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Erfahrungsbericht: Frau im Rollstuhl macht Reise mit Bahn

27.07.2005 - von Thierry Vandries

Thierry Vandries hat ehrenamtlich eine Kölner Seniorin aus Lindenthal bei einer Reise nach Goslar begleitet. Lesen Sie seinen Bericht:

Renate hat zehn Jahre zusammen mit ihren Eltern und Schwestern in Goslar gelebt. Aus diesem Grund wollte Sie in die Stadt ihrer Kindheit zurück, welche sie schon vor sechs Jahren besucht hatte, als sie noch einiger Maße gut sehen und gehen konnte.

Ablauf:
Zeitraum: vom 11.07. 18.07.2005
Reiseziel: GOSLAR
Ab: Köln-Hbf
Über: Hannover-Hbf

Köln-Hbf, Abfahrt der ICE um 12:47 Uhr. Der Zug war pünktlich. Erstes Problem: Die Begleitung seitens der Deutsche Bahn AG fehlte. Weder eine Hebebühne noch Personal des Mobilitätsdienstes sind vorhanden gewesen. Mit Hilfe zweier Mitreisenden haben wir den Rollstuhl in den Zug bekommen.

Ankunft in Hannover-Hbf um 15:28 Uhr. Die Zugbegleiterin hatte im Vorfeld dem Mobilitätsdienst in Hannover Bescheid gesagt. Bei der Ankunft war weder eine Hebebühne noch Personal des Mobilitätsdienstes zu sehen! Wieder sind wir auf die Hilfe von Mitreisenden angewiesen. Dadurch haben wir unsere Zugverbindung nach Goslar verpasst. Der Zug fuhr um 15:35 Uhr. Aufenthalt: eine Stunde, Zeit um einen Kaffee zu trinken.

16:32 Uhr Abfahrt ab Hannover-Hbf nach Goslar. Beim Einstieg in den RB (Richtung Halle an der Saale) wieder kein Mobilitätsdienst vorhanden. Ca. eine Stunde später Ankunft in Goslar. Dieses Mal ist der Mobilitätsdienst am Reiseziel! Die Deutsche Bahn AG erhält von meiner Serviceagentur La vie est belle! die Note fünf für den Service während der Hinfahrt.

Ankunft im Gästehause Verhoeven, Hoher Weg 12 in Goslar. Zuerst wird seitens einer Mitarbeiterin ein großes Theater rund um den Rollstuhl gemacht. Der Rollstuhl muss draußen bleiben. Nach dem Motto: „Was passiert, falls der Rollstuhl geklaut wird?“ Na ja, zu einer blöden Frage, bekommt man immer eine clevere Antwort: „Wir sind gut versichert!“

Das Gästehaus befindet sich ca. 800 m vom Bahnhof entfernt und liegt direkt an der Kaiserpfalz. Das Gästehaus ist sehr gut zugänglich, allerdings für Schwerbehinderte nicht bestens geeignet. Zuerst hat man beim Eingang drei Stufen nach unten. Dann kommt die steile Treppe zur ersten Etage. Mit Mühe schleppt sich Renate unter meiner Begleitung Richtung erste Etage.

Das Zimmer ist sehr sauber, praktisch und gut eingerichtet, jedoch ohne für gehbehinderte geeignete Hilfsmittel wie kurze Gelände und Handgriffe im Badezimmer ausgestattet. Das Bett ist komfortabel, und insgesamt entspricht das Gästehaus dem familiären Aspekt, welchen viele Reisende bevorzugen.

Nachdem wir uns etwas frisch gemacht haben, gehen wir ein bisschen durch die Stadt spazieren, und besuchen den Zwinger - Mächtiger Festungsturm (1517) mit 6 m dicken Mauern und einem Durchmesser von 24 m.

Danach gehen wir in einem netten Restaurant essen. Die Gastronomie in Goslar in vielseitig. Das Personal ist meistens freundlich und die Preise sind noch erschwinglich. Der Service könnte besser sein: (Servietten fehlen oft, Süßstoff ist nicht immer vorhanden.

