.
Die Regelungen zur Beitragstragung für Versorgungsbezüge (hierzu zählen auch Betriebsrenten) sind von den Reformplänen nicht berührt. Beiträge aus diesen Einnahmen sind seit einer Regelung der rot-grünen Bundesregierung vom Mitglied alleine zu tragen."
21.7.2010:
Zurzeit sind die Hausärzte am Finanzdesaster des Gesundheitswesens schuld. Weil sie sich nicht mit einer geringeren Erhöhung ihrer Honorare abfinden wollen, beschwört nicht der Geschäftsführer, nein, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Hausärzteverbandes, Eberhard Mehl die Folgen der eventuellen Schmälerung ihrer Einkommen: "Diese Entscheidung wird viele Menschenleben kosten in der Region." Es ist zwar noch gar keine Entscheidung gefallen, weil die Regierung gerade Urlaub macht, aber er setzt noch einen drauf: Sollte die wespenfarbigen Regierung die Vergütung der Hausärzte begrenzen, (begrenzen, nicht etwa senken!), würde "ein Landkreis nach dem anderen zusammenbrechen". Jesses!
An dieser Stelle sei daran erinnert: Das verbal-mediale Heck-Meck, welches die ständige Gesundheitsreform begleitet, bietet allen Vorsitzenden der zahlreichen Branchen des kranken Gesundheitswesens die Möglichkeit, unentwegt Interviews zu geben. Im Januar 2010, lang ist`s her, meldete sich der Vorstandschef der AOK-Rheinland-Hamburg, Wilfried Jacobs zu Wort. Er schob schon "damals" den Hausärzten die Schuld für Beitragserhöhungen in ihre nicht immer weißen Schuhe. Und warnte vor einem Vertragsabschluss, der den Hausärzten die Abrechnung von Phantompatienten gestatten könne. (Siehe weiter unten unter: 25.1.2010)
12.7.2010:
Der Präsident der Deutschen Rentenversicherung, Herbert Rische, weist im Berliner Tagesspiegel darauf hin, dass die Erhöhung der Arbeitgeberbeträge durch die Gesundheits"reform" für die Rentenkassen eine Mehrbelastung von 600 Millionen Euro pro Jahr bedeutet. Warum? Weil die Rentenversicherung (zurzeit noch) den Arbeitgeberanteil der Rentner bezahlt. "Es ist gelungen, die kurzfristigen Finanzprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung in den Griff zu bekommen." Philipp Rösler zu den Eckpunkten der Gesundheitsreform, Welt am Sonntag, 11.7.2010
9.7.2010:
"Wir wissen viel zu wenig über die Qualität der Versorgung", meint Dr. Norbert Klusen, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse in einem Interview des Kölner Stadt-Anzeigers. Aus dieser Feststellung leitet er, typisch für das Geldverteilprinzip des Systems ab: "Wir müssen mehr in die Versorgungsforschung investieren". Also nicht in die Versorgung, sondern in die Versorgungsforschung. Klusen geht davon aus, dass die Zusatzbeiträge bis 2014 höher sein werden, als 16 Euro pro Monat und deshalb für den geplanten staatlichen Sozialausgleich mehr als eine Milliarde Euro aus Steuermitteln nötig sind. Klusen würde aus den gesetzlichen Krankenkassen gern Non-Profit-Unternehmen machen. "zum Beispiel Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit."
7.7.2010:
Die Arbeitgeberverbände reiben sich die Hände und lassen die Champagnerkorken knallen. Weil sie gnädig lächerlichen, 0,3 prozentigen Erhöhungen ihres Arbeitgeberanteils ab 2011 zugestimmt haben, bekamen sie von der wespenfarbigen Bundesregierung als Gegenleistung für alle Zeiten das Einfrieren ihres Anteils auf 8,2 Prozent zugesagt. Künftige Erhöhungen der Krankenkassenbeiträge sollen nur noch von den ArbeitnehmerInnen berappt werden. Diese sollen, wie die RentnerInnen auch, Außer dem Sonderbeitrag von 0,9 Prozent, nun weitere Zusatzbeiträge zahlen. Über deren Höhe "dürfen" die gesetzlichen Krankenkassen bestimmen. Übersteigt der Zusatzbeitrag zum Krankenkassenbeitrag dann aber zwei Prozent des Einkommens, geht es so richtig los mit Bürokratie, Vernetzung und Datenabgleich: Die Rentenversicherungsanstalt ermittelt. Will sagen: Die Rentenversicherungsanstalt berechnet den Sozialausgleich, der, so lange noch Geld da ist, von ihr an den Arbeitgeber überwiesen werden soll. Dieser soll ihn an den Arbeitnehmer auszahlen. So viel zum Bürokratieabbau, der ja als besonderes Steckenpferd von Schwarz/Gelb gilt.
