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Leitung der ADS wird fortan nicht mehr ausgeschrieben sondern vom Bundestag gewählt

Foto: H.S.

31.03.2022 - von BMFSFJ

Das Bundeskabinett hat heute die von Bundesfamilienministerin Anne Spiegel vorgelegte Formulierungshilfe für einen aus der Mitte des Bundestags einzubringenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) beschlossen. Damit soll der Weg frei gemacht werden, um die Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) künftig durch den Bundestag wählen zu lassen.

Der Parlamentarische Staatssekretär im BMFSFJ, Sven Lehmann:

„Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes spielt eine entscheidende Rolle für unsere offene Gesellschaft und bei der Bekämpfung von Diskriminierung. Ich freue mich, dass mit dem heutigen Kabinettsbeschluss die Weichen für eine schnelle Neubesetzung der seit 2018 unbesetzten Leitung der ADS gestellt sind. Durch eine demokratische Wahl im Bundestag wird die Unabhängigkeit der ADS gestärkt. Wie wichtig eine generelle Stärkung der ADS ist, zeigt sich auch im aktuellen Bericht der ADS und der zuständigen Beauftragten an den Deutschen Bundestag. Für viele Menschen in Deutschland sind Diskriminierungserfahrungen aus rassistischen Gründen oder wegen des Geschlechts, der sexuellen Identität, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung oder des Alters immer noch bittere Realität und schmerzlicher Alltag. Die Zahlen der Beratungsanfragen bei der ADS und der gemeldeten Diskriminierungsfälle erreichten im Berichtszeitraum einen Höchststand. Wir haben deshalb im Koalitionsvertrag auch vereinbart, die Antidiskriminierungsstelle angemessen mit Personal und Budget auszustatten und ihre Kompetenzen zu stärken. Mit der ebenfalls im Koalitionsvertrag vereinbarten weitreichenden Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes wollen wir weitere Schritte hin zu einem umfassenden Diskriminierungsschutz gehen, indem wir Schutzlücken schließen, den Rechtsschutz verbessern und den Anwendungsbereich ausweiten. Ich freue mich, wenn der Deutsche Bundestag nun zügig den Gesetzentwurf behandelt, so dass die Wahl der neuen Leitung zeitnah erfolgen kann.“

Kabinettsbeschluss greift Koalitionsvertrag auf

Mit dem Kabinettsbeschluss wird die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt, die die Unabhängigkeit der ADS sicherstellen soll. Dafür soll künftig die Leitung der ADS auf Vorschlag der Bundesregierung als Unabhängige*r Bundesbeauftragte*r für Antidiskriminierung durch den Bundestag für die Dauer von fünf Jahren gewählt und durch den Bundespräsidenten berufen werden. Durch die Formulierungshilfe soll eine rechtssichere Besetzung der seit 2018 unbesetzten Leitung der ADS sichergestellt und eine zeitnahe Besetzung ermöglicht werden. Die Formulierungshilfe greift entsprechende Empfehlungen seitens der Wissenschaft und der Verbände sowie von europäischen und internationalen Gremien auf, wie zuletzt etwa von der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) im März 2020.

Hintergrund zur Antidiskriminierungsstelle des Bundes:

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) wurde entsprechend dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und in Umsetzung der EU-Gleichbehandlungsrichtlinien als nationale Gleichbehandlungsstelle der Bundesrepublik Deutschland beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend errichtet.
Sie berät von Diskriminierung betroffene Menschen, betreibt Öffentlichkeitsarbeit, führt wissenschaftliche Untersuchungen zu Diskriminierungen durch und gibt Empfehlungen zu deren Vermeidung.
Grundlage der Arbeit ist das AGG, das vor allem im Berufsleben und bei Geschäften des täglichen Lebens Anwendung findet, wie zum Beispiel beim Einkaufen oder bei der Wohnungssuche. Das AGG schützt vor Benachteiligungen aus rassistischen Gründen, wegen des Alters, einer Behinderung, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung und der sexuellen Identität.
2020 sind die Beratungsanfragen an die ADS um 78 Prozent gestiegen. Von 2017 bis 2020 verzeichnete die ADS insgesamt 16.415 Beratungsanfragen, die sich auf ein durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geschütztes Merkmal beziehen (Alter, Behinderung, Geschlecht, ethnische Herkunft, Religion/Weltanschauung, sexuelle Identität). 3.757 Anfragen betrafen andere Merkmale (sozialer Status, Gesundheit, Familienstand, Aufenthaltsstatus und andere).

