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Zweiklassenstaat: Beispiel Rente + Krankenversicherung

06.05.2008 - von Otto W. Teufel

Die Demokratie- und Gerechtigkeitsdefizite werden in unserem Land immer größer und endlich fallen sie sogar einer breiteren Öffentlichkeit auf. Aus diesem Anlass haben wir einen Artikel aus dem Jahr 2005 von Otto F. Teufel nach vorne geholt.

Bei den Bürgern wird das Gefühl der Ohnmacht und der ungerechten Behandlung immer größer. Die Sachverhalte, die dazu führen, betreffen vorwiegend das Zwei-Klassensystem in der Krankenversicherung und bei der Altersvorsorge. Beide Systeme sind in dieser Form und Ausprägung einmalig in Europa. Diese Sachverhalte werden aber in der öffentlichen Diskussion in der Regel nicht deutlich gemacht.

Die Volksversicherung für NichtErwerbstätige, selbständige Beamte, abhängig Beschäftigte, Arbeitnehmer (als für grundsätzlich alle Einwohner innerhalb bestimmter Altersgrenzen) gibt es in: Schweiz, Dänemark, Finnland, Niederlande.

Die Erwerbstätigenversicherung (Alle Erwerbstätigen zahlen ein) gibt es in: Belgien, Spanien, Frankreich, Griechenland, Irland, Großbritannien, Italien, Luxemburg, Österreich, Portugal.

Die Arbeitnehmerversicherung (abhängig Beschäftigte Arbeitnehmer) gibt es nur in der: Bundesrepublik Deutschland. In allen anderen Staaten Europas sind entweder alle berufstätigen Bürger oder sogar alle Bürger in die Solidarsysteme einbezogen. Quelle: BfA

Solidarität der Generationen
Grundlage für den Zusammenhalt innerhalb einer Gesellschaft ist unter anderem ein Mindestmaß an Solidarität, das durch den Generationenvertrag und die Solidarsysteme sichergestellt werden soll. Solidarität kann aber auf Dauer nur funktionieren, wenn sie unteilbar ist.

Der Generationenvertrag am Beispiel Altersversorgung
Ohne Ausnahme profitieren alle Kinder und Jugendlichen im Rahmen ihrer Erziehung und Ausbildung vom Generationenvertrag. Dagegen ist in der Bundesrepublik Deutschland die soziale Absicherung im Krankheitsfall und im Alter für verschiedene soziale Gruppen unterschiedlich geregelt.

Arbeitnehmer erhalten ihre Versorgung im Krankheitsfall (als Kassenpatient) und im Alter (als Rente) durch gesetzlich geregelte Solidarsysteme. Dafür müssen sie erhebliche Beiträge in diese Systeme einzahlen.

Beamte erhalten eine angemessene Versorgung sowohl im Krankheitsfall (50 bis 70 % Beihilfe; Privatpatient) als auch im Alter (Pension) aus öffentlichen Kassen, das heißt praktisch ohne eigene Beiträge aus Steuermitteln.

Selbständige, Unternehmer und Vermögende können überwiegend auf privatrechtlicher Basis für den Krankheitsfall und für das Alter vorsorgen. Für vergleichbare Beiträge, wie sie ein Arbeitnehmer zahlen muss, erhalten sie eine angemessene Versorgung im Krankheitsfall (Privatpatient), sie können außerdem im Alter mit einer rund doppelt so hohen Rente rechnen.

Eine angemessene Rente erreichen Arbeitnehmer schon lange nicht mehr. So betrug zum Beispiel der durchschnittliche Rentenzahlbetrag für Männer, die im Jahre 2004 neu in Rente gegangen sind, ganze 841 Euro monatlich. Im Vergleich dazu betrug laut statistischem Bundesamt im Jahre 2000 die durchschnittliche Pension eines Beamten mehr als 2.300 Euro brutto und das 12,8 Mal pro Jahr.

