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19.04.2018
Der Bundestag wolle beschließen:
I.
Der Deutsche Bundestag stellt fest:Laut der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks verfügen Studierende in Deutschland durchschnittlich über 918 Euro im Monat zur Deckung ihres Lebensunterhalts, die Hälfte aller Studierenden sogar über nur 860 Euro oder weniger. Unter derzeit 1.050 Euro netto monatlich droht Armut. Studieren bedeutet somit für die überwältigende Mehrheit der Studierenden ein Leben deutlich unterhalb der Armutsrisikogrenze. Aber auch für Auszubildende und Studierende gilt uneingeschränkt das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gemäß Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) ist nach Zuschüssen von Familienangehörigen und eigenem Einkommen nur die drittwichtigste Einnahmequelle der heute Studierenden. Das BAföG ist damit zwar weiterhin die zentrale Säule der staatlichen Studienfinanzierung. Seinem Zweck, wirksam soziale Zugangsbarrieren zu einem Hochschulstudium zu beseitigen sowie bedarfsgerecht Lebensunterhalt und Ausbildung zu fördern, wird es allerdings nicht mehr gerecht.
Aktuell erhält nur noch ein Sechstel aller Studierenden Leistungen nach dem BAföG, während über zwei Drittel aller Studierenden (69 Prozent) neben dem Studium einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Dies stellt eine erhebliche Belastung für die Betroffenen dar, die die volle Konzentration auf das Studium erschwert, dadurch Studienzeiten verlängert und die Zahl der Studienabbrüche erhöht.Der BAföG-Höchstsatz von 735 Euro, von denen 250 Euro für Unterkunftskosten und 86 Euro für Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge vorgesehen sind, reicht nicht aus, um den Anspruchsberechtigten die Deckung ihrer notwendigen Ausgaben zu ermöglichen.
Der Bedarfssatz für den Lebensunterhalt liegt im BAföG noch unter dem Niveau des SGB-II-Regelsatzes (Arbeitslosengeld II bzw. Hartz IV). Ebenso liegt die Wohnpauschale noch deutlich unter den nach dem SGB II anerkannten Kosten der Unterkunft. Gleichzeitig liegen die Mietpreise für studentische Unterkünfte, selbst für die raren Plätze in studentischen Wohnheimen, laut aktuellen Erhebungen unterschiedlicher Forschungsinstitute wie des Moses Mendelssohn Instituts oder des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im bundesweiten Durchschnitt weit über 250 Euro und nur in vier der 93 deutschen Universitätsstädte im Rahmen der BAföG-Wohnkostenpauschale. Der freie Zugang zu Bildung ist ein Menschenrecht. Bildung darf nicht von Einkommen, Vermögen oder Bildungsstand des Elternhauses abhängen, wie es in Deutschland viel zu häufig der Fall ist. Die Förderbedingungen im BAföG wie auch in der Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) müssen deshalb deutlich verbessert werden.
II.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, umgehend den Entwurf einer Novelle des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) vorzulegen, der folgende Elemente enthält:
1.
Die Ausbildungsförderung nach dem BAföG ist als elternunabhängiger, rückzahlungsfreier Vollzuschuss zu gewähren.
2.
Der BAföG-Fördersatz für den Grundbedarf nach §13 BAföG wird auf 560 Euro erhöht, um das soziokulturelle Existenzminimum auch für Auszubildende realistisch zu gewährleisten.
3.
Für ausbildungsbedingte Ausgaben erhalten BAföG-Anspruchsberechtigte eine
monatliche Pauschale von 120 Euro.
4.
Die Kranken- und Pflegeversicherungszuschläge nach §13a BAföG sind stets in der Höhe der tatsächlichen Beitragskosten, höchstens jedoch in Höhe der anzusetzenden GKV-Beiträge, einschließlich der Zusatzbeiträge der jeweiligen Krankenkassen zu gewähren.
5.
Die Wohnpauschale nach §13 BAföG ist auf 370 Euro zu erhöhen; soweit Mietkosten für Unterkunft und Nebenkosten diesen Betrag übersteigen, ist die Pauschale bis zum örtlichen Mietniveau für angemessenen Wohnraum aufzustocken; angemessen sind die um Zehn von Hundert erhöhten örtlich maßgeblichen Werte der Tabelle zu §12 Wohngeldgesetz.
6.
Der Kinderbetreuungszuschlag nach 14b BAföG wird in Höhe von 36 von Hundert des Grundbedarfssatzes nach BAföG gewährt.
7.
Sämtliche in die Förderungsberechnung ein und aus ihr hervorgehenden Beträge
sind, unter gesonderter Berücksichtigung der Mietpreisentwicklung, jährlich der realen Preis- und Einkommensentwicklung entsprechend zu dynamisieren. Innerhalb einer Legislaturperiode wird der gesamte BAföG-Fördersatz (Punkte 2, 3 und 5) an die durchschnittlichen Armutsrisikogrenzen angepasst.
8.
Die Berücksichtigung des Einkommens von Ehegattinnen und Ehegatten, eingetragenen Lebenspartnerinnen und Lebenspartnern und Eltern nach den §§ 11 und 25 BAföG entfällt.
9.
Unterhaltsansprüche nach BGB sind ohne Berücksichtigung des BAföG-Anspruchs zu berechnen und gehen auf das zuständige BAföG-Amt über.
10.
Die Förderhöchstdauer muss individuelle Lebens- und Ausbildungssituationen,
insbesondere pflegende und sorgende Tätigkeiten wie die Elternzeit, berücksichtigen und sich bei Studierenden grundsätzlich an der realen durchschnittlichen Studiendauer statt an den so genannten Regelstudienzeiten orientieren. Die Förderung ist auch nach begründeten Fachrichtungswechseln zu gewähren.
11.
Das BAföG muss „Bologna-tauglich“ werden: Masterstudiengänge sind uneingeschränkt zu fördern, auch wenn das Studium unterbrochen wurde; die Altersgrenzen sind abzuschaffen und die Auslandsförderung für ein gesamtes Studium im Bologna-Hochschulraum zu ermöglichen.
12.
Teilzeitstudien müssen grundsätzlich förderfähig sein. Dies gilt auch für begleitende und duale Studiengänge.
13.
Leistungen nach dem BAföG sind auch Personen mit einer Duldung oder einer
Aufenthaltserlaubnis zu gewähren.
14.
Die BAföG-Ämter sind bedarfsgerecht auszustatten und die Verwaltung entsprechend den Vorschlägen des Nationalen Normenkontrollrats zu vereinfachen.
15.
Die Förderkonditionen der Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) nach dem SGB III sind an die des BAföG anzugleichen.
.16.
Für Streitigkeiten nach dem BAföG wird die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbar-keit begründet.
Berlin, den 19. April 2018 Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion Die Linke im Bundestag
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