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Essen auf Rädern ist Barberei: Eine Betroffene erzählt

Berlin, Mai 2010 Foto: Hanne Schweitzer

17.01.2011 - von E.M.H.

Das Essen in Altersheimen und Krankenhäusern ist oft ungenießbar und landet im Schweineeimer. Der Kaffee schmeckt nach Heu, die Königsberger Klopse sind zum Ausspucken. Mit der Eßkultur und der Freude am Essen geht es rapide bergab, seit immer mehr Betriebe die eigenen Küchen dichtgemacht haben und Essen auf Rädern geliefert bekommen.

"Erstaunlicherweise fallen die präzisen Geschmacksnerven im Alter selten weg; ja, sie werden sogar wichtiger, als bisher erachtet: Das erkenne ich auch an dem, was die anderen Mitleidenden hier im Haus nach dem Umbruch zur Essensbarberei sagen, wenn sie einmal zu jemand ehrlich sein dürfen.

Wir haben bei der guten einstmaligen Küche des Chefkochs Herrn S. gebucht. Das ist auch immerhin mit der Grund, warum wir in diesem Haus und nicht woanders gemietet haben. Bei der Kochkultur von Herrn S. war alles köstlich und mit den richtigen erlernten Gewürzen, die ja den Appetit anregen, vollendet beherrscht!

Aber nun. Diese Unmenschlichkeit!! jetzt gerät auch noch unser Essen, ein Teil der restlichen Lebensfreude, in die Hände der Schwarztaschen. Von Kochkunst habe ich nichts mitbekommen in den letzen Monaten, eher Barberei. Strünke von Wirsing haben wir auch in Notzeiten nicht zu essen bekommen!

Ganz schlimm waren "Königsberger Klopse". Ich hatte das gebucht, weil wohl jeder Mensch in Deutschland es kennen dürfte und hier kann doch ein Koch wirklich nichts falsch machen! (so dachte ich): Hack mit Zwiebeln, Gewürzen, Schmelze, rund geformt, gekocht, dazu Kapern-Sosse. Was dann als dunkle, undefinierbare Kugeln ankam, war zum Ausspucken, und ich mußte es auch tun. Ich musste das fiese Zeug wieder herausgeben.

In den Suppen ist etwas, dass so schlecht schmeckt, das ich es nicht essen kann. Man sagt von Gefängnissen, dass sie ein Mittel zur Beruhigung hineintun. Hier auch?

Angefangen hat das schlimme Ess-System in Kranken- und Altenhäusern ganz beiläufig durch wuchernde Gesetze und Normen. So hat es mir meine Freundin Marina, die bis zur Rente Buchhalterin in einem Krankenhaus in Bad Ems war, in einem wohl 45 Minuten langen Telefonat am Sonntag (sie hat das billige Telefon) erklärt.

Beispiel: Salmonellen. Als das damals passierte, war es berechtigt, auf Hygiene zu achten. Da hängten sich gleich die Gewinnmacher dran und machten Gesetze und immer weitere Hygiene-Muster, und keines wurde nach Jahren wieder weggenommen, so dass wir heute noch kein normales Ei bekommen. Es gibt Ersatz durch unangenehmes Pulver, womit wieder neu erfundene Namen Kasse machen.

Ein Altersheim mit 300 Personen kann mit allen Verfügungen und Verboten nicht mehr Schritt halten. An die 10.000 Essen werden morgens stundenlang durch die Landschaft gekarrt. Diese Esslawinen für Alte und Kranke, (einige nennen sie Leichentücher), diese grauen Riesen-Transport-Autos mit den Warmhaltegeräten haben die winzige Aufschrift: c... .

Die besten Köche, wie S., sind zu Essensausgebern degradiert von Vergammeltem, Herumgekarrtem und irgendeinem Zeug, was nicht zu definieren ist, überhaupt keinen guten Geschmack kennt und nichts mit der Anpreisung auf der Wochenliste zu tun hat.

Wir bekommen niemals frisches Essen, Schmelze und Gewürze werden weggelassen. Also ist der Sinn des ganzen Aufwandes in sich selbst zerstört.

Beim Sommerfest bestellte ich ein Steak. Es sah gut aus. Aber zum Ansägen, Schneiden war das "Holz" kaum fähig. Ich versuchte, ein Stückchen auszusaugen, es war ohne Geschmack und nicht klein zu kauen. Also wanderte es in den Müll. Es tut mir, die ich oft im Leben hungrig war, so weh, wenn die gute Nahrung verdorben wird durch die Reich-Macherei von Schwarztaschen oder solchen, die Alten das Leben verkürzen wollen.

Ich bemühe mich jetzt, selbst zu kochen, mit viel Mühe. Wir hatten 7,90 Euro für ein ungeniessbares Essen bezahlt. Für 4,50 Euro könnte man hier Mittags im Lokal essen (wenn man es hierher brächte).

Ich mache mir jetzt auch selbst Kaffe im Zimmer, weil der hiesige Kaffee, ähnlich den Suppen, wie Heu schmeckte. Aber ich habe ja keine Möglichkeit, der Überprüfung. Alte haben noch keine Lobby!

Es könnte sein, dass unser excellenter Chef-Koch S. die Lust an der Essensausgabe verliert und sich anderweitig umsieht, der Tausende von Jahren gewachsenen Kochkunst hinterher.

Ich hoffe für alle, auch die fast immer ängstlich Schweigenden, dass wir wieder wie früher excellentes Essen bekommen. Ich kämpfe noch mit 91. Durch ehrliche Arbeit habe ich drei Renten. Sonst könnt man hier in S. nicht leben. Gerade ist die Monatsmiete um 74 E erhöht worden. Hier wird man dauernd mit allen Tricks ausgenommen. Unsere grosse Krux ist, dass wir keine Lobby haben wie etwa die Kinder im Kindergarten und gegängelt werden, oder dass man uns etwas vorlügt.

Am Mittwoch, 9.6. bekamen wir wieder ein köstliches Mittagessen, wie fünf Jahre lang. - Wir hofften zu mehreren, dass nun die Elends-Zeit vorbei sei. Das Wissen und Können war also noch nicht verloren gegangen. Aber am 11.6. war da Spinat, Kartoffeln und etwas, dass Rührei genannt wurde. Bei diesem Wechsel-Spiel zwischen kulturellem und barbarischem Essen mit uns Alten kann ich nicht beurteilen, was in der nächsten Woche über uns Ahnungslose kommen wird. Ich muss bei meinem Arzt anderen Persönlichkeiten und Instanzen Erkundungen über evtl. steigende Gesundheitsschäden durch Fehl-Essen für Alte einholen.
Alte haben noch keine Lobby. Alte haben noch keine Lobby. Alte haben noch keine Lobby."

Link: Gedicht: Alten-Heim-Küche…
Quelle: Brief an die Redaktion