Außerdem können diejenigen, die keine Beiträge in das Solidarsystem zahlen müssen, im Krankheitsfall als Privatpatienten zum Arzt gehen, wiederum im Gegensatz zu denjenigen, die sich innerhalb des Solidarsystems gesetzlich krankenversichern müssen und im Krankheitsfall eben auch als Kassenpatienten behandelt werden.

Die Idee der Solidarität innerhalb der Gesellschaft wird massiv verletzt, da sie zwar in der ersten Lebensphase von allen Bürgern in Anspruch genommen wird, aber nur ein Teil der Bürger während des Berufslebens für die Finanzierung der gesetzlich geregelten Solidarsysteme aufkommt.

Die Ursachen unsozialer Regelungen
Wer jetzt die Frage nach den Ursachen für diese Missverhältnisse stellt, kommt zwangsläufig zu folgenden Ergebnissen:
1.
Diejenigen, die die Themen in der Öffentlichkeit diskutieren und entscheiden, sind in aller Regel selbst nicht betroffen und profitieren zumindest indirekt von diesen Zwei-Klassen-Systemen,
2.
die Verantwortlichen in der Legislative, Exekutive und Judikative, die die entsprechenden Gesetze beschließen, anwenden und gegebenenfalls ihre Rechtmäßigkeit überprüfen, bilden selbst Interessengruppen und schaffen sich eigene Regelungen,
3.
Im Rentenrecht gelten rechtsstaatliche Grundsätze nicht.

  • Mißbrauch der Beiträge für sogenannte versicherungsfremde Leistungen
  • Eigentumsschutz wird mißachtet
  • Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes

  • Keine Rechtssicherheit für Beitragszahler rückwirkende Änderungen von bereits erworbenen Ansprüchen

    Rentenrecht und rechtsstaatliche Grundsätze
    Die versicherungsfremden Leistungen: Wesentliche Ursache für die Schlechterstellung der gesetzlich Versicherten ist die Verwendung eingezahlter Gelder für sozialpolitisch notwendige aber nicht beitragsgedeckte Leistungen: die versicherungsfremden Leistungen. Der VDR definiert diese Leistungen folgendermaßen:
    Alle Leistungen der Rentenversicherung sind als
    versicherungsfremd anzusehen, die nicht oder nicht in vollem Umfang durch Beiträge der Versicherten gedeckt sind.


    Im Jahre 1994 hat das Institut der deutschen Wirtschaft die nicht durch Zuschüsse des Bundes gedeckten versicherungsfremden Leistungen mit 100 Milliarden DM beziffert. Professor Franz Ruland VDR, am 21.11.1994 in Würzburg:
    "Die Problematik der der Sozialversicherung aufgebürdeten
    versicherungsfremden Leistungen bekommt zunehmend eine politische Dimension. Das liegt zum einen an den Summen, um die es geht. Das Institut der deutschen Wirtschaft stellt hierzu fest, dass Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung für die versicherungsfremden Leistungen pro Jahr mehr als 170 Milliarden DM aufwenden müssen."

    Der Bund als Verursacher dieser Zahlungen beteilige sich daran nur mit 70 Milliarden DM, auf den restlichen 100 Milliarden DM blieben mithin die Beitragszahler sitzen, also Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Würden auch die restlichen 100 Milliarden DM über Steuermittel und nicht aus Beiträgen finanziert, könnten - so das Institut - die Beitragssätze zur Sozialversicherung um mehr als 8 Prozentpunkte gesenkt werden.

    Nachlesen können Sie diese Werte außer beim VDR bei den wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestags und in der sozialpolitischen Korrespondenz der SPD, die sogar von mehr als 110 Milliarden DM spricht, die nicht durch den Bund ersetzt werden. Dazu kommen noch die Transferleistungen in die neuen Bundesländer, die überwiegend über die Sozialkassen finanziert werden, was laut Magazin „Der Spiegel“ mit Bezug auf den Sachverständigenrat weitere vier Prozentpunkte der Abgaben ausmacht.