Deutscher Bundestag
Drucksache 20/ 1332
05.04.2022
20. Wahlperiode
Gesetzentwurf
der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes

A. Problem und Ziel
Das Amt der Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist gemäß § 26 Absatz 1 Satz 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) als öffentlichrechtliches Amtsverhältnis ausgestaltet.
Das auf § 26 Absatz 1 Satz 1 AGG gestützte Besetzungsverfahren für dieses Amt, bei dem die Bundesministerin oder der Bundesminister für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Vorschlag der Bundesregierung eine Person zur Leitung ernennt, sah sich in der Vergangenheit mehrfach Konkurrentenklagen ausgesetzt.

Deshalb konnte das Amt seit 2018 nicht mehr besetzt werden.
Einander widersprechende Gerichtsentscheidungen zeigen, dass die derzeitige Regelung der Besetzung der Leitung der Antidiskriminierungsstelle keine hinrei­chend sichere Rechtsgrundlage für gerichtsfeste Besetzungsentscheidungen bie­tet. Es ist unklar, welche Anforderungen unter dem Gesichtspunkt der Bestenaus­lese an die Auswahl der Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes durch die Exekutive und an die Besetzung eines öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis­ses zu stellen sind.
Da die beamtenrechtlichen Vorschriften nicht für öffentlich-rechtliche Amtsver­hältnisse gelten, bedarf es einer Änderung der Vorschriften im AGG, die die Be­setzung des Amtes der Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes regeln.
Zudem bestehen Zweifel an der Zulässigkeit, Rechte und Pflichten aus dem öf­fentlich-rechtlichen Amtsverhältnis durch Vertrag zu regeln. So wird in § 26 Ab­satz 4 AGG, der das Rechtsverhältnis der Leitung durch Vertrag regelt und auf eine gesetzliche Regelung verzichtet, ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip und den Gewaltenteilungsgrundsatz gesehen (vgl. Däubler/Beck-Ernst HK-AGG,
5. Aufl. 2021, § 26 Rn. 5 mit weiteren Nachweisen).