06.07.2010:
Koalitionsbeschluss zur Gesundheitsreform (pdf)
Link
3.7.2010:
Entschieden ist nach neun Monaten immer noch nix. Aber es gibt Wehen. Eine Spitzenrunde im Kanzleramt zur Rettung (!) des leidenden Gesundheitswesens hat sich folgendes ausgedacht: Der Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenkasse soll ab Januar 2011 von derzeit 14,9 auf 15,5 Prozent steigen. Die Erhöhung soll zu jeweils 0,3 Prozent von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen werden. Wie viel die Rentner zahlen sollen, wurde nicht verlautbart. Der Sonderbeitrag von 0,9 Prozent, der bisher nur von den Arbeitnehmern und den RentnerInnen gezahlt wird, und nicht von den Arbeitgebern, soll aber auf alle Fälle erhalten bleiben. Folge: Arbeitgeber sollen ab Januar 2011 7,3 Prozent an die Kassen zahlen, Arbeitnehmer 8,2 Prozent. Damit nicht genug. Zum Stopfen ihrer Defizitlöcher sollen die unersättlichen Kassen weiteres Futter in das offene Maul gesteckt kriegen: Zusatzbeiträge, gestaffelt nach Einkommen, maximal 2 Prozent. Etliche Präsidenten des Landes protestierten heftig gegen die Arbeitsergebnisse der Spitzenrunde, insbesondere gegen die 0,3 Prozent, die von den Arbeitgebern mehr gezahlt werden sollen. Dieter Hundt, Chef des Arbeitgeberverbands,, H.H. Driftmann, Chef des IHKammertages, Hans Michelbach von der Mittelstandsunion sehen in den 0,3 Prozent eine "Gefahr für die Wirtschaftsdynamik, den Wirtschaftsaufschwung und den Arbeitsmarkt".
30.6.2010:
Der Überschuss der gesetzlichen Krankenkassen soll im ersten Quartal 2010 nur noch rund 250 Millionen Euro betragen haben, berichtet die FAZ am 30.6.2010. Am gleichen Tag erzählt Doris Pfeiffer, Chefin des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)der Saarbrücker Zeitung: Der 2009 eingeführte Gesundheitsfonds "hat uns ein großes Problem gebracht". Das "Problem" besteht darin, dass viele Krankenkassen keinen Zusatzbeitrag erheben, weil sie berechtigterweise "eine Abwanderung ihrer Mitglieder fürchten und deshalb diesen Schritt scheuen". Die gesetzlichen Kassen können bekanntlich zusätzlich zum Einheitsbeitrag von 14,9 Prozent einen maximal einprozentigen Zusatzbeitrag von ihren Versicherten erheben, wenn sie mit dem Geld aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommen. Kanzlerin Angela Merkel,(CDU), will am 1. + 2.Juli 2010 mit den Partei- und Fraktionschefs der Koalition (Spitzenrunde!) nach einer Lösung suchen. Noch sperrt sich die CSU gegen die Pläne von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) zur Einführung einer "Kopfpauschale".
28.6.2010:
Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Andreas Köhler, hat die von den Krankenkassen verlangten Honorarkürzungen für Kassenärzte abgelehnt und vorgeschlagen, dass Kassenpatienten 5 Euro pro Arztbesuch zahlen sollen. So sollen die Milliardendefizite des Gesundheitswesens gesenkt werden. Ähnliche Vorschläge hatte laut FAZ zuvor die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände gemacht.