    Mit welcher Leichtigkeit die Politik Lasten der öffentlichen Haushalte in die Sozialversicherungssysteme verschiebt, wurde zuletzt im Zusammenhang mit Hartz IV deutlich. Die Krankenversicherungskosten von mehr als 90 Prozent der Sozialhilfeempfänger wurden mit einem minimalen Beitrag in die gesetzliche Krankenversicherung verschoben, das heißt sie gehen jetzt überwiegend zu Lasten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Diese Werte und Zusammenhänge kennt mit Sicherheit auch der Arbeitgeberpräsident, der aber trotzdem immer nur Kürzungen der Leistungen der Sozialsysteme fordert.

    Die gleichen Forderungen haben schon seine Vorgänger 1929
    und 1930 an eine willfährige Regierung in Berlin gestellt, mit der Folge des Zusammenbruchs der gesamten Wirtschaft (Nachzulesen in der Dokumentation von Michael Grübler: Die Spitzenverbände der Wirtschaft und das erste Kabinett Brüning – Droste Verlag, 1982).

    Nutznießer dieser ungerechten und unserer Meinung nach verfassungswidrigen Verwendung von Beiträgen zur Sozialversicherung sind alle die, die nicht zwangsweise Beiträge in die Sozialsysteme einzahlen müssen. Denn: Wenn diese 100 Milliarden DM zusätzlich zum Beispiel aus Steuern auf Erwerbseinkommen erbracht werden müssten, müssten alle Arbeitnehmer, Beamten und Politiker deutlich höhere Steuern auf ihre Einkünfte zahlen. Dagegen würden die Beitragszahler entlastet.

    Rechtssprechung
    Wer jetzt glaubt, die deutsche Justiz würde diese Ungerechtigkeiten und ungleiche Behandlung der Bürger durch die Politik korrigieren, stellt ganz schnell fest, dass das nicht der Fall ist, im Gegenteil: Die Rechtssprechung von Bundessozialgericht und Bundesverfassungsgericht zum Thema Rente ist widersprüchlich und für die Betroffenen oft nicht nachvollziehbar. Schon 1981 hat das BVerfG eine Entscheidung getroffen, die nach Ansicht vieler bedeutet, dass im Rentenrecht elementare Grundrechte außer Kraft gesetzt werden können, mit der Begründung, dass es sich hierbei um ein Solidarsystem handelt. Das hat zur Folge, dass unter anderem der Gleichheitsgrundsatz nicht gilt und bereits nach Recht und Gesetz erworbene Ansprüche rückwirkend gestrichen werden dürfen, wenn das Geld in der Rentenkasse knapp ist. (BVerfG am 01.07.81 (1 BvR 874/77 u.a.)

    Soweit zugleich in schon bestehende Anwartschaften einge-
    griffen wird, ist zu berücksichtigen, dass ihnen von vornherein die Möglichkeit von Änderungen in gewissen Grenzen angelegt ist. Eine Unabänderlichkeit der bei der Begründung bestehenden Bedingungen widerspräche dem Rentenversicherungsverhältnis, das im Unterschied zum Privatversicherungsverhältnis von Anfang an nicht auf dem reinen Versicherungsprinzip, sondern wesentlich auf dem Gedanken der Solidarität und des sozialen Ausgleichs beruht. Daher gebührt dem Gesetzgeber auch für Eingriffe in bestehende Rentenanwartschaften Gestaltungsfreiheit.
    1994 und 1999 hat das BVerfG sinngemäß entschieden, dass ein Versicherter nicht dagegen angehen kann, wie die Politik seine Beiträge verwendet.

    Schon vorher hatte das BSG mit Bezug auf das BVerfG festgestellt, dass es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass nur ein bestimmter Teil der Bevölkerung vom Gesetzgeber in den Sozialversicherungssystemen zwangsweise versichert wird. BVerfG am 28.10.94 (1 BvR 1498/94) u.a.

