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Die Ehrenbürger der Stadt Köln - Aus dem Archiv: 1983

Foto: H.S.

12.11.2020 - von Hanne Zens

Aus dem Archiv: 29.6.1983

Die Stadt Köln hat seit dem 29. April einen neuen Ehrenbürger. Der Nobelpreisträger Heinrich Böll ist der - ja, der wievielte Bürger eigentlich, dem diese, bis heute nur Männern erwiesene Ehre zuteil wurde?Wer die Grundrechenart des Addierens beherrscht, sollte, so könnte man meinen, die Summe der Bürger leicht errechnen können, die vom Rat der Stadt Köln zu Ehrenbürgern ernannt wurden.

Aber die Zählung der städtischen Ehrenbürger ist schwierig. So schwierig, dass ihr mit Grundrechenarten nicht beizukommen ist.

Siebzehn Ehrenbürger hat die Stadt Köln laut der Liste, die durch das Presseamt anlässlich der Ehrenbürgerschaftsverleihung an Heinrich Böll verteilt wurde. Der frühere Reichspräsident von Hindenburg war bei dieser wohlweislich nicht durchnummerierten Liste der Einzige, den die Kölner Stadtväter zum besonderen Bürger machten, nachdem die Nationalsozialisten 1933 an die Macht gekommen waren.

Aber diese Liste ist unvollständig.

Am 30. März 1933 wurde nicht nur dem Reichspräsidenten sondern auch dem Führer und Reichskanzler Adolf Hitler die Ehrenbürgerschaft der Stadt Köln verliehen. Und am 22. Juni 1934 dem Generalfeldmarschall und Preußischem Ministerpräsidenten, Herman Göring. Und am 15. Februar 1937 dem Reichsorganisationsleiter und Staatsrat, Dr. Robert Ley. Und am 26. April 1939 dem Reichsleiter und Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung der NSDAP, Dr. Alfred Rosenberg. Und am 20. Mai 1939 dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Dr. Josef Goebbels.

Bezieht man aber die "Stenographischen Verhandlungsberichte" aus dieser Zeit in die Zählung der Kölner Ehrenbürger mit ein, gibt es in Köln nicht siebzehn, sondern zweiundzwanzig Bürger, denen die Stadt die Ehre erwies. Wenn man die Ehrenbürger aber nach Art des früheren Oberbürgermeisters Görlinger zählt, kommt man weder auf die Summe von siebzehn, noch auf die vom 22.

Im Januar 1951, als Görlinger die "1. Außerordentliche Stadtvertretung zu Köln" eröffnete, lautete der einzige Tagesordnungspunkt: Verleihung des Ehrenbürgerrechts an Dr. Adenauer und Dr. Böckler. Und als ob es das 3. Reich nicht gegeben hätte und in dieser Zeit keine Ehrenbürgerrechte verliehen worden wären, sagte Görlinger, nachdem er die einstimmige Annahme des Antrages durch Erheben von den Sitzen festgestellt hatte: "Herr Dr. Adenauer ist damit der 10. und Herr Dr. Böckler der 11. Ehrenbürger geworden, den die Stadt Köln seit dem Inkrafttreten der Rheinischen Städteordnung im Jahre 1856 aufzuweisen hat. Die Reihe der Ehrenbürger beginnt mit Graf Egon von Fürstenberg, gewählt 1856; es folgen Ernst Moritz Arndt 1859, Fürst Bismarck 1875, Graf Moltke 1879, Dr, Heinrich von Stephan, Dr. Gustav von Mevissen und Dr. August Reichensperger 1895, Wilhelm Becker 1905 und Prof. Dr. Alexander Schnütgen 1910." Nach dieser Görlingerschen Rechenart, die man auch als kölsche Variante der Vergangenheitsbewältigung bezeichnen könnte, hat Köln sechzehn Ehrenbürger.

Aber auch diese Summe ist nicht der Weisheit letzter Schluß.

Am 17. März dieses Jahres, als der heutige Kölner Oberbürgermeister Burger in einer Rede vor dem Rat der Stadt Köln an den Beginn der Naziherrschaft erinnerte, kam er, was die Ehrenbürgerschaft Hindenburgs und Hitlers anbelangt zu dem Ergebnis: "Die Beschlüsse, die zustande kamen, muß man nach rechtsstaatlicher Auffassung heute sicherlich als nichtig ansehen. Man bedenke die Art ihres Zustandekommens. Nach Aussagen des Stadtverordneten Schaeven (...) waren 20 SS-Leute mit geladenen Gewehren in der Versammlung anwesend - eine massive physische Bedrohung."