10.3.2010:
Laut ARD-Tagesschau haben die Krankenkassen 2009 einen Überschuss erzielt, der, wie 2009, nicht von schlechten Eltern ist: Fast 1,1 Milliarden Euro! Das Bundesgesundheitsministerium teilte mit, die Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung habe sich "weiter stabilisiert". Den größten Batzen erwirtschaftete erneut die AOK mit 771 Millionen Euro. Die Innungskrankenkassen behielten 264 Millionen Euro übrig, die Betriebskrankenkassen erwirtschafteten ein Plus von 190 Millionen Euro, während die Ersatzkassen mit 157 Millionen Euro Miesen abgeschlossen haben. Der Gesundheitsfonds, das Monster, verursachte im ersten Jahr seines Bestehens ein Defizit von sage und schreibe rund 2,5 Milliarden Euro!!!!!! Vom Ministerium, von Krankenkassen und vom Bundesversicherungsamt alimentierte Experten rechnen für 2010 mit einem Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung von knapp acht Milliarden Euro!!!!!!!!!! Davon sollen 3,9 Milliarden vom Bund - also von den SteuerzahlerInnen - übernommen werden, die "weitere krisenbedingte Ausfälle abfedern" sollen.
17.2.2010:
Das Bundeskartellamt leitet am 17. Februar 2010 ein Verfahren gegen neun Krankenkassen der gesetzlichen Krankenversicherung ein. Der Verdacht lautet: Die Kassen haben gegen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen verstoßen, als sie Ende Januar gemeinsam angekündigt haben, Zusatzbeiträge zu erheben. Gegenstand des Verwaltungsverfahrens ist die Frage: Haben der Festlegung und Bekanntgabe der Zusatzbeiträge verbotene Kartellabsprachen zu Grunde gelegen? Das Bundeskartellamt prüft also nicht, ob die Zusatzbeiträge angemessen sind. Den Unternehmen wurden förmliche Auskunftsbeschlüsse zugestellt, die binnen drei Wochen beantwortet werden müssen.
2.2.2010:
Die ersten Krankenkassen fordern die Ein-Prozent-Regelung von ihren Kunden und das sogar rückwirkend. So will die BKK Heilberufe und die 40.000 Mitglieder große GBK Köln rückwirkend zum 1. Januar einen Zusatzbeitrag von einem Prozent des Bruttogehalts haben. Dieser wird bekanntlich derzeit bis zur Beitragsbemessungsgrenze erhoben und kann zurzeit höchstens 37,50 Euro im Monat betragen. "Exorbitante Kostensteigerungen" seien der Grund, sagte GBK Köln Vorstandschef Helmut Wasserfuhr der Süddeutschen. Die BKK Heilberufe will im April die höheren Beiträge für das ganze erste Quartal nachträglich einziehen. Um max. 12 Euro wird die BKK Westfalen-Lippe teurer. Vorstandschef Willi Tomberge, Chef der BKK Westfalen-Lippe: Wer weniger als 1.200 Euro im Monat zur Verfügung hat, bei dem werden die 12 Euro angepasst. Demnach zahle ein Student mit 500 Euro Einkommen einen monatlichen Zusatzbeitrag von fünf Euro, also 60 Euro pro Jahr.
01.02.2010:
Eine Sprecherin des Bundesversicherungsamt sagte am Montag, die Anträge dreier Krankenkassen auf Genehmigung eines Zusatzbeitrages hätten der Prüfung standgehalten. Mit anderen Worten: Das Bundesversicherungsamt wird sie genehmigen. Außenminister Westerwelle und die FDP können sich deshalb gelassen gegen Zusatzbeiträge aussprechen: "Von uns aus können sie weg", weil sie "das Ergebnis von Planwirtschaft" sind. Die CDU, deren Kind ja sozusagen die Zusatzbeiträge sind, sieht das anders. Weshalb die Vize-Regierungs-Sprecherin Sabine Heimbach laut dpa am 1.2.2010 verlautbarte: Zusatzbeiträge entsprächen der geltenden Rechtslage, "die Zusatzbeiträge sind ja ein Teil der seinerzeitigen Gesundheitsreform gewesen". Richtig knackig: Die seinerzeitige Gesundheitsreform!
25.1.2010:
Mehr Geld von den DAK-Versicherten, die je nach Presseorgan zwischen sechs und 4,5 Millionen Mitglieder hat, mehr Geld ab April 2010 fordert der DAK-Sprecher Jörg Bodanovitz Anfang Januar 2010 und nannte es "Zusatzerhöhung". Erhöhung der Erhöhung wäre deutlicher. "Ich werde meinem Verwaltungsrat empfehlen, ab Februar acht Euro zu nehmen", konkretisierte DAK-Vorsitzender Herbert Rebscher die Ankündigung seines Sprechers auf einer Pressekonferenz der KassenVERTRETER am 25.1.2010 in Berlin. Und nutzte die Gelegenheit, den Zeitpunkt der Beitragserhöhung geschickt gleich um zwei Monate nach vorn zu verlegen. Rebscher möchte, dass die DAK ab Februar teurer wird. Dazu muss man wissen: Rebscher gehört zu denen, die im Juli 2009 für das Jahr 2010 ein Finanzloch im Gesundheitsfonds von "bis zu 11 Milliarden Euro" ausgemacht hatten. Ende Januar hatte er noch andere Zahlen verkündet. Die Unterfinanzierung des Gesundheitsfonds betrage in 2010 vier Milliarden und 2011 neun Milliarden.
