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Rechtlos wer jenseits der 65 arbeiten will oder muß

25.06.2007 - von Name + Adresse sind der Redaktion bekannt

Mein Arbeitgeber will mich jenseits des Rentenalters nicht weiterbeschäftigen. Die meisten bundesdeutschen Arbeitsverträge enthalten Regelungen, in denen von vorne herein das Ende der Arbeitstätigkeit festgelegt ist. Dies kann manchmal schon im Alter von 60 oder 63 Jahren sein. Mein Arbeitsvertrag endet mit dem Erreichen des 65. Lebensjahres.

Die deutsche Rechtsprechung akzeptiert diese Arbeitsverträge. Endet das Beschäftigungsverhältnis laut Arbeitsvertrag mit 60,63 oder 65 Jahren, wird dem betroffenen Arbeitnehmer keine Möglichkeit zugestanden, seine Beschäftigung über die vertraglich vereinbarte Altersgrenze hinaus fortzusetzen.
Die Kompetenz eines Arbeitnehmers, das Interesse an der Arbeit, die Notwendigkeit, die Rente durch Weiterarbeit zu verbessern - das interessiert weder die Gerichte, noch die Arbeitgeber, noch die bundesdeutschen und europäischen Politiker. Einzig und alleine der Vertrag und das Geburtsdatum sind entscheidend.

Der Gummiparagraph aus der EU-Richtlinie 78/Artikel 6 und derselbe Paragraf, der im bundesdeutschen AGG unter der Bezeichnung § 10, Ziff. 5 AGG daherkommt, müssen weg! Eine Diskriminierung liegt nach diesen Paragrafen nicht vor, wenn Ungleichbehandlungen wegen des Alters „objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind“. Ungleichbehandlung wegen des Lebensalters ist dadurch weiterhin zulässig. Arbeitnehmer können noch immer wegen ihres Alters und gegen ihren ausdrücklichen Willen aus dem Job rausgedrängt werden, sobald Rentenbeantragung möglich ist. Wer eine Minirente zu erwarten hat, hat eben Pech gehabt.

Soll das so bleiben? Ich bin nicht damit einverstanden!
Der Europäische Gerichtshofs sollte die Zulässigkeit dieses fragwürdigen Paragrafen überprüfen!

Mein Arbeitgeber will mich jenseits des Rentenalters nicht weiterbeschäftigen.
Er beruft sich auf diesen Gummiparagraphen und das „ legitime Ziel: Arbeitsmarkt und Beschäftigungspolitik“. 50 MitarbeiterInnen im Unternehmen seien von Arbeitslosigkeit bedroht, viele Stellen müssten aus Kostengründen gestrichen werden, sagt mein Arbeitgeber. So entsteht ein Verdrängungswettbewerb. Wer die festgeschriebene Altersgrenze erreicht hat, muss aus dem Erwerbsleben ausscheiden, ob er will oder nicht. Keiner der von Zwangsrente und Zwangsverrentung Betroffenen kann sich zur Wehr setzen. Wird eine Rechtsklage angestrebt, lehnen die Rechtsschutzversicherungen eine Kostenübernahme wegen geringer Erfolgsaussichten ab. Das Erreichen des Renteneintrittsalter bedeutet hierzulande also noch immer, alt und arbeitsunfähig zu sein. Nach Expertenkenntnissen ist der Eintritt in den sog. Ruhestand heutzutage viel zu früh angesetzt. Trotzdem erfolgen Zwangsverrentungen und –pensionierungen weiter mit spätestens 65 Jahren. 2029, das ist in 22 Jahren, dann mit 67 Jahren. Fachleute benutzen den Begriff „alt“ aber mittlerweile nur noch im Zusammenhang mit umfassender Interesselosigkeit und Pflegebedürftigkeit.

Vor einigen Jahrzehnten entstand eine Frauenbewegung, die mit Erfolg gegen erstarrte Rollenbilder und für Gleichstellung kämpfte. Damit die überkommenen und vorurteilsbeladenen Altersbilder endlich überwunden werden, ist eine neue Bewegung erforderlich. Ich fordere das Recht auf bezahlte Arbeit auch jenseits der 65!

Das Büro gegen Altersdiskriminierung fordert seit 1999: Weg mit dem Zwangsrentenalter. Jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin soll selbst entscheiden, wann sie/er in Rente geht.

Das Büro gegen Altersdiskriminierung hat gemeinsam mit EURAG und AGE noch vor der Verabschiedung der EU-Richtlinie 78 im Jahr 2000 gegen Artikel 6 der EU-Richtlinie protestiert. (Von den Gewerkschaften war in diesem Zusammenhang kein Mucks zu hören!)
Uns fiel auf, wie homöopathisch die Richtlinie 78 tatsächlich dosiert war, und welch wichtige Rolle Artikel 6 der EU-Richtlinie spielt. Artikel 6 macht nämlich alle Regelungen gegen Altersdikriminierung in den anderen Paragrafen zunichte. Nur ein leerer Teller mit ein bißchen Garnitur bleibt übrig. "Die Mitgliedstaaten", heißt es in Artikel 6, "die Mitgliedstaaten können vorsehen, daß Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und (...) durch ein legitimes Ziel (...) aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung gerechtfertigt sind (...).
Kaugummimäßiger gehts nicht. Damit kann Politik und Justiz alles, aber auch wirklich alles, was Arbeitgeber sich je wünschen könnten, als legitimes Ziel der Beschäftigungspolitik oder des Arbeitsmarkts rechtfertigen.

In USA sind die Zwangsrente und das Zwangspensionsalter bereits seit 1984 abgeschafft. Dort bestimmt der ArbeitnehmerIn selbst, wann er/sie in Rente/Pension geht. Es gibt ein staatlich festgelegtes Rentenbezugsalter. Das hat aber keinen Einfluss auf das Arbeitsverhältnis. Das Zwangsrentenalter ist auch in D nicht einheitlich geregelt. Ärzte behalten bis 68 ihre Kassenzulassung, gegen diese ALtesgrenze läuft ein Verfahren beim europäischen Gerichtshof.
Hebammen dürfen bis 70 praktizieren. Rechtsanwälte arbeiten so lange, wie sie wollen, Künstler und alle anderen Freiberufler ebenso.

Das Gesetz gegen Diskriminierung in New South Wales, Australien verbietet es ausdrücklich eine Person wegen ihres Alters dazu zu drängen, in Rente zu gehen. Im Gesetzestext heißt es: Age discrimination because of a person’s age – for example, because of unsupported assumptions about what an older or younger person can or can’t do. It is also generally unlawful to force a person to retire at any partricular age.

Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=2034
Quelle: Mail + Hanne Schweitzer

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22.06.2007: AGG-Verstöße: Junges Team bis max. 34 Jahre
20.06.2007: Zwangsrentenalter: Kirche beruft sich auf AGG
19.06.2007: Junge Lehrkräfte in Berlin diskriminiert

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