Um Ca. Mitternacht begeben wir uns ins Gästehaus; Zeit um unsere Batterie aufzuladen.

12.07.2005:
Aufgrund meines kurzen Schlafbedarfs (Ca. 05:40 Std.) bin ich schon um 05:00 Uhr aufgestanden. Zuerst genieße ich den Sonnenaufgang über dieser wundervollen Stadt. Renate leidet unter Diabetes Typ I und um 07:00 Uhr muss sie ihre erste Zuckerprobe machen. Diese Proben finden sechs Mal am Tag statt. Nach der ersten Probe entscheiden wir uns, loszuziehen.

Den Tag verbringen wir mit der Entdeckung der Stadt.

Die Stadt ist für gehbehinderte Personen sehr gut zugänglich. Insbesondere für Rollstuhlfahrer bietet die Stadt Goslar eine sehr gute Infrastruktur. Sogar in der Nähe vom Marktplatz befindet sich eine kostenfreie, für gehbehinderte geeignete Toilette. Wer es gern etwa sportlich mag, kann sich auf das Kopfpflasterstein trauen. Mit einem guten gefederten (Elektro) Rollstuhl ist dieses kein Problem. Mit einem etwas einfacheres Rollstuhlmodell ist aber Spaß angesagt.

Außerdem ist die Stadt sehr übersichtlich, und die meisten Leute zeigen viel Respekt für Gehbehinderte bzw. Rollstuhlfahrer. Allerdings sind für Rollstuhlfahrer einige Gaststätten im Zentrum manchmal schwer zugänglich, insbesondere, was den Toilettenzugang anbelangt.

Eine Stadtrundfahrt mit einem Bus des Fremdenverkehrsverein sowie mit einer alten Kutsche ist für den Besucher möglich. Die Kosten betragen jeweils 5,00 € und 4,50 €.

Mittagsessen wird ganz bescheiden am St. Jakobikirche - ursprünglich romanische Pfarrkirche des 11. Jh., gegen Ende des 15. Jh. in eine gotische Hallenkirche umgewandelt. Berühmte Pietà von Hans Witten um 1520. Altäre und Gestühl aus dem Barock - genommen. Es besteht aus frischem Ruccola Salat zusammen mit Tomaten, Oliven, Radieschen, Käse und Brot. Alles selbst zubereitet. So spart man bei warmer Sommertemperatur Geld, und hat etwas Vitaminenreiches zu sich genommen.

Nachmittags besuchen wir die Neuwerk-Kirche. Der Kirchenhistoriker ist anwesend, und wir werden über die Kirchengeschichte ausführlich informiert. Danach bummeln wir noch durch die Stadt.

Abends gehen wir in einem kleinen Restaurant essen, wo wir das Tagesangebot in Anspruch nehmen, welches sehr kostengünstig (6,90 €) ist.

13.07.2005:

Nach dem Frühstück gehen wir ein bisschen in der Stadt einkaufen. Wir besuchen die Kaiserpfalz. Die Sommertemperaturen steigen weit über 35° C. Aus diesem Grund entscheiden wir uns, unser Mittagessen an der Frankenberger Kirche einzunehmen. Genau wie am Vortag habe ich für eine einfache Mahlzeit aber reich an Vitaminen und Mineralien gesorgt.

Wir unterhalten uns mit dem Gärtner, einen jungen Mann, einfach geschnitten aber nett. Danach ruhen wir uns vor der Kirche auf der Wiese aus.

Abends schlage ich vor, dass wir vor der Kaiserpfalz draußen essen. Wir holen uns Etwas in einem chinesischen Restaurant, und begeben uns Richtung Kaiserpfalz. Für Wein habe ich selbstverständlich gesorgt.

