Österreich - 11.01.2009 - von Christine Götz
In Österreich greift, trotz 2007 erfolgter Reform des Sachwaltergesetzes, eine Seuche um sich:
Die zunehmende Pathologisierung des Älterwerdens unter Zuhilfenahme mehr als fragwürdiger psychiatrischer Zwangsgutachten, welche den überwiegend wehrlosen älteren Menschen, die als unbescholtene StaatsbürgerInnen in den meisten Fällen jahrzehntelang gearbeitet und brav ihre Steuern bezahlt haben, am Ende ihres Lebens eine in jeder Hinsicht menschenunwürdige, überaus erniedrigende Totalentrechtung beschert: Deren Zwangsentmündigung, heutzutage 'Besachwaltung' genannt.
Insbesondere, wenn sich ein älterer Mensch z. B. im Krankenhaus befindet, kann es ihm passieren, dass irgendjemand - und das kann tatsächlich JEDER sein, so ist die derzeitige Gesetzeslage (!!) - die Sachwalterschaft über ihn beantragt.
Mir persönlich sind vier Fälle bekannt, bei welchen es sich so verhielt: Bei den Angehörigen zweier Bekannter - und bei meinen eigenen Eltern.
Niemand, der auch nur annähernd mit solch einem Fall zu tun hatte, kann sich vorstellen, welch brachialgewaltiger und in den überwiegenden Fällen höchst MENSCHENRECHTSWIDRIGER Eingriff solch eine Zwangsentmündigung, sprich Zwangsbesachwaltung für einen Menschen bedeutet.
Es wird mehr oder weniger brutal in dessen Privatsphäre eingebrochen, er wird - zumeist von ausschließlich materiell orientierten Sachwalter-Anwälten - regelrecht beherrscht, ja fremdbestimmt. Er muss alles mit sich machen lassen - darf seinen Wohnort nicht mehr frei wechseln, wird vielleicht kurzerhand GEGEN SEINEN WILLEN in irgendein Pflegeheim ZWANGSEINGEWIESEN (so geschehen mit meinem Vater sowie auch der langjährigen Lebensgefährtin eines Bekannten), wird GEGEN SEINEN WILLEN ZWANGSMEDIKAMENTIERT (u. a. mit nebenwirkungsreichen und vielfach nicht ungefährlichen Psychopharmaka, Antidementiva und Beruhigungsmitteln, wie z. B. mein Vater, der seither nicht einmal mehr seine Unterschrift leisten kann und völlig niedergedrückt und apathisch ist - was jedoch keinem Arzt aufzufallen scheint), wird SEINES GESAMTEN GELDES BERAUBT, welches von den Sachwalter-Anwälten so lange angespart wird, bis die Betroffenen - in ihren letzten Lebensjahren zu Bettlern um ihr eigenes Geld degradiert! -, elendig zugrunde gegangen sind.
Meine Eltern haben, seitdem sie - IN VÖLLIG WIDERGESETZLICHER WEISE! - zwangsbesachwaltet sind (also seit 14. August - Vater - bzw. 18. September ´08 - Mutter), KEINEN CENT IHRES EIGENEN GELDES MEHR GESEHEN!!
Ich muss meine Eltern mittlerweile von meinem eigenen bescheidenen Einkommen mit erhalten. Mittlerweile weiß ich, dass es nicht nur uns so ergeht. Hierzu ein Auszug aus 'Salzburger Fenster' (12/´07):
Im Salzburger Fenster von 12/2007 stand geschrieben: "Ämter veranlassen immer schneller Entmündigungen. Jährlich erhalten 8.000 Österreicher einen Sachwalter – Ämter und Spitäler als Hauptanreger." ( ... ) Und weiter heißt es: "Unter Kuratel kommen Senioren, störrische Schuldner, Sonderlinge, lästige Bürger, junge Erwachsene in schweren Lebenskrisen. ( ... ) Die Bestellung eines Sachwalters ist ein dramatischer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und die Integrität, auch wenn es den alten Justizbegriff „Entmündigung“ nicht mehr gibt. (...) In Wien gibt es bereits Kanzleien, die bis zu 700 Entmündigte „vertreten“."
Das Geschäft mit der Entmündigung lohnt sich. Immerhin fallen für das vorhandene Vermögen der Besachwalteten bis zu fünf Prozent Provision im Jahr an.
