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Schul- +Studienzeiten: Verfassungsbeschwerde abgelehnt

Whittier, 2012 Foto: H.S.

20.07.2010 - von Otto.W. Teufel

Verfassungsbeschwerde zu Schul- und Studienzeiten Am 07. April 2010 hat die 3. Kammer des ersten Senats des BVerfG beschlossen, die von uns unterstützte Verfassungsbeschwerde (Vb) gegen die rückwirkenden Änderungen im Rentenrecht bezüglich der Anerkennung und Bewertung von Schul- und Studienzeiten, nicht zur Entscheidung anzunehmen, mit folgender Begründung:

„Die Vb ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil sie unzulässig ist.

Die Vb ist nicht hinreichend begründet (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Insbesondere fehlt es an der notwendigen
(vgl. BVerfGE 88, 40 <45>; 101, 331 <345>; 105, 252 <264>)
Auseinandersetzung mit den angegriffenen Entscheidungen
und mit der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 Abs. 1 Satz3 BVerfGG abgesehen. Diese Entscheidung ist unanfechtbar.“

Meiner Meinung nach zeugt diese Begründung von Arroganz
und Ignoranz und nicht von Seriosität. Selbstverständlich
haben wir uns in der Vb mit der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG auseinandergesetzt. Diese Rechtsprechung zum Thema Rentenanspruch bzw. Rentenhöhe ist seit rund 30 Jahren durch folgende Aussagen gekennzeichnet:

- Für Versicherte der gesetzlichen RV gelten nicht die gleichen Rechte wie für Mitglieder anderer Altersvorsorgesysteme.
- Zwischen den Versicherten der gesetzlichen RV und Mitgliedern anderer Altersvorsorgesysteme gibt es Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, dass die unterschiedliche rechtliche Behandlung mit dem Grundgesetz
(GG) vereinbar ist.
- Artikel 14 GG (Eigentumsschutz) hat im Rentenrecht eine
eigene Ausprägung erfahren, mit anderen Worten, der
Eigentumsschutz des GG gilt für Versichertenbeiträge nicht.
- Beiträge zur gesetzlichen RV sind öffentliche Mittel, über die der Gesetzgeber verfügt.
- Die gesetzliche RV ist ein Solidarsystem.
- Eingriffe des Gesetzgebers in die gesetzliche RV dienen dazu, die Zahlungsfähigkeit des Systems sicherzustellen.

Außerdem ist festzustellen,
- dass alle uns bekannten Verfassungsbeschwerden (Vb) zum Thema Rentenanspruch und Rentenhöhe seit 1981 (15 Stück) nicht zur Entscheidung angenommen wurden,
- dass umgekehrt allein in den vergangenen 10 Jahren mindestens fünf Vorlagen bzw. Vb’s rund um die Beamtenpensionen vom BVerfG behandelt wurden und dazu führten, dass der Gesetzgeber Eingriffe teilweise oder ganz zurücknehmen musste.

Wenn man dann noch berücksichtigt, dass auch Verfassungsrichter persönlich von diesem Zwei-Klassenrecht profitieren, bekommt der Beobachter erhebliche Zweifel an der Objektivität unseres höchsten Gerichts.

Damit Sie sich Ihr eigenes Bild machen können, haben wir im
folgenden Bericht die Vb in vollem Umfang abgedruckt.
Otto W. Teufel
ottow.teufel@t-online.de

Verfassungsbeschwerde (Wortlaut)
Hiermit lege ich Verfassungsbeschwerde ein gegen

- den Rentenbescheid der BfA/DRV vom . . .
- den Widerspruchsbescheid der BfA/DRV vom . . .
- den Gerichtsbescheid des SG München vom . . .
- das Urteil des LSG München vom . . .
- das Urteil des BSG vom . . .

Diese Entscheidungen und Urteile verstoßen gegen das
Grundgesetz, insbesondere gegen den Gleichheitssatz Art
3 GG und das Rechtsstaatsprinzip Art 20 GG.

Begründung
Bei der Bewertung, ob das Rentenversicherungsrecht (SGB VI), wie es auch in meinem Fall zur Anwendung kam, verfassungsrechtlichen Vorgaben genügt, hat der 13. Senat des BSG in seiner Entscheidung wesentliche, im Laufe des Rechtsstreits vorgetragene Aspekte nicht berücksichtigt.