14.07.2005:
Nach dem Frühstück entscheiden wir uns für eine Naturwanderung, und fahren – in diesem Fall laufen und fahren – ins Okertal. Da Renate Behland-Ginolas eine lustige Einschätzung von Entfernungen hat, werden aus zwanzig Minuten Laufweg, Ca. 01:30 Std. Die Hitze ist unerträglich. Man hätte mit dem Bus 802 (Fährt ein Mal in der Stunde) fahren können, aber das Problem besteht darin, dass nicht alle Bordsteine die gleiche Höhe wie der Buseinstieg haben. Endlich am Waldweg eingetroffen, genießen wir den Waldschatten. Für das Mittagsessen habe ich gesorgt.

Ein sehr schöner Weg durch diesen Wald. Aus einem Blickpunkt im Wald bekommt man eine sehr schönes Bild der Landschaft und über die Okersee. Der Waldweg besteht aus Teer und ist sehr gut für Rollstuhlfahrer zugänglich. Wir kommen nach Goslar über den Zwinger zurück.

Diese Wanderung nimmt Ca. 4 bis 5 Stunden in Anspruch.
Abends wird wieder wie am Vortag für ein Essen draußen gesorgt.

15.07.2005:
Nach dem Frühstück besuchen wir das große Heilige Kreuz - Hospital. Danach gehen wir auf dem Wochenmarkt einkaufen.
Im Münzgarten nehmen wir unser Mittagessen ein.

In der Mönchenstrasse befindet sich das Mönchehaus Museum für moderne Kunst - im staatlichen Ackerbürgerhaus von 1528. Im Garten kann man sich sehr interessante Skulpturen und Realisationen der modernen Kunst anschauen.
Abends begeben wir uns in ein Ceylonesisches Restaurant namens Raja, welches dem Gast Spezialitäten aus Sri Lanka anbietet. Das Preisleistungsverhältnis stimmt vollständig überein. Ein sehr guter und freundlicher Service sowie eine angenehme Note aus dem fernen Osten verführen jeden Gast, der dieses Restaurant besucht.

16.07.2005:
Wir frühstücken etwas später als normal.
Heute haben wir vor, den Maltermeisterturm – schöne Aussicht auf ganz Goslar, sehr angenehmes Ausflugslokal – zu besuchen. Der Weg aus Teer ist gut befahrbar, aber ein bisschen steil. Ohne Schiebehilfe wäre dieser Weg nicht zu schaffen gewesen. Wir bleiben Ca. zwei Stunden oben und bewundern die Landschaft. Der Rückweg geht durch einen Waldweg, der befahrbar ist. Allerdings besteht dieser Weg aus Stein und Sand. Die Fahrt nach Unten bringt Hindernisse mit sich, die ziemlich gut überwunden werden können. Die Steilheit des Weges macht sich bemerkbar, ins Besondere auf dem letzten Teil. Wer gute Bremsen an seinem Rollstuhl hat, wird diesen Weg problemlos schaffen. Wer keine Bremse hat, kann nur mit dem Schrecken der etwa erhöhten Geschwindigkeit davon kommen. Wir hatten keine Bremse!

Zurück im Gästehaus ruhen wir uns für Ca. zwei Stunden aus. Danach gehen wir in einem chinesischen Restaurant essen.

17.07.2005:
Nach Tagen mit vollem Programm wollen wir heute einen ruhigen Tag haben. D. h. faulenzen ist angesagt. Trotzdem wollten wir mit dem Stadtrundfahrtbus fahren, leider aufgrund mangelnden Interesses wurde die Fahrt um 15:30 Uhr abgesagt. Die schlechte Wirtschaftsituation hat leider auch die Tourismusentwicklung der Stadt Goslar hart getroffen. Allerdings ist mir aufgefallen, dass kaum Besucher aus Belgien und Frankreich in dieser Stadt zu sehen und zu hören sind. Da meine Eltern in Brüssel Mitglieder in einem Seniorenverein (Ca. 60 Mitglieder) sind, werde ich für die Stadt Goslar in Brüssel werben, und eine vier Tage Reise in eigener Regie vorstellen und ab Mai 2006 organisieren.

