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Iswestija des Dritten Sektors: Bagso Nachrichten

Leipzig, 2009 Foto: Hanne Schweitzer

01.10.2010 - von Hanne Schweitzer

Wir schreiben das Jahr 2010 und dazu den 1.Oktober der, wir hätten`s fast vergessen, im Kalender als „Tag der älteren Generation“ ausgewiesen wird. Ein guter Anlass, einen Blick in die „BAGSO-Nachrichten“ zu werfen. Diese Zeitschrift wird seit 19 Jahren von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen e.V. herausgegeben. Als Zielgruppe nennt das Impressum „Aktive in Seniorenarbeit und Seniorenpolitik“. Wie wir an Bundesseniorenministerin Schröder sehen, können die durchaus zur jüngeren Generation gehören, auch wenn heute der Tag der älteren Generation ist.

Hauptsache: AKTIV. Denn darum geht es in Heft 3/2010. Suchen Sie sich eine Aufgabe. Wer keine Aufgabe hat, der gibt sich auf. Aktiv im Alter. Es ist nie zu spät, kreative Vorhaben in die Tat umzusetzen. Engagement bereichert. Wer anderen hilft, hilft auch sich selbst.

Das Heft hat 50 Seiten Inhalt plus Umschlag. Auf knapp sieben Seiten ist Werbung abgedruckt. Beginnen wir mit den Versicherungskonzernen und mit A, wie AXA. Das Unternehmen umwirbt die Aktiven in Seniorenarbeit und Seniorenpolitik mit der ersten Rundum-Beratung, die einen individuellen Plan für Ihren Ruhestand erstellt. Ebenfalls ganzseitig und vierfarbig wirbt die Versicherung Generali mit den Worten: Abgesichert durchs Leben laufen mit der Generali 3-D Pflegevorsorge. Was immer eine 3-D Pflegevorsorge auch sein mag, die Bagso empfiehlt sie jedenfalls denen, die abgesichert durchs Leben laufen wollen ebenso ausdrücklich, wie die Rundum-Beratung der AXA.

Wo die Versicherungswirtschaft ist, darf die Gesundheitswirtschaft nicht fehlen. Deshalb rät das Pharmaunternehmen sanofi pasteur MSD [i]Doppelt schützt besser und empfiehlt seine impfstoffe fürs leben. Die Linda Apotheken lassen uns wissen: Wie groß unser Interesse und unsere Kompetenz für das Wohlbefinden gerade unserer älteren Kunden sind, zeigt die Partnerschaft mit der BAGSO e.V. Das lassen wir mal unkommentiert so stehen.
Der Seniorenratgeber, die wertvolle Informationsquelle, (die) zu jedem eingelösten Rezept aus der Apotheke gehören sollte!, macht auch mit einer ganzen Werbeseite vierfarbig auf sich aufmerksam. Dabei hat er das doch gar nicht nötig. Mit nur einer halben Seite Werbung begnügt sich dagegen die Internationale Fachmesse REHACARE.

Die Verlagsbranche ist auch im Heft vertreten. Das Kuratorium Deutsche Altershilfe bewirbt sein "Fachmagazin Pro Alter", die Akademische Verlagsgesellschaft ein Buch von Andreas Kruse mit dem opportunen Titel: "Eigen- und Mitverantwortlichkeit in Gesellschaft, Kultur und Politik" zum Preis von 38 €.

Das war´s dann auch schon mit der Werbung. Für deren Aquise ist die Bagso Service GmbH zuständig, eine Tochtergesellschaft der Bagso. Das erklärt, warum direkt neben der Impfstoffwerbung von sanofi pasteur ein redaktioneller Beitrag mit der Überschrift: „Urlaubszeit - Zeit für Schutzimpfungen“, plaziert ist, für den die Bagso Service GmbH verantwortlich zeichnet.

Womit wir beim Inhalt des Magazins für die Aktiven in Seniorenarbeit und Seniorenpolitik angekommen sind. Ein Vorstandsmitglied der Grünen Alten lässt sich zwei Seiten lang über ein erfülltes Leben im Ruhestand aus. Freundschaften aus der Jugendzeit halten am besten; ganz wichtig ist tägliche Bewegung; Freud und Leid gehören zum Leben; das ehrenamtliche Engagement kann uns helfen, ein sinnerfülltes Alter zu erleben. Sinnerfüllt leben, reicht scheint`s nicht. Sinnerfüllt erleben, heißt die Zielvorgabe.