Wesentliche Aussagen, auf die sich das Urteil stützt, sind:
„Gemäß $ 149 Abs 5 Satz 2 SGB VI ist bei Änderungen der einem Feststellungsbescheid zugrunde liegenden Vorschriften dieser Bescheid durch einen neuen Feststellungsbescheid oder im Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben; die §§ 24 und 48 SGB X sind nicht anzuwenden. Hiernach entfaltet nur (noch) der jeweils zuletzt ergangene Feststellungsbescheid Bindungswirkung“. (Rn. 18)

„Der Senat schließt sich der Entscheidung des BVerfG vom
27.02.2007 (1 BvL 10/00) an, mit der es über die ebenfalls im WFG enthaltene rentenrechtliche Neubewertung der ersten Berufsjahre entschieden hat. Hierin hat es darauf hingewiesen, dass zwar die Anwartschaft auf eine Rente
durch das Eigentumsrecht des Art. 14 Abs 1 GG geschützt ist. Gegenstand dieses Schutzes ist danach die Anwartschaft, wie sie sich insgesamt aus der jeweiligen
Gesetzeslage ergibt. Der verfassungsrechtliche
Eigentumsschutz des Art 14 GG für Rentenanwartschaften
schließt aber deren Umgestaltung durch eine Änderung
des Rentenversicherungsrechts nicht schlechthin aus.
Insbesondere eine Anpassung an veränderte Bedingungen und im Zuge einer solchen Umgestaltung auch eine wertmäßige Verminderung von Anwartschaften lässt die Eigentumsgarantie grundsätzlich zu.

Soweit in schon bestehende Anwartschaften eingegriffen wird, ist zu berücksichtigen, dass in ihnen von vornherein die Möglichkeit von Änderungen in gewissen Grenzen angelegt ist. Eine Unabänderlichkeit der bei ihrer Begründung bestehenden Bedingungen widerspricht dem Rentenversicherungsverhältnis, das im Unterschied zum Privatversicherungsverhältnis von Anfang an nicht auf dem reinen Versicherungsprinzip, sondern wesentlich auch auf dem Gedanken der Solidarität und des sozialen Ausgleichs beruht. Eingriffe in rentenrechtliche Anwartschaften müssen allerdings einem Gemeinwohlzweck dienen und verhältnismäßig sein.

Knüpft der Gesetzgeber – wie hier – an ein bereits bestehendes Versicherungsverhältnis an und verändert er die in dessen Rahmen begründete Anwartschaft zum Nachteil des Versicherten, so ist darüber hinaus ein solcher
Eingriff am rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes zu messen, der für die vermögenswerten
Güter und damit auch für die rentenrechtliche Anwartschaft
in Art 14 GG eine eigene Ausprägung erfahren hat.“
(Rn. 24)

„Vor diesem Hintergrund aber dient auch der hier streitige Eingriff des Gesetzgebers, die Verschiebung des Beginns der Anrechnungszeit wegen Schulausbildung auf die Vollendung des 17. Lebensjahrs, einem Gemeinwohlzweck und ist verhältnismäßig. Hierbei ist insbesondere zu beachten, dass die Anwartschaft des Klägers, soweit ihr die Zurücklegung einer schulischen Ausbildung zugrunde liegt, nicht auf einer Beitragsleistung beruht.
(Rn. 26)

Dazu ist anzumerken, dass der Senat eine Reihe von Fakten
und Argumente gar nicht gewürdigt hat:
1) Nach 1945 haben die politischen und gesellschaftlichen
Eliten des ehemaligen Deutschen Reichs auch für den neuen Staat mit einer willkürlichen Entscheidung unterschiedliche
Systeme für die Altersvorsorge der erwerbstätigen
Bevölkerung geschaffen. Ein Mehr-Klassensystem, das es so in keinem demokratischen Rechtsstaat in Europa gibt, die gesetzliche Rentenversicherung, die berufsständische
Versorgung und die Beamtenversorgung. Für sich selbst haben diese Eliten gleichzeitig andere, wesentlich bessere Systeme geschaffen.

2) Die Angestellten-Rentenversicherungbwar bis 1957 organisatorisch und rechtlich vergleichbar mit einer sogenannten berufsständischen Versorgung geregelt.

3) Es war eine weitere willkürliche politische Entscheidung, mit der der Gesetzgeber mit der Rentenreform
von 1957 die Umstellung vom Kapitaldeckungs- auf das Umlageverfahren vollzogen hat. Damit hat der Gesetzgeber
gleichzeitig ein Zwei-Klassenrecht geschaffen. Während für die berufsständische Versorgung und für die Beamtenversorgung weiterhin rechtsstaatliche Grundsätze und die elementaren Grundrechte des Grundgesetzes galten, wurden diese in der gesetzlichen Rentenversicherung durch
die „Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers“ ersetzt. In der
berufsständischen Versorgung gelten das Vertragsrecht mit der Zweckbindung der Beiträge und das Rückwirkungsverbot
gesetzlicher Maßnahmen (Vertrauensschutz), für die Beamtenversorgung gelten die hergebrachten Grundsätze des
Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG). Wie das BSG in seiner Begründung ausführt, gelten für Versicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht die gleichen Rechte
wie für Mitglieder anderer Vorsorgesysteme. Dazu wird der Eigentumsschutz des Arbeitnehmers aus Art. 14 GG
auf einen Anspruch reduziert, der der Beliebigkeit des Gesetzgebers unterliegt, oder wie es das BSG formuliert,
„er hat in der gesetzlichen Rentenversicherung eine eigene Ausprägung erfahren.“