Laut Statistischem Zentralamt gab es im Jahre 2007 in Österreich bereits 136.834 Sachwalterschaften (2006: 127.508; Quelle: Statistisches Jahrbuch 2009; Statistisches Zentralamt). Da auch im Jahr 2008 tausende Fälle hinzukamen, kann davon ausgegangen werden, dass mittlerweile alarmierender Weise bereits um die zwei Prozent der österreichischen Bevölkerung besachwaltet sind!! Und das, obschon diese Entwicklung auch in Fachkreisen seit Jahren mit Besorgnis beobachtet wird.
In den letzten Monaten erschienen zur alltäglichen Tragödie der menschenverachtenden Fremdbesachwaltung gleich zwei Artikel im 'Stadtblatt Innsbruck': 'Der Sachwalter vergönnt mir überhaupt nichts mehr' (30. 9. ´08) bzw. 'Ich will selbst entscheiden' (3. 12. ´08). Auch TV-Bürgeranwalt Peter Resetarits berichtete Anfang vergangenen Dezember über die skandalösen Auswüchse in diesem Bereich. Die Sachwalter-Anwälte agieren extrem kaltschnäuzig, gesetzes- und menschenrechtswidrig - O-Ton: >Massen-Sachwalterin Ingeborg Reuterer etwa hat sich ganz gut eingerichtet: "Es ist alles eingeschustert und außerdem kennt man schon seine Pappenheimer". Sie findet die Tendenz, gleich generell zu "entmündigen" durchaus in Ordnung: "Das ist mir tausendmal lieber. Ich beurteil´ den schon selbst und teil´s dann ein.< ('Profil', 26. 8. 1996 - !! Woraus zu ersehen ist, dass sich jene Problematik schon über viele Jahre hinzieht.)
Diese 'Beurteilung' geschieht in den überwiegenden Fällen brutal und menschenverachtend über die Köpfe der Betroffenen hinweg, ohne dass diese nach ihrem Willen gefragt werden. Selbst wenn man beim so genannten Pflegschaftsgericht so genannte 'Rekurse', also Einsprüche erhebt, werden jene in den überwiegenden Fällen abgelehnt, ohne die Betroffenen überhaupt zu Wort kommen zu lassen oder gar persönlich zu kennen. Was so viel heißt, dass das Recht auf Einspruch zwar offiziell besteht, jedoch ad absurdum geführt wird, weil das Recht auf Anhörung bzw. Willensäußerung der Bürger eines Landes, das sich 'Demokratie' nennt, von Seiten dessen Gerichtsbarkeit in Missachtung der Allgemeinen Menschenrechte schlichtweg negiert wird. So verkommt eine Person, die vielleicht nicht mehr ausreichend Kraft besitzt sich nachhaltig zu wehren, zu einer Sache, über die ihr völlig fremde Personen bestimmen. Schockierend!!
Doch egal, wo man sich auch immer hinwenden mag, es herrscht zu diesem Thema eine erschreckende Gleichgültigkeit. Insbesondere die PolitikerInnen und auch die Menschenrechtsorganisationen schweigen sich zu diesen groben Menschenrechtsverletzungen aus. Eine Schande für einen Staat, der sich als Demokratie bezeichnet!!
Und so werden hierzulande wahrscheinlich noch viel zu viele alte Menschen - zum überwiegenden Teil Angehörige der Kriegs- und Wiederaufbaugeneration -, eines jämmerlichen und einsamen Todes sterben, unbeachtet von der Öffentlichkeit.
Die gegen ihren Willen zwangsbesachwaltete österreichische Staatsbürgerin Hildegard G., 82, 1. 1. ´09, (wortwörtlich mitgeschrieben von deren Tochter): 'Ich halte das nicht mehr aus!! Diese Erniedrigung!! Ich will keinen Sachwalter, der mir mein ganzes Geld vorenthält! Ich habe seit Monaten keinen Cent von meinem eigenen Geld bekommen! Ich kann mir überhaupt nichts mehr kaufen!! Mir wird von meiner geringen Pension sogar noch das tägliche Mittagessen für uns beide vom Sachwalter abgezogen! Warum bekomme ich kein Geld mehr von meinem Mann?' Wir haben unser Lebtag schwer gearbeitet, und nun stehen wir so da!!'
'Kein Gesetz wird so oft missbraucht wie das Sachwalterrecht.' (Prof. Dr. Werner Olscher, ehemaliger Leiter der Staatsanwaltschaft Wien)
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