Kommen Sie jetzt bloß nicht auf die Idee, dass die bereits bei der Einführung des Gesundheitsfonds geplanten Erhöhungen des Krankenkassenbeitrags um 6,50 oder auch um acht Euro der Verbesserung Ihrer Gesundheitsversorgung dienen soll! Kommen Sie bloß nicht auf diesen Gedanken. Denn:
Was passiert mit den Zusatzbeiträgen?
Die neuen Einnahmen sollen in den Gesundheitsfonds gesteckt werden. Irgendwie muss dieses Monster gefüttert werden. Und weil man sich nicht einig ist, wie das am besten zu bewerkstelligen ist, entwerfen die Beteiligten Futter-Pellets. Das Geld aus der Beitragserhöhung wird zum Schuldenabbau gebraucht, sagen die einen. Man brauche es wegen der Unterfinanzierung des Gesundheitsfonds, meinen andere, und noch andere, etwa der Günter Neubauer vom Institut für Gesundheitsökonomik in München sagt, höhere Beiträge seien nötig - wegen des Verwaltungsaufwands. Der kostet, für alle Kassen zusammen, angeblich rund eine Milliarde Euro. Doch so genau weiß man es nicht. Achim Kolanski, Vorstandschef der Deutschen BKK zum Beispiel spricht von 2,5 Milliarden Euro, die vom Fonds verschlungen werden. Eine andere Begründung für die notwendige Erhöhung des Beitrags liefert DAK-Sprecher Jörg Bodanovitz. Er sei das Zeichen einer "verantwortliche(n) Haushaltsführung". Verantwortliche Haushaltsführung! Na dann! "Bittere Pille für Arbeitnehmer und Rentner" nennt Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbands VdK, die Zusatzbeiträge. Thomas Ballast, Vorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen (VdEK) will das Geld zur Schließung einer Finanzierungslücke von vier Milliarden nutzen. Um welche Finanzierungslücke es sich dabei wohl handelt? Aber will man das wirklich so genau wissen? Bisher hat sich jedenfalls noch immer eine gefunden.
Doris Pfeiffer, Vorsitzende des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung präsentiert gleich drei Verantwortliche für die neuen Forderungen der Kassen. Milliarden von den Beitragszahlern sind erforderlich, weil 1. für Ärzte höhere Honorare, 2. für Krankenhäuser höhere Kosten und 3. für Arzneimittel größere Ausgaben anfallen werden. Frau Pfeiffer zitiert zur Untermauerung ihrer These einen "Schätzerkreis". "Der Schätzerkreis erwartet eine Ausgabensteigerung allein bei Ärzten, Krankenhäusern und Arzneimitteln von mehr als 5 Milliarden Euro." Mit anderen Worten: Pfeiffer sagt, die Pellets dienen nicht dem Abbau vorhandener Schulden, sondern zur Bezahlung künftig steigender Ausgaben. "Den Menschen sind keine Zusatzbeiträge zuzumuten", menschelt Pfeiffer, "damit die Pharmaindustrie ihre Gewinne und die Ärzte ihre schon hohen Einkommen noch mehr steigern können." Wohl eher zumutbar ist "den Menschen ein Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung von 7,8 Milliarden Euro für 2010 (laut Pfeiffer). Diese Zahl hatten wir bisher noch nicht.