    Begründung der Ablehnung einer Verfassungsbeschwerde zu versicherungsfremden Leistungen: Aus den Grundrechten erfolgt kein Anspruch eines Mitglieds eines verfassungsmäßig errichteten Zwangsverbandes auf generelle Unterlassung einer bestimmten Verwendung öffentlicher Mittel.

    Ein anderes Urteil besagt, dass der Gesetzgeber bestimmte Aufgaben und Leistungen den Sozialversicherungssystemen übertragen kann, mit der Folge, dass diese Leistungen aus Beiträgen zu finanzieren sind.(BSG zu versicherungsfremden Leistungen am 28.1.98 (B 12 KR 6/97 R). Der Senat hält die Beitragserhebung nicht deshalb für verfassungswidrig, weil aus der Rentenversicherung auch sogenannte versicherungsfremde Leistungen erbracht werden. Der Gesetzgeber ist durch das Grundgesetz nicht daran gehindert, fast sämtliche dieser Leistungen in der Sozialversicherung (Rentenversicherung) vorzusehen, mit der Folge, dass sie durch Beiträge zu finanzieren sind.

    Soweit ein kleiner Teil dieser Leistungen nicht mehr der Sozialversicherung zuzurechnen ist, sind sie durch den weit höheren Bundeszuschuss mehr als gedeckt. Im übrigen ist die Höhe des Bundeszuschusses verfassungsrechtlich nicht geregelt. Darüber entscheidet vielmehr der Gesetzgeber im Rahmen seiner sozialpolitischen Gestaltungsfreiheit.

    Wie sensibel das BVerfG andererseits auf Ungleichbehandlung reagieren kann, wenn Beamte betroffen sind, zeigt das Urteil vom 6.3.2002 zur Rentenbesteuerung:(BVerfG vom 6.3.2002 - 2 BvL 17/99) Wesentliche Aussagen: Die unterschiedliche Besteuerung von Renten und Pensionen verstößt gegen Artikel 3 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz ist auch dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können.

    Für die verfassungsrechtliche Würdigung kommt es allein auf den Vergleich einkommenssteuerlicher Be- und Entlastung der jeweiligen Bruttobezüge an, nicht aber auf einen Vergleich der Nettoversorgung. Im Zusammenhang mit diesem Urteil wurde einer der damit befassten Verfassungsrichter, Herr Rudolf Möllinghoff, in den Medien folgendermaßen zitiert: „Soll man verfassungswidriges Unrecht hinnehmen, wenn dieses durch eine Belastungsverlagerung behoben werden kann?“ Diese sensible Einstellung und Bewertung wäre auch in der Rechtssprechung des BVerfG zum Rentenrecht wünschenswert.

    Schlussbemerkung
    Die Tatsache, dass allein in der Bundesrepublik Deutschland nicht alle Bürger gleichermaßen in die gesetzlichen Sozialversicherungssysteme eingebunden wurden, hat zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft geführt,die das Grundgesetz so nicht vorgesehen hat, und die außerdem immer weiter auseinander driftet. Die sozial schwächste Gruppe der gesetzlich Versicherten hat praktisch keine Interessenvertretung und ist auf der Strecke geblieben. Bedauerlicherweise versagt auch die Kontrolle, da die Vertreter der Rechtssprechung zu den privilegierten Gruppen gehören. Es bleibt deshalb zu fordern, dass endlich alle Bürger ohne Ausnahme in die Solidarsysteme der gesetzlichen Sozialversicherung eingebunden werden.

    Juli 2005, Otto Teufel, ADG.

    Abkürzungen:
    BfA Bundesversicherungsanstalt für Angestellte
    BVerfG Bundesverfassungsgericht
    BSG Bundessozialgericht
    GG Grundgesetz
    VDR Verband Deutscher Rentenversicherungsträger

    Sie können diesen Text als Broschüre mit sehr guten Abbildungen bestellen beim Herausgeber: Aktion Demokratische Gemeinschaft e.V. Link e-mail: info@adg-ev.de

    Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=1025
    Quelle: Aktion Demokratische Gemeinschaft e.V.