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Altersgrenze für Ärzte für Landessozialgericht o.k.

30.03.2006 - von Dr. Deiwick

Das Hessische Landessozialgericht hat im Berufungsverfahren eines Internisten die Gültigkeit der Altersgrenze für den Entzug der kassenärztlichen Zulassung festgestellt. Die Altersgrenze von 68 Jahren vestoße weder gegen das Grundgesetz noch sei sie diskriminiernd. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) hatte dem Arzt wie allen gelichaltrigen Kollegen auch nach dem 68. Geburtstag die Kassenzulassung entzogen.

Zu diesem Thema hat der Präsident des Bundesgerichtshofes, Prof. Günter Hirsch in seinem Festvortrag auf dem 42. Bayerischen Zahnärztetag in München sich so vernehmen lassen:

"Der Zugang zum Beruf des Kassenarztes und die Modalitäten seiner Ausübung unterliegen einer Fülle von Restriktionen und Reglementierungen.
Am schwersten wiegt wohl die seit 1999 geltende Bedarfszulassung sowie die Altersbegrenzung für den Zugang zur vertragsärztlichen Tätigkeit und für das Erlöschen der Zulassung. Ob aber ein partielles "Berufsverbot" die richtige, dem Übermaßverbot entsprechende Therapie ist, kann bezweifelt werden.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des EuGH, daß die Mitgliedstaten auch dort, wo sie allein regelungsbefugt sind, bei der Ausübung dieser ihrer Kompetenz die Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts nicht beeinträchtigen dürfen."

Genau das ist aber bei der Einführung der 68-Jahresgrenze für Ärzte geschehen.

Damit erhebt sich dei Frage: Haben die zuständigen Gerichte und Behörden die Richtlinie RL/2000/78/EG mit ihren Eigenschaften des Vorrangs und der VOrwirkung beachtet bei ihrer Beurteilung der Frage der Rechtmäßigkeit der 68-Jahrensgrenze oder nicht? Die Mitgliedstaaten haben aus Art. 10 EGV die Pflicht, ihr nationales Recht an die Richtlinie anzupassen und vom Tage des In-Kraft-Tretnes der Richtlinie an alles zu unterlassen, was dem Sinn und dem Ziel dieser RL widerspricht, den Weg dorthin erschwert, verzögert oder gar verlegt.

"Sie haben der jeweils von ihnen zu treffenden Entscheidung diejenige Rechtsloage zugrundezulegen, die bestünde, wenn die Richtlinie in insgesamt gemeinschaftskonformer Weise umgesetzt worden wäre." (Handbuch des Rechtsschtuzes in der Europäischen Union, Rengeling, Middeke, Gellermann, - 2003), R.Nr. 32 - "...der Gerichtshof ...scheint...der Ansicht zuzuneigen, das dem nationalen Rechtnsanwender die gemeinschaftlsrechtlich fundierte Interpretationsplficht bereits mit Ablauf des Richtlinienerlasses und nicht erst mit Ablauf der zu ihrer Umsetzung beestimmten Frist betrifft." R.Nr. 51

Der Paragraf 95 VII SGB V ist, wie das Mangold-Urteil erkennen lässt, mit der Richtlinie 2000/78/EG nicht kompatibel. Er kann nicht gemeinschaftskonfrom ausgelegt werden. Es liegt eine direkte Kollision vor. Der EuGH hat seit langem für derartige Situationen vorgesehen wie folgt:

"Es besteht eine autonome Gemeinschaftsrechtsordnung, die bewusst von den Mitgliedstaaten unter Aufgabe bestimmter Souveränitätsrechte akzeptiert wurde. Diese Gemeinschaftsrechtsordnung hat Vorrang vor der innerstaatlichen Gesetzgebung, denn es würde eine Gefahr für die Verwirklichung der Vertragsziele bedeuten, wenn das Gemeinsschaftsrecht von einem Staat zum anderen verschiedene Geltung haben könnte." (EuGH, Urteil von 15.7.1964, 6/64 Slg. S. 1251 - nachzulesen bei: Waltraud Hackenberg, Grundzüge des Europäischen Gemeinschaftsrechts S. 64)

In der Sache "Simmenthal" (EuGH, Urteil von 9. März 1978, 106/77, Slg. S. 629) hat der Gerichthof entschieden, daß jeder im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene staatliche Richter verpflichtet ist, das Gemeinschaftsrecht uneingegeschränkt anzuwenden und die Rechte, die es den einzelnen verleiht, zu schützen, indem er jede möglicherweise zuwiderlaufende Bestimmung des nationalen Rechts, gleichgültig ob sie früher oder später als die Gemeinschaftsnorm ergangen ist, unangewendet läßt. (Randr, 21 und 24).

Der EuGH hat seine Rechtsprechung bestätigt in der Sache "Solred" C-347/96 vom 5. März 1998, wo geschrieben steht unter der Randnr. 30:

"Schließlich ist nach ständiger Rechtsprechung jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene einzelstaatliche Gericht verpflichtet, das Gemeinschaftsrecht uneingeschränkt anzuwenden und die Rechte, die es den einzelnen verleiht, zu schützen, indem es jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts, gleichgültig, ob sie früher oder später als die Gemeinschaftnorm ergangen ist, unangewendnet läßt (Urteil von 9, Märzt in der Rechtssache 106/77 Simmenthal, Slog, 1978, 629, Randnr. 21).

In der Rechtsache "Engelbrecht" C-262/97 vom 26. September 2000 hat der EuGH eindeutig formuliert in R. Nr. 40:

Wenn eine solche konforme Anwendung nicht möglich ist, ist das nationale Gericht verpflichtet, das Gemeinschaftsrecht in vollem Umfang anzuwenden und die Rechte, die dieses dem einzelnen einräumt zu schützen, indem es notfalls jede Bestimmung unangewendet läßt, deren Anwendung im konkreten Fall zu einem gemeinschaftswidrigen Ergebnis führen würde."

Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=1009
Quelle: Brief a.d. Redaktion, Frankfurter Rundschau 27.3.2006