Der Vorstandschef der AOK-Rheinland-Hamburg, Wilfried Jacobs, schiebt allein den Hausärzten die Schuld für Beitragserhöhungen in ihre nicht immer weißen Schuhe. Sein Gesundheitsreform-Pellet ähnelt dem der Frau Pfeiffer: Nicht die bereits aufgelaufenen Schulden veranlassen die Erhöhung, nein, er sorgt sich um künftige Defizite. Defizite, die entstehen könnten, sollte zwischen Hausärzten und Krankenkassen "im Gebiet Nordrhein", wo immer das sein mag, der gleiche Vertrag abgeschlossen werden, wie soeben in Bayern. Dort erhalten Hausärzte nun 85 Euro pro Quartal für jedes Kassenmitglied, das in der hausärztlichen Versorgung eingeschrieben ist. Wohlgemerkt "eingeschrieben". Ob ein Patient oder eine Patientin den Arzt tatsächlich aufsucht, ist nicht von Bedeutung. Auch Phantom-Patienten können mit 85 Euro pro Quartal abgerechnet werden. Die Übernahme dieses trickreichen bajuwarischen Vertragswerks, "bedeute praktisch eine Verdoppelung der Hausarzthonorare und würde die Kassen im Bereich Nordrhein zusätzlich 400 Millionen Euro pro Jahr kosten", so AOK-Chef Jakobs. Der Bayerische Hausärzteverband (BHÄV) ist keine Einrichtung des „öffentlichen Rechts“ wie es etwa eine Krankenkasse oder Kassenärztliche Vereinigung ist. Der BHÄV ist eine privatrechtliche Firma.
Vier Milliarden, 400 Millionen, Verdoppelung der Hausarzthonorare, 7,8 Milliarden, Mehreinnahmen für die Pharmaindustrie und die Krankenhäuser, bittere Pillen, Finanzierungslücken, Doris Pfeiffer bringt das Desaster in der FAZ so auf den Punkt: "Wir haben keine genauen Zahlen. Die Finanzlage der Kassen ist sehr unterschiedlich." Hört, hört! Was machen eigentlich all die Rechner und hochbezahlten Vorsitzenden mitsamt ihren Instituten, Zuträgern und Mitarbeitern, wenn sie nicht mal genauer Zahlen haben? Immerhin kann es sich die DKV, eine der größten privaten Krankenversicherungen, leisten, Mitglieder der Partei FDP zwischen fünf bis acht Prozent preiswerter krankenzuversichern als Menschen, die nicht in der Partei sind.
Kommen wir nun zu einer Statistik aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Ausgewiesen werden darin die Einnahmen, Aufwendungen und der Reinertrag von Arztpraxen in Ost- und Westdeutschland: Bei 20.160 befragten praktischen Ärzten belief sich der durchschnittliche Reinertrag vor Steuern auf 110.000 Euro je Praxisinhaber im Jahr 2007. Dazu muss man wissen: Es gibt knapp 150.00 niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten, ob die alle FDP gewählt haben, ist bisher nicht untersucht worden.
Was man weiß, was man wissen sollte: im Schnitt behandeln die praktischen Ärzte 45 Patienten pro Werktag und zwar ca. 8 Minuten pro Patientin oder Patient. (Laut Barmer GEK Arztreport vom 19.1.2010) Macht sechs Stunden Arbeitszeit von Montag bis Freitag. In Bayern kann man davon die Phantompatienten abziehen. Bundesweit sollen die Gesetzlichen Krankenversicherungen 51 Millionen Mitglieder haben. Wie viele davon ein Phantom sind oder in Zukunft zu einem solchen werden werden – wer weiß das schon und in welcher Datei wird das erfasst???Link
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Dossier 2020: GESUNDHEITSAKTE, DIGITALE STAATSKUNST, eREZEPT, ÜBERWACHUNG
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Dossier 2019: GESUNDHEITSAKTE, APPS, TELEMATIK, GEMATIK, e-HEALTH
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Dossier 2018: GESUNDHEITSKARTE, IT-LOBBY, GEMATIK
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Dossier 2017: DIGITALISMUS, TELEMATIK, GEMATIK, e-HEALTH, FERNBEHANDLUNG
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Dossier 2016-2010: GESUNDHEITSKARTE, DIGITIALISIERUNG, GRÖHE, PROTEST
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Dossier 2009-2008: GMG, GESUNDHEITSKARTE, KONTROLLSTAAT, WIDERSTAND
https://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=8439
Weitere Artikel, nach dem Datum ihres Erscheinens geordnet, zum Thema
Gesundheit:
28.12.2010: Krankenhaus: Gute Versorgung geht anders
15.12.2010: 6. Altenbericht: Gesundheitsversorgung älterer Patienten
22.11.2010: Gesundheitsreform: Verstoß gegen WHO-Empfehlungen
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