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Schuldenbremse, Kommunen + Ehrenamt

Gera, 2006 Foto:H.S.

29.05.2009 - von Hanne Schweitzer

Mit Zweidrittel-Mehrheit haben die Bundestagsabgeordneten in namentlicher Abstimmung der Aufnahme einer "Schuldenbremse" ins Grundgesetz zugestimmt. Das bedeutet u.a., dass die Bundesländer ab 2020 keine neuen Kredite mehr aufnehmen dürfen.

Finanzminister Scheinbrück nannte das Ergebnis eine "Entscheidung von historischer Dimension". Ob er damit auch die Unterstützung der finanzschwachen Länder Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein meinte? Diese erhalten zwischen 2011 bis 2019 noch schnell Konsolidierungshilfen in Höhe von insgesamt 800 Millionen Euro pro Jahr.

Was bedeutet die Schuldenbremse für die Älteren und das Ehrenamt? Die Kommunen werden noch größere Probleme bekommen, ihre Infrastruktur zu erhalten und notwendige Investitionen in soziale Einrichtungen und Dienste zu tätigen. Die kommunale Daseinvorsorge, die sich ja meist eh schon auf die Pflichtaufgaben beschränkt, wird noch weiter heruntergefahren werden. Bezahlte Arbeit wird noch häufiger durch ehrenamtliche Arbeit ersetzt werden. Da müssen die Alten ran.
Die über 65Jährigen tragen in diesem Land mit 3,5 Milliarden unbezahlten Arbeitsstunden bereits jedes Jahr zum Bruttosozialprodukt bei. Das wird mit Schuldenbremse aber nicht mehr ausreichen.

Den Weg für die Kommunen aus der Misere zeigt eine Pressemitteilung des Bundesfamilienministeriums auf. Ministerin von der Leyen, die in ihrem Amt auch für die Seniorenpolitk zuständig ist, sich aber noch viel weniger als ihre Vorgängerinnen um die Lebenssituationen älterer Menschen kümmert, beherrscht aber die Kniffe der Propaganda besser. "Sie (die Älteren) wollen ihr Leben und ihr Lebensumfeld mitgestalten und ihre lebenslange Erfahrung und ihr Wissen gewinnbringend für die Allgemeinheit einsetzen. Die Seniorinnen und Senioren sind bereit, freiwillig und ehrenamtlich Aufgaben und Verantwortung zu übernehmen." Behauptet das Ministerium der von der Leyen keck.

Das neue "Leitbild vom aktiven Altern" erläutert der Staatssekretär im Familienministerium, Gerd Hoofe, in einer Pressemitteilung aus Anlaß einer Konferenz* mit dem Titel: `Kommunen im Wandel - Engagement, Innovation und Vernetzung älterer Menschen`. Reduziert man diese Presseerklärung auf das Wesentliche, lässt sich ganz einfach ablesen, welche Forderungen hinter dem Leitbild stecken. Genannt werden:

  • Engagement (kommt 5x vor),
  • das Engagement älterer BürgerInnen,
  • das freiwillige Engagement,
  • freiwilliges Engagement,
  • stabile Engagementformen,
  • freiwillige Selbstverpflichtung,
  • FreiwilligenDIENSTE,
  • generationenübergreifende FreiwilligenDIENSTE,
  • neue Formen von Verantwortungsübernahme.


  • Auch die Verben und die Umgebung, in der sie stehen, machen klar, welche Ansprüche der Staat an die Alten hat: Die Menschen,
  • sind zur Mitgestaltung bereit,
  • sie engagieren sich,
  • sie unterstützen tatkräftig,
  • sie gestalten mit,
  • sie setzen sich gewinnbringend ein,
  • sie übernehmen Aufgaben und Verantwortung,
  • sie gestalten und sichern nachhaltig,
  • sie betreiben erfolgreich,
  • sie entwickeln bedarfsgerecht weiter,
  • sie weiten aus.