Von der Bagso-Vorsitzenden mal abgesehen, stellte die Redaktion den meisten redaktionellen Platz im Heft für zwei Beiträge zur Verfügung, die von Mitarbeiterinnen des "Zentrums für zivilgesellschaftliche Entwicklung" verfasst wurden. Beschrieben werden zwei Projekte, die das vereinsrechtlich organisierte Zentrum an der Evangelischen Hochschule Freiburg mit Öffentlichen Geldern durchgeführt hat. Also: Eigenlob und Eigenwerbung.

Bekanntlich stinkt Eigenlob da, wo das Trommeln zum Handwerk gehört, kein bißchen. Die 14 festen und fünf freien Mitarbeiter, und dazu noch die vier studentischen Hilfskräfte* die im Zentrum arbeiten, verstehen sich als kompetente Partner für Forschung, Beratung, Fortbildung und Lehre, und sie stellen sich individuell auf die spezifischen Anforderungen von Auftraggeber(n) und deren Projektanliegen ein. und viel Empathie und Flexibilität macht sich bezahlt. Das Zentrum sitzt an den Tischen wichtiger Gremien, und unter den 41 Kunden, die der Verein auf seiner Webseite aufführt*, ist Bertelsmann ebenso vertreten wie die Generali, beide aktiv in Seniorenpolitik und Seniorenarbeit.

Die Bertelsmann-Stiftung ist ja mittlerweile selbst in Hintertupfingen als einflussreichste Propagandistin für die Einschränkung öffentlicher Leistungen zugunsten privater Anbieter und des Dritten Sektors bekannt. Für sie hat das Zentrum neuartige Formen von Hilfemixturen (!)untersucht und zwar zwischen marktförmigen, solidaritätsbasierten, staatlichen Leistungen und Aktivitäten des Dritten Sektors untersucht. Der Bertelsmannsche Zaubertrank.

Reine Werbung ist der Artikel eines Dipl.-Finw. und Steuerberaters. Darin informiert er Aktive in der Seniorenarbeit und Seniorenpolitik über die Ertrags- und Umsatzsteuerbefreiung in verschiedenen, wie er es nennt, Sphären. Das Firmenlogo samt Kontaktdaten prangt selbstbewußt rechts neben seinem Text.

Auf den Seiten 16 und 17 der Bagso Nachrichten stehen die Ergebnisse einer Online-Umfrage. Durchgeführt für die Bagso hat sie die "Feierabend Online Dienste für Senioren AG". Auch das ist wieder Schleichwerbung. Der Webtreff für die besten Jahre, wie sich die Webseite Feierabend.de nennt, wurde 1999 unter dem Namen "Online Dienste für Senioren Aktiengesellschaft" in Frankfurt gegründet. Feierabend.de gilt (noch) als größte kommerzielle, werbefinanzierte Webseite für SeniorInnen in der Bundesrepublik. Aufsichtsratsvorsitzender der Aktiengesellschaft ist Eckbert von Bohlen und Halbach, seit 2004 mit Désirée, Prinzessin von Hohenzollern verheiratet. Herr von Bohlen und Halbach macht nicht nur in Feierabend. Er ist außerdem Chief Executive der Bohlen Industrie GmbH, der Bohlen Handel GmbH, der Prosecur Holding GmbH und Deputy Chairmann des Supervisory Boards der H&R WASA Group.

Adel verpflichtet, also kommt die Kultur in den Bagso-Nachrichten auch nicht zu kurz. Es gibt sogar eine Buchbesprechung im Magazin der Bundesarbeitsgemeinschaft. Besprochen, also bewertet, mit Meinung versehen, wird aber, um genau zu sein, nicht. Stattdessen beantwortet der Autor Fragen zur Entstehung seines Werks „Hallo Ruhestand“. In der Spalte direkt daneben erfahren wir dann etwas über die Aktion Mitmachen und gewinnen. Der Verlag hat 10 Bücher zur Verfügung gestellt, die werden von der Bagso verlost.

