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Kindererziehungszeiten: Aussage Petitionsausschuss 2010

05.03.2010 - von Petitionsausschuss 2010

Frau D. hat 2010 eine Petition* beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags eingereicht. Die Petititon von Frau P. wegen der Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung hat der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags am 24.11.2010 abschließend beraten und das Folgende beschlossen:

"Das Petitionsverfahren (ist) abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden konnte.

Begründung
Mit der Petition wird gefordert, Kindererziehungszeiten bei der Rentenberechnung von Frauen mit Geburten vor dem 1. Januar 1992 von ein auf drei Jahre zu erhöhen. Frauen, die vor dem 1. Januar 1992 Kinder bekommen haben, erhielten nur ein Jahr Erziehungszeit pro Kind als Beitragszeit für die Rentenberechnung. Hierdurch werde der Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes verletzt. Die Leistung dieser Müttergeneration werde nicht in gleicher Weise gewürdigt und anerkannt, wie die der Müttergeneration mit Geburten ab 1. Januar 1992, denen drei Jahre pro Kind als Beitragszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung angerechnet würden.

Es handelt sich um eine öffentliche Petition, die innerhalb der sechswöchigen Mitzeichnungsfrist von 774 Unterstützern mitgezeichnet wurde und die zu 20 Diskussionsbeiträgen geführt hat. Die Teilnehmer haben die Petition nur zum Teil unterstützt, z. B. weil sie eine Gleichbehandlung von Geburten vor und nach 1992 befürworten. Andere äußerten in ihren Diskussionsbeiträgen dagegen, die Petition nicht mitzeichnen zu können, weil sie die Zunahme versicherungsfremder Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung generell ablehnen.

Das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung des auf die Anerkennung von drei anstelle von einem Jahr Kindererziehungszeit für Geburten vor dem 1. Januar 1992 gerichteten Anliegens lässt sich unter Berücksichtigung einer Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wie folgt zusammenfassen:

Das mit der Petition vorgetragene Anliegen war bereits in der 13. bis 16. Wahlperiode Gegenstand der parlamentarischen Prüfung durch den Petitionsausschuss. Er hat jeweils empfohlen, das Petitionsverfahren abzuschließen, weil er keine Möglichkeit gesehen hat, das Anliegen zu unterstützen. Diesen Beschlussempfehlungen hat das Plenum des Deutschen Bundestages jeweils zugestimmt.

Der Petitionsausschuss hat das Anliegen in der 17. Wahlperiode erneut geprüft. Auch im Rahmen der erneuten parlamentarischen Prüfung hat der Ausschuss jedoch keine Anhaltspunkte feststellen können, die ihm Anlass geben könnten, von seinen früheren Beschlussempfehlungen abzuweichen. Der Ausschuss lässt sich insoweit – in weitgehender Übereinstimmung mit seinen früheren Beschlussempfehlungen – von folgenden Überlegungen leiten:

Nach Einführung der zunächst einjährigen rentenrechtlichen Kindererziehungszeit im Jahre 1986 folgte mit dem Rentenreformgesetz 1992 deren Verlängerung auf drei Jahre. Die aus Sicht der Betroffenen mit der Stichtagsregelung verbundene Schlechterstellung von Geburten vor dem 1. Januar 1992 war wiederholt Gegenstand verfassungsgerichtlicher Entscheidungen.

In dem Nichtannahmebeschluss vom 29. März 1996 (1 BvR 1238/95) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass eine gegen das Grundgesetz verstoßende Ungleichbehandlung der Kindererziehung in der Zeit vor Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes 1992 einerseits und den seit dem 1. Januar 1992 geltenden Regelungen des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) andererseits nicht vorliege.

Zwar sei der Gesetzgeber nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz verpflichtet, den Mangel des Rentenversicherungssystems, der in dem durch Kindererziehung bedingten Nachteil bei der Altersversorgung liegt, in weiterem als dem seinerzeitigen Umfang auszugleichen.

Dem sei der Gesetzgeber aber mit der zeitlichen Ausdehnung ab dem Stichtag 1. Januar 1992 nachgekommen. Dabei würde es nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers unzulässig beschränken, wenn ihm verwehrt wäre, eine derart komplexe Reform wie die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bei der Altersversorgung in mehreren Stufen zu verwirklichen.

