Diskriminierung melden
Suchen:

Seit Wochen fällt die Telematikinfrastruktur in den Arztpraxen aus

Foto: H.S.

18.06.2020 - von Stefan Streit

Durch einen Konfigurationsfehler bei der Telematikinfrastruktur wurden 80.000 Trust Service Status Lists auf den Arztpraxisservern ungültig. Behoben werden kann das Problem nur in jeder Praxis einzeln, vor Ort. Am Anfang hieß es: „Dies sei simpel und in wenigen Minuten umgesetzt.“ Neben der Frage, ob IT-Laien an einer sicherheitsrelevanten Struktur freihändig tätig sein sollten, stellt sich die Frage wer die 80.000 IT-Dienstleistungen bezahlt. Die gematik lehnte die Kostenübernahme jedenfalls von Anfang an ab.

Aktuell arbeiten deshalb viele Ärzte erst mal ohne Telematikinfrastruktur weiter. Die gesetzlich mit dem Betrieb der Telematikinfrastruktur beauftragte Gesellschaft veröffentlichte am 12.6.2020 auf der Homepage ihren Lösungsentwurf. Darin verweist sie auf den Vertrag zwischen Ärzten und IT-Dienstleistern und erklärt, die Kosten für diese Reparatur seien über die regelmäßige Betriebskostenpauschale bereits beglichen. Die gematik stellt sich offensichtlich vor, die Ärzte bestellen bei einem IT-Dienstleister eine Reparatur und setzen dann selbst durch, dass für diese Dienstleistung keine Rechnung geschrieben wird. Link

Gematik hat den Schaden verursacht
Obwohl selbst der Verursacher des Schadens, sieht sich die gematik lediglich in der Rolle des Moderators, der gelobt, in Gesprächen mit den IT-Dienstleistern auf eine kostenlose Durchführung der Arbeiten hinzuwirken. Das Ganze sieht clever aus, ist aber aus mehreren Gründen irritierend.

Die Wirkung teilhabe-vernichtender Lieferketten ist von Politik und Gesellschaft erkannt worden. Natürlich leiden die IT-Dienstleister und die Ärzte in Deutschland deswegen keine Not, wie die Arbeiter in den berüchtigten Sweatshops. Problematisch ist das systematische Unkenntlich-machen von Aufwand und Systembelastung für unsere Gesellschaft dennoch.

Die umstandslose Verklappung von Dünnsäure in der Nordsee ging auf eine vergleichbar gestrigen Vorstellung von Ökonomie zurück. Natürlich hätte die Nordsee eine einzelne Verklappung folgenlos verdünnt. Aber das Ganze wurde zum üblichen Prozess für die Entsorgung von Unrat erklärt und belastete jahrzehntelang ganz legal das Wasser an der deutschen Küste bei Helgoland.

Täglich erklären wir uns selbst und unseren Kindern, nur mit echten Kreislaufprozessen könnten wir zu nachhaltigem Wirtschaften finden. Kreislaufprozesse verdienen den Name allerdings nur, wenn die Energiebilanz tatsächlich und nicht nur scheinbar komplett erfasst wird.

Verklappung von technischen Zusatzkosten im Ozean des Gesundheitswesens ist kein nachhaltiges Konzept
Die Kosten müssen eindeutig entweder bei der gematik oder bei den Ärzten verbucht werden. Alle, die bis vor kurzem glaubten, man könne sich mit der Bereinigung solcher Probleme Zeit lassen, wurden durch die Corona-Krise eines besseren belehrt. Nicht tragfähige, nur von problemfremder Kompensation getragene Strukturen versagten stets als erstes.

Gematik und Ärzte stehen bei der Telematikinfrastruktur gerade am Anfang der Digitalisierung in der Medizin. Noch laufen auf der Telematikinfrastruktur keine, für die Patientenbehandlung relevanten Prozesse, dementsprechend entspannt können alle mit dem, schon wochenlang dauernden, Telematikinfrastrukturausfall umgehen.

Die gematik agiert aus einer Position der Stärke, die ihr eigentlich erst zukommt, wenn die elektronische Arbeitsunfähigkeitsmeldung, ab 1.1.2021 Wirklichkeit geworden ist. Dann werden Patienten, Krankenkassen und Arbeitgeber die Ärzteschaft unter Druck setzen, jede Störung unverzüglich zu reparieren. Dabei geht es immer noch nur um Komfortfunktionen für die Medizinverwaltung.

Noch geht es nicht um das Patientenwohl
Läuft aber irgendwann einmal die elektronische Patientenakte über die Telematikinfrastruktur, schwebt die Keule der Gefährdung des Patientenwohls über dem Kopf des Arztes. Gibt es ein Problem, beauftragt der Arzt ohne Diskussion den IT-Dienstleister, der wird seine Arbeit machen und eine Rechnung schicken. Zahlt der Arzt nicht, reagiert der Dienstleister beim nächsten Anruf des Arztes nicht mehr.

Ach ja, für das Gesamtverständnis ist noch wichtig: freiwillig machen die meisten Ärzte bei der Telematikinfrastruktur nicht mit. Ärzte, die Zweifel am Sicherheitskonzept der Telematikinfrastruktur oder der Vorgehensweise der gematik haben, sind seit dem 1.1.2020 mit einer Konventionalstrafe von 2,5 Prozent ihres Umsatzes belegt.

Konsens? Verhandlung auf Augenhöhe? Vertrauen? Alles Fehlanzeige! Bad governance!
Die gematik soll entweder die Kosten selbst übernehmen oder klarstellen, dass die Ärzte die angeforderte Dienstleistung bezahlen müssen. Das wird richtungsweisend für die Zukunft sein. Es werden permanent Nachbesserungen fällig werden. Jetzt wird entschieden wer was bezahlt. Es sollte allen klar sein, was Telematikinfrastruktur kostet.

Der Konflikt bei der Telematikinfrastruktur liegt zwischen Politik und Ärzteschaft. Das Unsichtbarmachen von Aufwand ist inakzeptabel. In der Vertragsarztmedizin ist das allerdings Gang und Gäbe. So wurde irgendwann einmal beschlossen ein EKG sei in der Behandlungspauschale für drei Monate bereits enthalten. Seitdem machen die Ärzte die EKG in den Praxen umsonst. Das demonstriert die Methode. Nun aber wird dieser Konflikt als Keil zwischen IT und die Ärzte getrieben. So wird Digitalisierung in der Medizin nie was.

Quelle: Mail an die Redaktion