Schließt man sich dieser Auffassung an, kommt man per Addition auf zwanzig Kölner Ehrenbürger. Neun vor der "Machtergreifung" der Nazis, sieben nach dem 2. Weltkrieg, das macht sechzehn. Plus Göring, Ley, Rosenberg und Goebbels, die der Kölner Oberbürgermeister in seiner Rede nicht erwähnte. Warum sagte er nichts über die Bedingungen, die bei den Beschlussfassungen über die Ehrenbürgerschaften von Göring, Ley, Rosenberg und Goebbels herrschten? Und warum, wenn die Bedrohung der Stadtverordneten am 30. März 33 so massiv war, daß die Beschlußfassung im Nachhinein als nichtig angesehen werden kann, tauchte Herr von Hindenburg auf der Presseamtsliste im April dieses Jahres wieder als Ehrenbürger auf?

Hans Prolingheuer, Mitglied des Rates der Stadt Köln, wandte sich in dieser Sache an den Oberstadtdirektor Kurt Rossa.

Er habe Anweisung gegeben, daß in städtischen Verlautbarungen die Herren Hindenburg und Hitler nicht mehr als Ehrenbürger zu führen seien, antwortet der Oberstadtdirektor und fügte hinzu, daß die bereits erwähnte Görlingersche Zählart von 1951 praktisch eine politische Aberkennung der Ehrenbürgerschaften aller Nazis gewesen sei.

Unterschlagung beim Zählen als politische Willenserklärung?

Diese Auffassung scheint selbst der Kölner Oberbürgermeister nicht mehr länger zu teilen. Am 13. Juni dieses Jahres, knapp drei Monate nach seiner Rede zum Jahrestag der "Machtergreifung", bringt er eine fünfte Variante der kölschen Ehrenbürgerzählung ins Spiel. Nach dieser neuen Burgerschen Zählart gibt es in Köln plötzlich nur noch drei Ehrenbürger: Theo Burauen, Peter Ludwig und Heinrich Böll.

Diese hohe Schule der politischen Vergangenheitsbewältigungsmathematik geht aus einem Antwortschreiben hervor, daß der Oberbürgermeister einem Kölner Bürger schickte, der die Aberkennung der Ehrenbürgerrechte von Göring, Ley, Rosenberg und Goebbels gefordert hatte. Burger schreibt: " Eine formelle Entziehung der Ehrenbürgerschaft ist dann nicht erforderlich, wenn, wie im vorliegenden Falle, die betreffenden Personen verstorben sind. Denn nach allgemeiner Meinung von Literatur und Rechtsprechung erlischt das Ehrenbürgerrecht mit dem Tode des Beliehenen."

Daß sich Herr Burger in seiner Rede anläßlich der Verleihung der Ehrenbürgermeisterschaft an Heinrich Böll auf tote Ehrenbürger bezogen hat, und der Oberstadtdirektor, folgte er der Burgerschen Mathematik, Anweisungen geben müsste, nur noch die lebenden Ehrenbürger auf städtischen Verlautbarungen aufzuführen sei nur am Rande erwähnt.

Was Not tut in dieser Sache, ist eine eindeutige, politische Willenserklärung des Rates der Stadt Köln - mit der er sich von allen während der Nazizeit verliehenen Ehrenbürgerschaften distanziert. Da es juristisch nicht möglich ist, Verstorbenen die Ehrenbürgerschaft zu entziehen ((so Kottenberg/Rehm zu § 26,2 Gemeindeordnung NRW) ist dies wohl die einzige und sauberste Lösung.

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- H. Zens, für Kritisches Tagebuch WDR 3, gesendet am 29.6.1983
Es dauerte sechs (!!!) Jahre, bis der Rat der Stadt in seiner Sitzung vom 27. April 1989 einstimmig beschloss, dass die in der Zeit des Nationalsozialismus gefassten Beschlüsse zur Verleihung von Ehrenbürgerrechten von Anfang an nichtig waren.

- Am 4.11.2020 meldet die Rheinzeitung: 75 Jahre nach Ende der NS-Diktatur: Hitler und Göring verlieren ihre Bad Neuenahrer Ehrenbürgerrechte (...) Den Naziverbrechern, die für Völkermord und millionenfaches Leid verantwortlich waren, sind die Ehrenbürgerrechte nie aberkannt worden. Bis heute.

- Am 9.11.2020 meldet swr.de: Der Stadtrat von Bad Neuenahr-Ahrweiler will am Abend auf seiner Sitzung vier Nationalsozialisten die 1933 verliehene Ehrenbürgerwürde aberkennen. (...) Juristisch sei die Aberkennung des Titels nicht nötig, da die Ehrenbürgerwürde mit dem Tod erlischt, sagte ein Sprecher der Stadt. (...) Das Datum der Aberkennung, der 9. November, sei darum bewusst gewählt worden. In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 begann im Dritten Reich die offene, systematische Judenverfolgung. Neben Hitler und Göring wird die Ehrenbürgerschaft auch Carl Brinkmann, einem lokalen Förderer des Nationalsozialismus, und Generalmajor Adolf Hühnlein aberkannt. Link
Erklärung der Stadt Bad Neuenahr: Link

Quelle: Privatarchiv, Erstsendung WDR 29.6.1983