Ende des Nachmittags ist leider Renate von einer leichten Darmerkrankung getroffen. Andauernde Durchfälle sind die Folge dieser kleinen Erkrankung. Dieses hat zur Folge, dass die Matratze sowie der Bettbezug nicht mehr verwendbar für den Hotelier sind. Aufgrund dessen, sind Kosten in Höhe von etwa 600,00 € entstanden. Diese Kosten können wir glücklicherweise mit der Haftpflichtversicherung abwickeln.

So erfreulich ist der Tag nicht gelaufen, aber das sind die Dinge des Lebens, daher ist schon am frühen Abend für Ruhe angesagt.

18.07.2005:
Nachdem wir gefrühstückt haben, ist die Zeit gekommen, uns von Goslar zu verabschieden. Da ich schon im Voraus mit der Deutschen Bahn AG (Mobilitätsdienst) Rücksprache gehalten habe, hoffen wir, dass es dieses Mal besser als bei der Hinfahrt mit dem Rollstuhl klappt. In Goslar ist der Mitarbeiter des Mobilitätsdienstes ein sehr freundlicher und angenehmer Mensch.

Wir treffen in Hannover ein, und da fangen die Problemen an. Der Mitarbeiter des Mobilitätsdienstes ist schlecht über den Zugwagen informiert worden. Statt das er am Ende des Zuges mit der Hebebühne steht, befindet er sich am Anfang des Zuges. Na ja, das kriegen wir noch einigermaßen gut geregelt.

Der ICE nach Köln wird wirklich eine Strapaze. Zuerst funktioniert die Klimaanlage im Wagen nicht. Dieser Wagen ist speziell für Schwerbehinderte reserviert. Da es draußen über 40° C ist, ersticken wir in diesem Wagen fast. Renate kann kaum noch gehen, aus diesem Grund ist eine Abwanderung für sie in einem anderen Bahnwagen ausgeschlossen.

Ich bin sehr sauer über den Service der Deutschen Bahn! Sogar kostenfreie Erfrischungen wurden uns nicht angeboten. Dieses bedeutet eine glatte sechs für die Dienste & Leistung der Deutsche Bahn AG. (Ein Schreiben an die Oberdirektion ist bereits abgeschickt.)

Der ICE hat selbstverständlich Verspätung. Aus diesem Grund treffen wir erst nach sechs Stunden Fahrt in Köln ein. Ich bin außer mir! Unterwegs habe ich einen Zugbegleiter gefragt, ob in Köln der Mobilitätsdienst mit einer Hebebühne steht. Er hat mich ganz einfach ignoriert. Dann ist mir den Kragen geplatzt.

Stellen Sie sich vor, was dieser Kerl gemacht hat. Er hat die Polizei angerufen, und gesagt, dass ich ihn beleidigt hätte. Tatsächlich: bei unserem Eintreffen in Köln, wurden wir von grünen Männern empfangen!

Zusammenfassung:
Kosten:
Unterkunft: 7 Nächte inkl. Frühstück à 42,00 € p. P., Gesamt 588,00 €
·Verpflegung: Mittagessen, Abendessen, Einkaufen, Diverse.
Gesamt: 256,28 €
· Reisekosten: 63,00 € + 59,60 € (Reisegepäck) = 122,60 €
·Zeiteinsatz Ehrenamtlich: Ca. 120 Stunden (inkl. Reisevorbereitung)

Kosten Gesamt: 966,88 € (60,43 €/Tag/Person)

Für Rückfrage stehe ich gerne zur Verfügung, und hoffe, dass dieser Reisebericht für eine Bereicherung Ihres Wissens gesorgt hat.

Mit freundlichen Grüßen

La Vie est belle, Thierry Vandries
50825 Köln * Tel.: 0221 - 550 61 79 * Fax: 0221 – 550 87 13