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Bagso zur Pflegereform

23.07.2007 - von Bagso

Bonn (BAGSO), 19.7.2007

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) e.V. begrüßt, dass einige der von ihr und ihren 95 Verbänden geforderten Veränderungen in den Reformvorschlägen der Bundesregierung vom 19. Juni 2007 Berücksichtigung gefunden haben.

Sie bedauert jedoch, dass die im Ansatz richtigen Reformpläne oft zu kurz greifen und fordert Nachbesserungen.

Viele der beschriebenen Vorhaben haben noch den Charakter von Absichtserklärungen. Sie müssen zunächst konkretisiert werden, außerdem müssen sie einen verbindlichen Charakter erhalten.

Integrierte wohnortnahe Versorgung und Pflegestützpunkte

Als positiv sieht die BAGSO die Planung einer vernetzten und wohnortnahen Versorgungsstruktur, in der pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen in einer für sie sehr belastenden und angespannten Lebenssituation Unterstützung "aus einer Hand" – durch Pflegestützpunkte und Fallmanagement – erhalten.

Dadurch ist auch eine bessere Koordination der verschiedenen Hilfsmaßnahmen (z. B. kommunale Altenhilfe, Selbsthilfe und Pflege) gewährleistet, zum Besten der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen. Durch koordiniertes Handeln ergeben sich darüber hinaus erhebliche Einsparpotenziale.

Fallmanagement

Es ist dafür Sorge zu tragen, dass die Fallmanager in der Praxis wirklich nicht mehr als 100 pflegebedürftigen Menschen zur Seite stehen. Die Erfahrungen aus dem Bereich der Betreuung zeigen, dass diese Zahl eigentlich schon zu groß ist, um eine wirklich umfassende und individuell angepasste Beratung zu ermöglichen.

Förderung betreuter Wohnformen / Wohngemeinschaften

Die Förderung betreuter Wohnformen ist ein Schritt in die richtige Richtung. Sie entspricht den Bedürfnissen der meisten älteren Menschen, die sich – wenn sie nicht in ihrer eigenen Wohnung verbleiben können – als Alternative zu großen Heimen und Wohnanlagen individuellere Wohn- und Versorgungsstrukturen wünschen.

Ausgestaltung der finanziellen Leistungen

Die BAGSO begrüßt die Erhöhung der ambulanten Sachleistung und des Pflegegeldes sowie die deutliche Aufstockung der Betreuungsleistungen von 460 € auf 2.400 € jährlich für Menschen, die demenziell erkrankt sind und keine Pflegestufe haben, und auch den Ausbau des Anspruchs auf Tagespflege und den damit verknüpften hälftigen Anspruch auf Pflegesachleistungen oder Pflegegeld.

Um den Grundsatz „ambulant vor stationär“ konsequenter umzusetzen, ist es jedoch erforderlich, die ambulante pflegerische Versorgung finanziell deutlich besser auszustatten.

Angesichts der sehr großen körperlichen und seelischen Belastung, die die Betreuung eines Demenzkranken mit sich bringt, hält die BAGSO die Summe von maximal 200 € monatlich nicht für ausreichend, um eine spürbare Entlastung zu bewirken.

Bei einer langfristigen Reform muss es vor dem Hintergrund der demografischen Veränderungen in unserer Gesellschaft darum gehen, familiäre und private Netzwerke zu fördern und zu stärken. Da es aber immer auch pflegebedürftige Menschen geben wird, die stationär versorgt werden müssen, darf die Verbesserung im ambulanten Bereich keinesfalls zu Lasten der stationären Pflege gehen.

Dass die Leistungen der Pflegeversicherung künftig in einem 3-Jahres-Rhythmus dynamisiert werden sollen, hält die BAGSO – nach einer Phase von 13 Jahren, in denen die Leistungen nicht angeglichen wurden – zwar für einen Fortschritt. Sie plädiert jedoch dafür, dass die Angleichung nicht alle drei Jahre, sondern jährlich erfolgen muss, und zwar in einer Höhe, die zumindest die Inflation ausgleicht, da sonst keine gleichbleibende Qualität in der pflegerischen Versorgung gewährleistet ist.