Schließlich ist die Stellung der Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Gefüge der Bundesverwaltung unklar. Die Leitung der Antidiskriminierungs­stelle des Bundes hat bei ihrer Aufgabenerfüllung die Zuständigkeiten der Beauf­tragten des Deutschen Bundestages oder der Bundesregierung zu beachten, ohne jedoch bei offensichtlicher Funktionsgleichheit selbst eine Beauftragte bzw. ein Beauftragter zu sein. Dadurch fehlen der Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Verhältnis zu anderen Beauftragten wichtige Beteiligungsrechte auf Bundesebene. Die fachliche Expertise der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wird im politischen Meinungsbildungsprozess nicht vergleichbar berücksichtigt.
Durch Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sollen Rechtssicherheit bei der Besetzung des Amtes der Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und Klarheit über die Rolle der Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Gefüge der Bundesverwaltung geschaffen und deren Unabhängigkeit unterstützt werden. Zudem sollen Beteiligungsrechte der Antidiskriminierungsstelle des Bundes durch Änderung des AGG gesetzlich verankert und dadurch ihre Kompetenzen gestärkt werden.
Entsprechende Empfehlungen wurden seitens internationaler und europäischer Gremien formuliert. So empfiehlt die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) im Sechsten ECRI-Bericht über Deutschland vom 10.12.2019 (veröffentlicht am 17.03.2020) den deutschen Behörden, die gesetzlichen Bestimmungen über die Kompetenzen und Befugnisse der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und über ihre Unabhängigkeit und Effektivität in Einklang mit der Allgemeinen Politikempfehlung Nummer 2 der ECRI zu Gleichheitsstellen zu bringen. Insbesondere sollte sie mit den Kompetenzen ausgestattet werden, um im Gesetzgebungsprozess mitzuwirken. Zudem solle das Ernennungsverfahren für ihre Leiterin bzw. ihren Leiter reformiert werden.
Schließlich wurde die Notwendigkeit der Überarbeitung der gesetzlichen Regelungen über die Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes auch seitens der Verbände und der Wissenschaft formuliert (u. a. im Rahmen der Voranhörungen zum Kabinettausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus) und auch der Beirat, der nach § 30 AGG der Antidiskriminierungsstelle des Bundes beige-ordnet ist, empfiehlt u. a.
– die Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes künftig auf Vorschlag der Bundesregierung durch den Deutschen Bundestag wählen zu lassen,
– die gewählte Person durch die Bundespräsidentin oder den Bundespräsidenten ernennen und vereidigen zu lassen,
– die Amtszeit auf fünf Jahre bei Möglichkeit der einmaligen Wiederwahl festzulegen und
– die Amtsausgestaltung (Amtsbezüge, Altersversorgung) im AGG genauer zuregeln (ADS-Beirat (2021), Link (Stand: 16.03.2022)).
B. Lösung
Der Deutsche Bundestag wählt auf Vorschlag der Bundesregierung eine Person zur Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Zur Sicherstellung der europarechtlich geforderten fachlichen Unabhängigkeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes bei der Aufgabenerfüllung wird die Amtszeit auf fünf Jahre bei Möglichkeit der einmaligen Wiederwahl festgesetzt. Die Entkopplung der Amtszeit von der Legislaturperiode macht die von staatlichem Einfluss freie Aufgabenwahrnehmung noch sichtbarer (Däubler/Beck-Ernst, HK-AGG 5. Aufl. 2021,§ 26 Rn. 4). Die Berufung in das öffentlich-rechtliche Amtsverhältnis erfolgt durch die Bundespräsidentin oder den Bundespräsidenten.
Die Amtsbezüge und die Versorgung sollen ergänzend gesetzlich geregelt werden. Die Regelung zur vertraglichen Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses soll hingegen gestrichen werden.
Zur Klarstellung der Rechtsstellung der Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in der Bundesverwaltung erfolgt eine Ausgestaltung als Bundesbeauftragte bzw. Bundesbeauftragter. Im Gefüge der Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages, deren Zuständigkeiten die Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes bei ihrer Aufgabenerfüllung zu berücksichtigen hat, wird damit sichergestellt, dass auch die fachliche Expertise der Antidiskriminierungsstelle des Bundes im politischen Meinungsbildungsprozess im Rahmen von Beteiligungspflichten der Ressorts Berücksichtigung findet.
Zukünftig wird die Rechtssicherheit bei der Besetzung der Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ebenso sichergestellt wie die Klarheit über ihre
Rolle im Gefüge der Bundesverwaltung und die Gewährleistung entsprechender Beteiligungsrechte. Dies soll die Antidiskriminierungsstelle des Bundes als die auf Bundesebene bei der Bekämpfung von Diskriminierung zentrale Stelle stärken und damit zu einem wirksameren Diskriminierungsschutz beitragen.

C. Alternativen
Keine.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand
Dem Bund entstehen durch das Gesetz Mehrausgaben in Höhe von etwa 225 600 Euro pro Jahr. Der Mehrbedarf an Sach- und Personalmitteln beim Bund soll finanziell und stellenmäßig im Einzelplan 17 ausgeglichen werden.
Darüber hinaus ergeben sich keine Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand.

E. Erfüllungsaufwand
E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger
Für Bürgerinnen und Bürger entsteht kein Erfüllungsaufwand, da das Gesetz keine diesbezüglichen Regelungen enthält.
E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft
Der Wirtschaft entsteht kein Erfüllungsaufwand, da sie von dem Gesetz nicht betroffen ist.
Davon Bürokratiekosten aus Informationspflichten
Keine.
E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung
Der zusätzliche Verwaltungsaufwand auf Bundesebene beträgt rund 225.600 Euro.

F. Weitere Kosten
Keine.

Quelle: BMFSFJ, PM vom 31.3.2022