Das Bundesverfassungsgericht hat ergänzend darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber nach der Verfassung nicht darauf beschränkt sei, bei weiteren Reformschritten strukturelle Verbesserungen der Kindererziehungszeiten oder deren zeitliche Ausdehnung nur auf Tatbestände ab Inkrafttreten des jeweiligen Reformschritts anzuwenden. Er könne solche Verbesserungen auch jenen Elternteilen zukommen lassen, die die Kindererziehung in Zeiträumen vor Inkrafttreten der jeweiligen Neuregelung geleistet haben.
Die Entscheidung liege jedoch in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers.
Mit der begrenzten Ausdehnung der Kindererziehungszeit erst ab
Geburten des Jahres 1992 seien die Grenzen des gesetzgeberischen Ermessens jedenfalls nicht überschritten.

Über die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen hinaus verweist der Petitionsausschuss auf die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen, die eine weitergehende Anrechnung der Kindererziehungszeit mit drei Jahren auch für Geburten vor 1992
hervorrufen würde.

Eine Ausweitung der Anrechnungsregelung würde Mehrkosten in
Höhe von über 12 Mrd. € jährlich verursachen. Angesichts der finanziellen Lage der öffentlichen Haushalte im Allgemeinen und der gesetzlichen Rentenversicherung im Besonderen sowie im Hinblick auf die absehbare demografische Entwicklung besteht für eine derartige Belastung kein Finanzierungsspielraum.

Der Ausschuss vermag insbesondere Mehrausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung in der genannten Größenordnung nicht zu empfehlen, weil diese nur durch eine Anhebung der Beitragssätze gedeckt werden könnten, welche den Arbeitsmarkt spürbar belasten würde.

Die Ausdehnung der Kindererziehungszeiten auf drei Jahre für Geburten ab 1992 war bewusst als eine in die Zukunft gerichtete Maßnahme konzipiert, indem sie Müttern und Vätern für die Abwägung, ob sie vorübergehend zugunsten der Kindererziehung auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit verzichten sollten, eine größere Gestaltungsfreiheit einräumt. Diese Gestaltungsmöglichkeiten sind für Geburten vor 1992 naturgemäß nicht mehr erreichbar.

Kindererziehende leisten unbestreitbar einen unverzichtbaren Beitrag auch für den Fortbestand der gesetzlichen Rentenversicherung. Daher ist ein Ausgleich der erziehungsbedingten finanziellen Nachteile von Familien notwendig. Ein Familienlastenausgleich ist aber keine originäre Aufgabe der Solidargemeinschaft der Rentenversicherten, sondern eine über Steuern zu finanzierende gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die steht in Übereinstimmung mit der Finanzierung der gegenwärtig anzuerkennenden Kindererziehungszeiten, für die Pflichtbeiträge aus Bundesmitteln an die gesetzliche Rentenversicherung gezahlt werden.

Die Ausgestaltung des Familienlastenausgleichs ist eine politische Frage, bei der zu entscheiden ist, welche Personen zu begünstigen sind.

Bei dem mit der Petition geäußerten Vorschlag, auch für Geburten vor 1992 drei Jahre Kindererziehungszeiten anzurechnen, handelt es sich um eine Verlagerung des Familienlastenausgleichs in das Alter. Dies ist nach Auffassung des Petitionsausschusses nicht zu befürworten. Familien benötigen finanzielle Unterstützung am dringendsten in der Erziehungsphase.

Dies gilt vor allem dann, wenn ein Elternteil seine Erwerbstätigkeit wegen der Kindererziehung aufgibt oder einschränkt und der Familienunterhalt im Wesentlichen
aus dem Einkommen des anderen Elternteils bestritten werden muss. Angesichts nur beschränkt zur Verfügung stehender Haushaltsmittel sollte daher - über die schon bestehenden Regelungen zur Anerkennung der Erziehungszeiten als anspruchsbegründende und rentenerhöhende rentenrechtliche Zeit hinaus - nicht der Familienlastenausgleich im Alter, sondern die Unterstützung der Familie in der Erziehungsphase den Vorrang haben.

Nach den vorangegangenen Ausführungen sieht der Petitionsausschuss keine Möglichkeit, eine Rechtsänderung im Sinne der Petition zu befürworten und empfiehlt, das Petitionsverfahren abzuschließen."

https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2010/_03/_05/Petition_10592.abschlussbegruendungpdf.pdf

Mitglieder des Petitionsauschuss`des Deutschen Bundestag:
http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a02/mitglieder.html

Link: Kindererziehungszeiten: Aussage Bundesregierung 2008
Quelle: Petitionsausschuss 2010