Für die Versicherten der gesetzlichen Rentenversicherung
werden das Rechtsstaatsprinzip mit Rückwirkungsverbot gesetzlicher Maßnahmen und die Zweckbindung der Beiträge außer Kraft gesetzt. Die Beiträge werden zu öffentlichen
Mitteln (BVerfG am 28.10.1994, 1 BvR 1498/94). Damit wird für Versicherte der gesetzlichen Rentenversicherung,
also überwiegend für Arbeitnehmer und Rentner, die politische Beliebigkeit zum neuen Rechtsstaatsprinzip. Die staatlichen und gesellschaftlichen Eliten haben dagegen
für sich selbst ein anderes, ein wesentlich besseres Recht geschaffen.

Ab 1957 wurde außerdem allein die Angestelltenversicherung
für die Defizite der Arbeiterrentenversicherung in Haftung genommen, ab 1957 zwar erst auf Leihbasis, ab 1973 aber auch offiziell. Das heißt, die Rentenreform 1957 kennzeichnet den Zeitpunkt, ab dem die Angestelltenrentenversicherung systematisch ihrer finanziellen Basis beraubt wurde.

4) Wenn Versichertenbeiträge zu öffentlichen Mitteln werden, hat das System nur so lange eine rechtstaatliche Basis, wie der Gesetzgeber sich verpflichtet, für eventuelle Defizite aufzukommen. Dazu hat sich der Gesetzgeber zwar u.a. bei der endgültigen Enteignung seiner den Rentenversicherungsträgern geschuldeten Zwangsdarlehen aus dem zweiten Weltkrieg verpflichtet (Bundestagsdrucksache Nr. 1953 vom 08.09.1955, S 67 Punkt
126 (s. Anlage)). Als diese Situation allerdings Mitte der 70-er Jahre erstmals eingetreten ist, hat er es vorgezogen, Renten und Rentenansprüche drastisch zu kürzen.

5) Der Eindruck eines Zwei- Klassenrechts wird auch noch dadurch verstärkt, dass seit Beginn dieser rückwirkenden Eingriffe vor 30 Jahren keine einzige Entscheidung des BVerfG zu Rentenanwartschaften oder Rentenhöhe bekannt ist, in der nicht die „Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers“ einen höheren Verfassungsrang hat als die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaats oder die elementaren Grundrechte der Zwangsversicherten, u.a. in der Entscheidung vom 01.07.1981 – 1 BvR 874/77 u.a. In dieser Entscheidung des BVerfG gibt es ein Minderheitenvotum, das u.a. zum Ausdruck bringt: „Kein ehrbarer Kaufmann könnte so handeln. Nun sei gewiss der
Staat kein ehrbarer Kaufmann. Aber er täte vielleicht gut daran, sich in seinem Verhalten einen ehrbaren Kaufmann zum Vorbild zu nehmen“.

Umgekehrt sind allein seit 2005 vier Entscheidungen des BVerfG zum Pensionsrecht bekannt, in denen das BVerfG den Gesetzgeber nach Eingriffen zur Rücknahme bzw. zu Korrekturen verpflichtet hat (2 BvR 1387/02 vom 27.09.2005, 2 BvR 797/04 vom 11.12.2007, 2 BvL 11/07 vom 28.05.2008, 2 BvL 6/07 vom 18.06.2008). 6) Das BSG verweist auf den Gedanken der Solidarität.

Dazu ist festzustellen, dass die gesetzliche Rentenversicherung kein Solidarsystem ist. Einerseits sind die staatlichen und gesellschaftlichen Eliten nicht eingebunden, andererseits haben sie aber alle Sozialfälle, für die eigentlich der Staat als Ganzes zuständig ist, zur Abwicklung in diese Systeme abgeschoben. Im Rentenrecht von 1957 war festgelegt, dass zur Finanzierung dieser versicherungsfremden Leistungen den Rentenversicherungsträgern für 1957 31,9 Prozent der Rentenausgaben als Bundesmittel zur Verfügung gestellt werden.

Schon für das Jahr 1958 wurden diese fälschlicherweise
als Bundeszuschuss bezeichneten Mittel nicht wie vorgesehen angepasst, sondern auf 29,6 Prozent gekürzt, und damit Liquidität zugunsten des Bundeshaushalts bei den RentenversiADGcherungsträgern abgeschöpft.

