Foto: H.S.
21.11.2019
Als ich ein Kind war, erschien mir unser Leben wie ein Alptraum. (…) Wir hörten die Gewehrsalven, die die Erde zum Beben brachten, die Schreie der Männer und Frauen, die im Getöse untergingen. Das einzige, an das ich mich klar erinnere, ist der innige Wunsch meiner Mutter, die sagte: »Warum endet diese verdammte Diktatur nicht?«
Jetzt, wo ich selbst Vater bin, sehe ich voller Kummer, was in meinem Land geschieht. Ich sehe, wie die Mächtigen auf Kosten des leidenden Volkes, (...) nach noch mehr Macht streben. Ich sehe, wie Mütter, Väter, Brüder und Schwestern, ja sogar Kinder ihr Leben riskieren, um das zu verteidigen, was uns so viel gekostet hat: die Würde, die Freiheit, den Respekt. (…)
In den vergangenen Tagen wurde der furchtbare Plan in die Tat umgesetzt, in unserer Gesellschaft Chaos zu stiften, unseren legitimen Präsidenten Evo Morales zu verleumden. Es wurde eine diktatorische Regierung geschaffen, de facto faschistisch, um die niedrigen Klassen zu unterdrücken. (…)
Jetzt ist es an mir, erschöpft nach Hause zu kommen, nachdem ich vor den Militärs und Polizisten fliehen musste, die sich der Rechten und dem De-facto-Regime verkauft haben. Auf der Flucht vor dem Kugelhagel, der auf uns niederprasselt (…)
Wir bitten die internationale Gemeinschaft um Hilfe, um die Realität in Bolivien bekanntzumachen (…)
Wir klagen vor den Völkern der Welt an, dass der Imperialismus niemals seinen gefräßigen Hunger nach Macht und Reichtum unserer Nationen stillen wird.
Heute heißt das Opfer Bolivien, morgen werden es andere Brudervölker sein. Wir müssen uns alle in einem Schrei vereinen: Lasst uns in Frieden leben! Lasst uns uns selbst regieren! Hört auf, uns zu töten!
Ein bolivianischer Bürgermeister,
Angehöriger der Aymara-Indigenen, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben muss,16.11.2019.
Junge Welt, Ausgabe 20.11.2019, Seite 8 / Rubrik: Abgeschrieben.
HEINRICH BÖLL, NOTSTANDSNOTIZEN, 1976
(...) Was wächst da alles in Lateinamerika: kostbare Hölzer, Tabak, Kaffee, Kakao, Kautschuk, Baumwolle, Zuckerrohr, Bananen - was liegt und lag da alles in der Erde Lateinamerikas: Gold, Silber, Kupfer, Zinn, Blei, Eisen, Salpeter, und vor seinen Westküsten ist das Guano "gewachsen", einer der reichsten Kontinente, der immer ärmer wird.
In seinem Buch Die offenen Adern Lateinamerikas gibt Eduardo Galeano eine detaillierte Bilanz der Werte, die wir nach Lateinamerika gebracht haben - und die Werte (Wertpapiere), die herausgeholt worden sind.
Offene Adern eines Kontinents, das bedeutet: er blutet aus.
Welche Wirtschaftschirurgen werden die Klammern und Tupfer erfinden, um das Verbluten zu stoppen?
Welchen Profit hat die freie Marktwirtschaft denen zu bieten, auf deren Kosten sie betrieben wird?
Wem gehört die Erde, wem gehören die Meere, wessen sind die Gewinne? (...)
aus: Heinrich Böll, Bilder eines Lebens, herausgegeben von Hans Scheurer, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1995.
BERLIN UND DER PUTSCH IN BOLIVIEN, 22.10.2019
LA PAZ/BERLIN (Eigener Bericht) - Die Bundesregierung und ein führender Politiker der Opposition billigen den Putsch in Bolivien. Der von der Armeeführung erzwungene Rücktritt des gewählten Präsidenten Evo Morales sei ein "wichtiger Schritt hin zu einer friedlichen Lösung", behauptet ein Berliner Regierungssprecher. Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag urteilt, die Militärs hätten "die richtige Entscheidung getroffen". Morales hatte, um Blutvergießen zu vermeiden, nach einer Meuterei der Polizei und einer ultimativen Drohung des Armeechefs sein Amt aufgegeben. Treibende Kräfte des Umsturzes sind vor allem weiße, wohlhabende Kreise aus dem bolivianischen Tiefland, deren Politiker zum Teil mit parteinahen deutschen Stiftungen kooperieren; einer von ihnen ist als Übergangspräsident im Gespräch. Vom Umsturz betroffen ist hingegen vor allem die indigene Bevölkerung, von der ein erheblicher Teil erst durch Morales `Maßnahmen aus bitterster Armut befreit wurde. Entwicklungen, die jüngst die Stellung des Präsidenten schwächten, wurden auch durch ein deutsches Unternehmen verstärkt.
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BERLIN UND DER PUTSCH IN BOLIVIEN, 12.11.2019
LA PAZ/BERLIN (Eigener Bericht) - Die selbsternannte Putschpräsidentin Boliviens, Jeanine Áñez, bedankt sich bei der Bundesregierung für ihre Anerkennung und stellt den Streitkräften des Landes eine Lizenz zum Töten bei der Niederschlagung von Protesten aus. Bei Operationen "zur Wiederherstellung der inneren Ordnung" seien die bolivianischen Militärs "von strafrechtlicher Verantwortung befreit", heißt es in einem Dekret, das Áñez am Freitag unterzeichnete. Am selben Tag wurden bei Protesten in Cochabamba gegen den Putsch mindestens neun Demonstranten erschossen. Zuvor hatte das Auswärtige Amt in Berlin Áñez offiziell als "Interimspräsidentin von Bolivien" bezeichnet. Während Beobachter vor einer Eskalation der Gewalt bis hinein in einen Bürgerkrieg warnen, haben die neuen Machthaber in La Paz - weit davon entfernt, sich auf Neuwahlen zu konzentrieren - umgehend angefangen, Bolivien außenpolitisch vollständig neu zu positionieren. Mit faktischer Billigung Berlins treiben sie Kuba und Venezuela noch mehr in die Isolation. Der Sturz der Regierungen beider Länder ist erklärtes Ziel Washingtons.
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100.000sende auf den Straßen in Kolumbien: 21.11.2019 Link
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