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EU-Konferenz propagiert Digitalisierung für Ältere unter dem Deckmantel der Menschenrechte

Foto: H.S.

28.09.2020 - von Hanne Schweitzer

Die Mail mit der Pressemitteilung Nummer 067 des Bundesfamilienministeriums kam heute um 13.51 Uhr. Die Konferenz, die beworben werden sollte, und live zu verfolgen ist, hatte aber bereits um 13.30 begonnen. Thema dieser "Internationalen" Online-Konferenz, die "gemeinsam vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der AGE Platform Europe und der BAGSO – der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen durchgeführt wird, lautet: "Digitalisierung: Die Rechte Älterer stärken". Um die EU-weite "Förderung von Menschenrechten im Alter" zu besprechen, sind 5 1/2 Stunden vorgesehen. Diese verteilen sich auf zwei Tage.

"Eines der Schwerpunkt-Themen ist die Digitalisierung, die durch die COVID-19-Pandemie beschleunigt worden ist und erhebliche Auswirkungen auch auf das Leben älterer Menschen hat. Dies gilt unter anderem für die soziale Interaktion, den Zugang zu Informationen und die Erbringung von Dienstleistungen. Diese verstärkte Nutzung digitaler Technologien bleibt auch nicht ohne Konsequenzen für unsere Menschenrechte."

Allerdings ist Digitalisierung nicht "eines der Schwerpunkt-Themen", sondern DAS Schwerpunktthema. Facebook, Zoom, Skype, Twitter und Mails sollen die persönliche Interaktion ersetzen, Zeitungen oder Briefe soll es nicht mehr geben, und Dienstleistungen, wie Physiotherapeutische Behandlungen oder Arztbesuche sollen durch online Sprechstunden oder Lernprogramme ersetzt werden.

Wer wurde gefragt, ob das erwünscht ist?

"Hochrangige Vertreterinnen und Vertreter der Europäischen Kommission und mehrerer Mitgliedstaaten sowie Vertreterinnen und Vertreter europäischer Seniorenorganisationen diskutieren zwei Tage lang darüber, wie ältere Menschen stärker von der Digitalisierung profitieren können."

Denn, so wird behauptet: [i]„Die Digitalisierung eröffnet große Chancen für die soziale Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben im hohen Alter, auch unter schwierigen Bedingungen. Diese Chancen müssen wir nutzen. Gerade in Zeiten von Corona hat sich gezeigt: Wenn Menschen digital nicht dabei sein können, wächst die Gefahr zu vereinsamen“,
so Bundesseniorenministerin Dr. Franziska Giffey.

Ach, so ist das: Hätten ältere Menschen in der Zeit, als die Pflegeheime abgeriegelt waren und selbst Sterbende keinen Beistand von ihrer Familie oder von den Freunden erhalten durften, "digital (...) dabei sein können", wären sie nicht vereinsamt oder gestorben?! Der Glaube an die neue, leblose Technologie, die der ganzen Welt übergestülpt wird, ist außerordentlich. Und eifernd wird er propagiert. Von Menschenrechten ist im gesamten Pressetext nur zweimal, eher beiläufig, die Rede, dafür umso häufiger von Digitalisierung. Das Wort kommt fünfmal vor, das Adjektiv "digital" viermal. Und als hätte ein Vertreter von Microsoft den Text entworfen, heißt es weiter:

„Damit Menschen jeden Alters die Chancen der Digitalisierung nutzen können, müssen wir dafür sorgen, dass alle mit den notwendigen Geräten und Kenntnissen ausgestattet werden. Auch Ältere. Dies ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass ältere Menschen auch in Zukunft ihr Recht auf Information, Bildung, soziale Teilhabe, Gesundheit und vieles mehr wahrnehmen können“, so der BAGSO-Vorsitzende Franz Müntefering.

Der Präsident der AGE Platform Europe, Ebbe Johansen: „Die Konferenz bietet ein Forum für eine Diskussion, die unserer Meinung nach seit langem notwendig ist. Die Digitalisierung birgt viele Chancen, aber sie kommt nicht ohne einen besseren Schutz unserer Menschenrechte aus. Es liegt in der Verantwortung der politischen Entscheidungsträger, Gesetze und Richtlinien zu entwickeln, die digitale Anwendungen für alle zugänglich, freundlich (!!) und sicher machen.“ Freundlich sollen sie also sein, die automatisierten Prozesse und Programme, an die sich die Nutzer anzupassen haben, während die anderen die Profite einstreichen und die Kontrolle ausüben.

An der 5 1/2 stündigen Online-Konferenz "nehmen unter anderem die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission für Demokratie und Demografie, Dubravka Šuica, die EU-Kommissarin für Gleichstellung, Helena Dalli, sowie die Unabhängige Expertin der Vereinten Nationen für die Menschenrechte von älteren Personen, Dr. Claudia Mahler, teil."

Die Konferenz läuft von Montag (13:30-16:00 Uhr) bis Dienstag (09:30-12:30 Uhr) und kann live verfolgt werden – nach Anmeldung unter folgendem Link: Link

Text der Pressemitteilung des BMFSFJ unter: Link

Link: Online-Seminar zur Stärkung der Rechte älterer Menschen in Zeiten der Digitalisierung
Quelle: Pressemiteilung des BMFSFJ vom 28.9.2020