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Altersgrenzen, Rassenforscher, Begabung, Bildungsabschlüsse

Foto: H.S.

09.07.2019 - von Andreas Kemper u.a.

"Der Rassenhygieniker Karl-Valentin Müller wurde 1946 mit einer Begabungsstudie in Niedersachsen beauftragt und kam – abweichend von der Empfehlung der allierten Kontrollkommission zum Schluss, dass es unbedingt ein streng und früh selektierendes dreigliedriges Schulsystem geben müsse, da es drei verschiedene Begabungstypen gibt. Dieser Karl-Valentin Müller war an der Gründung der Gesellschaft für Bevölkerungspolitik beteiligt, wie viele weitere ehemalige Rassenforscher_innen der NS-Zeit.

Es geht letztlich um Privilegiensicherung. Die Bildungsabschlüsse haben zunehmend diesen selektiven Charakter.

Wenn nämlich Intelligenz sozialgruppenspezifisch vererblich wäre, dann müsste man gar nicht mehr bei den einzelnen Arbeiterkindern oder Akademikerkindern überprüfen, ob sie dumm oder intelligent sind. Man weiß ja, wo sie hingehören qua Geburt."
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– Gemäß dieser Logik wäre es dann auch nicht nötig, die starren deutschen Altersgrenzen bei BAFöG & Co. aufzubrechen und damit Quereinsteigern den Weg in eine akademische Karriere oder überhaupt ein Hochschulstudium zu ermöglichen. Es wurde ja bereits im Grundschulalter festgestellt, dass die Begabung dafür fehlt, da die betreffende Person einen anderen "Begabungstyp" hat. NL.

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Ein Artikel aus dem Jahr 2007, der immer noch aktuell ist. Der deutsche Sonderweg in der Bildung, das sich Festklammern an Altersschranken kann nur im historischen Kontext verstanden werden. Sonst sieht man den Wald vor Bäumen nicht:
"Der Aufbau des deutschen Schulsystems betont den Klassengeist. Schon im Alter von 10 Jahren sieht sich das Kind eingruppiert oder klassifiziert durch Faktoren, auf die es keinen Einfluss hat, wobei die Einstufung fast unvermeidlich seine Stellung für das ganze Leben bestimmt. Diese Haltung hat bei einer kleinen Gruppe eine überlegene Haltung und bei der Mehrzahl der Deutschen ein Minderwertigkeitsgefühl entwickelt, das jene Unterwürfigkeit und jenen Mangel an Selbstbestimmung möglich machte, auf dem das autoritäre Führerprinzip gedieh." So hieß es am 25. Juni 1947 in der Direktive 54 des Alliierten Kontrollrates, die die Handschrift der Amerikaner trug. Ein Kapitel deutscher Schule, das wir immer noch nicht hinter uns haben."
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Aus der Zeitschrift für Studierende an der Uni Münster:
Die Direktive 54
Die Alliierten forderten 1947 im Zuge der Entnazifizierung Deutschlands mit der Direktive 54 einen strukturellen Wandel des Bildungssystems. Das Schulgeld sollte abgeschafft werden. Ebenso sollte das mehrgliedrige Schulsystem abgeschafft und durch eine gemeinsame Schule für alle ersetzt werden. Nach Meinung der alliierten Zook-Kommission war die soziale Selektivität ein wichtiger Bestandteil zur Schaffung einer deutschen Untertanenmentalität, die das nationalsozialistische Regime so gut funktionieren ließ. In den westlichen Zonen wurde mit ideologischer Unterstützung von nationalsozialistischen Forschern wie Karl Valentin Müller, der 1946 in einer fragwürdigen Studie behauptete, es gäbe drei unterschiedliche „Begabungstypen“, und der bis Ende der 60er-Jahre gern gesehener Gast bei den Philologentreffen der Gymnasiallehrer war, verhindert, dass die Direktive 54 umgesetzt wurde."*
https://semesterspiegel.uni-muenster.de/wie-bildung-die-gesellschaft-trennt/

Wenn immer noch von eugenischen "Begabungstypen" – ein Begriff, der mir auch im linken akademischen Umfeld immer wieder begegnet – ausgegangen wird, dann besteht kein Grund dafür, ein offeneres Bildungssystem zu schaffen. Es ist dann unnötig, älteren Studierenden den Zugang zu einer wissenschaftlichen Karriere zu ermöglichen, da nicht soziale Gründe für das bislang nicht erfolgte Studium zu nennen sind sondern mangelnde akademische Begabung. Oder, wie mir eine Professorin einmal mitteilte, "ein anderer Begabungstyp". Offenbar war sich die Professorin nicht der dunklen Herkunft dieses Begriffes bewusst. NL

Quelle: andreas Kemper.org, DIE ZEIT,Semesterspiegel Uni Münster, NL