Auf Seite 20 und 21 findet sich ein saft- und kraftloser Beitrag über die ZWAR-Netzwerke in Nordrhein-Westfalen. Überschrift Den Übergang in den Ruhestand gestalten. 140 selbst bestimmte und selbst organisierte Netzwerke gibt es mittlerweile in NRW. Und dazu einen gewaltigen Überbau. Aber weder über das ein noch über das andere erfahren wir etwas.
die aktiven in Seniorenarbeit und Seniorenpolitik etwas. Es ist doch interesssant, dass die ZWAR Zentralstelle NRW, wie das Zentrum aus Freiburg, ebenfalls im Beratungsgeschäft tätig ist: Kommunen (Wohlfahrts-)Verbände, Träger, Einrichtungen und Vereine werden bei der Gestaltung einer zukunftsorientierten Seniorenarbeit beraten. Schwerpunkt dabei ist – klaro - die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements sowie die Initiierung und Verstetigung (!) von nachhaltigen sozialen Netzwerken älterer Menschen. Kurse werden auch angeboten, zum Beispiel: Klarheit und Bewusstheit in der Netzwerkbegleitung.
Träger der ZWAR Zentralstelle NRW ist der ZWAR e.V. in Dortmund. Der wird von renommierten Sponsoren, etwa dem Generali Zukunftsfonds und Thyssen Krupp unterstützt. Auch das Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen, also – mal wieder - der Steuerzahler steurt einen Obulus bei.

Kommen wir zum Positiven. Unser Lieblingsbeitrag steht auf Seite 29 im Heft. Zwar ist das auch wieder Schleichwerbung, aber angesichts von Atommüllzwischenlagern die absaufen, Ländern, die im Wasser versinken, ewigem Eis, das unbekümmert vor sich hinschmilzt, Castorbehältern die nach Russland verschifft werden - rührend. Unter der very german Überschrift Klimaschutz bei Kaffee und Kuchen wird - was sonst - ein Projekt vorgestellt. Eines, an dem die Bagso beteiligt war und bei dem Schulungen stattfanden. Ergebnisse: Es ist möglich, beim Gruppentreffen Vollkornbrot mit vegetarischen Brotaufstrichen anzubieten; statt Blumen ein Fairtrade- oder Bioprodukt mitbringen; Trainings für ältere Menschen, die öffentliche Verkehrsmittel nutzen und ihre Karten am Automaten ziehen möchten, die mit Gruppen besucht werden können; Enkel als Energiespardetektive einsetzen. Fehlt eigentlich nur noch eine Klimabeauftragte. Aber keine Sorge - die hat die Bagso schon längst ernannt.

Die amüsanteste Überschrift steht nach unserer Meinung über einem Text, den ein Mitglied des ReifeNetzwerks für die Bagso-Nachrichten schreiben durfte. Dazu muss man wissen: Beim ReifeNetzwerk handelt es sich um einen kommerziellen Zusammenschluss von Unternehmen und Dienstleistern, die speziell an KonsumentInnen und KundInnen der Zielgruppe 50plus interessiert sind. Die Überschrift lautet: Vom „Hackenporsche“ zum Kultprodukt.

Lassen wir es damit gut sein. Vergessen wir die zwei Seiten der Verbraucherzentrale NRW e.V. Überblättern wir den Beitrag über die Mobilen Temas des Freiwilligendienstes aller Generationen. Überschlagen wir die Tagung des Deutschen Seniorenrings e.V., die sich primär an Institutionen und Organisationen der Seniorenarbeit, an Wohlfahrtsverbände, Krankenkassen, Ministerien, Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens, an die Medien, aber auch an Wirtschaftsunternehmen mit Interesse am Thema Senioren-Gesundheit richtet, also nicht an "normale" Seniorinnen oder Senioren. Übersehen wir die Verbraucherempfehlung der Bagso Service GmbH für die Kölner Bank. Unterschlagen wir die indirekte Werbung für den Bundesverband Hausnotruf und die Webseite fit im alter und kommen wir zum Schluss:
Das Magazin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen ist die Iswestija des Dritten Sektors.

*lt. Webseite vom 21.7.2010

Link: AARP wird 50: Anmerkung zur Feier
Quelle: Büro gegen Altersdiskriminierung