Die Ausweitung niedrigschwelliger Betreuungsangebote zur Entlastung pflegender Angehöriger empfindet die BAGSO als sinnvoll, ebenso die größere Unterstützung von Modellvorhaben, um neue Wege in der ambulanten und stationären Versorgung zu erproben und die Ergebnisse publik zu machen.

Es muss erreicht werden, dass solche Modelle nach Auslaufen der Projektfinanzierung ein Finanzierungskonzept haben.

Einführung einer Pflegezeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

Die Einführung einer sechsmonatigen Pflegezeit bewertet die BAGSO ebenfalls positiv. Mittelfristig muss überlegt werden, wie die erlittenen Einkommenseinbußen – ähnlich wie beim Elterngeld –, zumindest teilweise kompensiert werden können.

Bessere Ausgestaltung der Prävention und Rehabilitation in der Pflege

Die BAGSO begrüßt, dass auch in der stationären Pflege der Grundsatz „Prävention und Rehabilitation vor Pflege“ stärker umgesetzt werden soll. Die Pläne, mit denen stationäre Pflegeeinrichtungen zu einer aktivierenden Pflege motiviert werden sollen, betrachtet sie jedoch mit Skepsis, da sie nur für kurze Zeit wirken. Es müssten vielmehr nachhaltige Anreize geschaffen werden, die sowohl präventive als auch rehabilitative Maßnahmen belohnen.

Ausbau der Qualitätssicherung

Die BAGSO begrüßt alle Maßnahmen, die die Transparenz in Bezug auf Leistungserbringung und Kosten/Gewinne im Bereich der ambulanten und stationären Pflege erhöhen.

Ein erster Schritt dazu ist die Veröffentlichung der MDK-Prüfberichte in einer auch für Laien verständlichen Form.
Neben der größeren Transparenz für den Leistungsempfänger könnte auch ein Wettbewerb unter den Pflegekassen den Leistungsempfängern eine Einflussmöglichkeit auf das Preis-Leistungsverhältnis der ambulanten und stationären Pflegeleistungen geben und ihre Rechte als Verbraucher z. B. bei unsachgerechter Mittelverwendung stärken, um Regressansprüche besser durchsetzen zu können.

Die BAGSO ist der Auffassung, dass pflegebedürftige Menschen noch stärker als Verbraucher gesehen und ihre Rechte gestärkt werden müssen.

Unterstützung des generationenübergreifenden bürgerschaftlichen Engagements

Als Dachverband vieler Organisationen, die sich dem bürgerschaftlichen Engagement (u. a. durch Besuchsdienste in Heimen) verschrieben haben, befürwortet die BAGSO, dass freiwillig engagierte Menschen besser in die Versorgungsangebote eingebunden und ihre Aufwendungen angemessen berücksichtigt werden.

Abbau von Schnittstellenproblemen

Ein Konzept, das die bislang oft mangelhafte ärztliche und fachärztliche Versorgung im Heim lebender Menschen verbessert, betrachtet die BAGSO als positiv.

Damit verbindet sich die Hoffnung, dass u. a. Noteinweisungen ins Krankenhaus reduziert werden, die hochaltrige pflegebedürftige Menschen seelisch unnötig belasten und für die Kassen mit erheblichen Kosten verbunden sind.

Zusätzlicher Verbesserungsbedarf

Abschließend zwei Aspekte, auf die im Papier der Bundesregierung nicht oder nicht ausreichend eingegangen wird:

Die BAGSO kritisiert, dass der Pflegebedürftigkeitsbegriff, der sich als zu eng erwiesen hat, da er die sozialen und seelischen Bedürfnisse pflegebedürftiger Menschen ausgrenzt, nicht angemessen erweitert wurde.

Pflegeexperten und -praktiker mahnen schon seit längerem an, dass auch die Begutachtungs- und Einstufungskriterien des MDK reformbedürftig sind. Die BAGSO hofft, dass die Bundesregierung sich dieser Aufgabe stellt und die für 2008 erwarteten Ergebnisse der Begriffsdiskussion in einem zweiten Reformschritt ihren Niederschlag finden.

Auch sieht die BAGSO mit den am 19. Juni vorgelegten Vorschlägen der Bundesregierung die nachhaltige Finanzierung der Pflegeversicherung nicht als gesichert an und mahnt sie dringend an.

Quelle: Bagso

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