  • Nun ist gegen ehrenamtliche Arbeit, egal in welchem Alter, nichts einzuwenden. Aber: Warum tut der Staat so, als ob wir alle vor lauter Sehnsucht nach Umsonstarbeit fast umkommen? Warum tut er so, als ob wir das gut finden, eine staatlich gelenkte Ehrenamtlichkeit? Die nur dazu dienen soll, zu vertuschen, dass der Staat und seine Bediensteten keine Sozialstaatlichkeit mehr wollen.Die Schuldenbremse für die Kommunen wird katastrophale Auswirkungen haben.
    Beratungsstellen, Schutzstellen, Schwimmbäder, Jugendzentren, Bibliotheken, Turnhallen oder Seniorenclubs: geschlossen.

    Während die happy few - ganz dem Leitbild vom selbstbestimmten und informierten Verbraucher entsprechend - Dienstleistungen und Konsumartikel aus dem "Ageing well" Bereich der Seniorenwirtschaft einkaufen können, werden sich bei den anderen die Folgen der kontinuierlichen Kürzungen des Leistungsniveaus der gesetzlichen Versicherungssysteme UND die reduzierten Leistungen der kommunalen bemerkbar machen.

    Die Armen sollen dann den Armen unter die Arme greifen, auch wenn die Straßenlaternen nur noch dreimal in der Woche brennen sollten. Das steuerfinanzierte Modellprojekt `Selbstorganisation älterer Menschen´ berät Kommunen dahingehend, "wie sie freiwillige Leistungen kommunaler Daseinsvorsorge mit Hilfe älterer BürgerInnen gestalten und für die Allgemeinheit nachhaltig sichern können".

    "Ältere Menschen sind heute oft bis ins hohe Alter hinein gesund, fit und geistig rege. Vor allem in den Kommunen müssen wir uns auf diese Entwicklung einstellen und entsprechende Angebote für ältere Menschen schaffen", erklärte Staatssekretär Hoofe zur Eröffnung der Tagung "Kommunen im Wandel" in Berlin. Und er fuhr fort: "Ältere Menschen sitzen heute nicht mehr im Lehnstuhl, sie unterstützen vielmehr tatkräftig ihre Kinder, Enkel und Nachbarn. Die Seniorinnen und Senioren sind bereit, freiwillig und ehrenamtlich Aufgaben und Verantwortung zu übernehmen."

    Damit das aber in "geordneten" Bahnen verläuft, müssen Strukturen geschaffen werden, müssen FreiwilligenDIENSTE eingerichtet, angeleitet, kontrolliert und ihre Effizienz geprüft werden. Und durch die Etablierung von Gütesiegeln oder Zertifizierungen soll Wettbewerb geschaffen und ein - neuer Markt etabliert werden.

    Das Ehrenamt, mit seinen eigenständigen Gestaltungspielräumen bietet ein umfangreiches und mitunter auch einträgliches Betätigungsfeld für Vereine, Verbände, Stiftungen und Clubs. Da muss geregelt werden, was bisher ungeregelt war, da müssen Strukturen etabliert werden, wo bislang keine waren, da muss kontrolliert und aus- und weitergebildet und zentrifiziert werden.
    Dazu sind erforderlich:
  • standardiserte Qualitätskritereien
  • Zertifizierungen
  • Qualitätsmanagement
  • Evaluation
  • ,
  • Dokumentation[/*[*]Datensammlungen

  • Der Staat gibt vor und Stiftungen, Unternehmen, gGmbHs und Verbände profitieren (ihr Bestand hat sich nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Stiftungen seit 2002 auf 16.000 verdoppelt) mischen mit und profitieren. Unternehmen mischen mit und an Weiterbildung, Erfolgskontrolle und Datensammlung.

    *
    Auf der Fachtagung "Kommunen im Wandel - Engagement, Innovation und Vernetzung älterer Menschen" diskutierten rund 250 Verantwortliche aus den Kommunen, Fachleute aus Politik, Wissenschaft und Praxis sowie engagierte ältere Bürgerinnen und Bürger über neue Formen von Verantwortungsübernahme und Teilhabe älterer Menschen. Der Kongress wurde organisiert und finanziert vom Bundesfamilienministerium, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund + dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.

    Link: Engagementpolitik + nationale Engagementstrategie
    Quelle: Hanne Schweitzer + BMFSF, PM Nr. 205/2007, 19.06.2007