7) Ausgehend von den Zahlen, die der VDR (heute DRV) von Zeit zu Zeit veröffentlicht hat, hat der Bund seit 1957
bis einschließlich 2008 in keinem einzigen Jahr die Finanzierung dieser versicherungsfremden Leistungen in
vollem Umfang übernommen. Es hat fast 30 Jahre gedauert, bis der VDR 1985 zum ersten Mal Berechnungen über den Anteil der versicherungsfremden Leistungen an den Rentenausgaben durchgeführt hat, Ergebnis: 35,4 Prozent! (s. Anlage).

Das heißt, es gibt hier seit mehr als 50 Jahren einen
Schattenhaushalt des Bundesfinanzministers, der allein aus Versichertenbeiträgen gespeist wird und der so im Grundgesetz nicht vorgesehen ist. (s. Anlage)

8) Wie groß dieser Schattenhaushalt heute insgesamt ist, zeigen die Aussagen der fünf „Wirtschaftsweisen“ bei der Vorlage ihres Berichts an die Bundesregierung im November 2005. Wie Professor Rürup gegenüber der Financial Times Deutschland (FTD am 10.11. 2005 (s. Anlage)) und Professor Bofinger gegenüber dem Spiegel (Der Spiegel vom 14.11.2005, S. 68 ff. (s. Anlage)) bestätigt haben, müsste der Bund jährlich zusätzlich 65 Milliarden Euro aufbringen, um die versicherungsfremden Leistungen in Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung vollständig aus Bundesmitteln zu finanzieren. Schon 1994 hatte der damalige Präsident des VDR, Professor Ruland, darauf hingewiesen, dass der Bund 100 Milliarden DM zu wenig zahlt (VDR- aktuelles Presseseminar in Würzburg am 21./22.11.1994: Die versicherungsfremden Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung (s. Anlage)). Zitat: „Die Problematik der der Sozialversicherung aufgebürdeten versicherungsfremden Leistungen bekommt zunehmend eine
politische Dimension. Das liegt zum einen an den Summen,um die es geht. Das Institut der Deutschen Wirtschaft stellt hierzu fest, dass Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung für die versicherungsfremden Leistungen pro Jahr mehr als 170 Milliarden DM aufwenden
müssen. Der Bund beteilige sich daran aber nur mit 70 Milliarden DM, auf den restlichen 100 Milliarden DM bleiben mithin die Beitragszahler sitzen, also Arbeitnehmer
und Arbeitgeber.

Würden auch die restlichen 100 Milliarden DM über Steuermittel und nicht aus Beiträgen finanziert, könnten – so das Institut – die Beitragssätze zur Sozialversicherung
um mehr als acht Prozentpunkte gesenkt werden. Da sich daraus für die Versicherten und ihre Arbeitgeber ergebende
Entlastung würde zwar – allerdings nur zu einem Teil – durch höhere Steuern verloren gehen. Die dennoch verbleibenden ordnungspolitischen Argumente sind zum anderen aber so eindeutig, dass die Forderung zwischen
Steuer- und Beitragsfinanzierung klar zu differenzieren, endlich realisiert werden muss. . . . . Es besteht keine personelle Identität zwischen Beitrags- und Steuerzahlern.“ (Zitat Ende)

Das,das Problem dieses verfassungswidrigen Schattenhaushalts ist nicht neu. Hier findet seit Jahrzehnten eine gigantische Umverteilung zu Lasten von Arbeitnehmern und Rentnern hin zu den staatlichen Eliten statt. Das erklärt wohl auch, dass der Gesetzgeber immer
noch davor zurückscheut, hier endlich die eigentlich zwingend notwendige Transparenz zu schaffen. Jeder Hausverwalter, der so mit den ihm treuhänderisch anvertrauten Geldern umgehen würde, hätte ganz schnell ein Problem, zu Recht.

9) In ihren Entscheidungen zum Rentenrecht verweist die Sozialgerichtsbarkeit regelmäßig auf die Sicherstellung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung. Da alle Altersbezüge, ob Renten, Bezüge aus berufsständischen Versorgungen oder Pensionen, von der jeweils berufstätigen Bevölkerung erwirtschaftet werden müssen, heißt das, dass sich die Bundesrepublik für Arbeitnehmer und Rentner offensichtlich nicht ebenso viel Rechtsstaatlichkeit leisten kann oder leisten will wie für andere Bürger, allein aus finanziellen Gründen. Das wäre eine Bankrotterklärung des demokratischen Rechtsstaats.

10) Seit der Rentenreform 1978 hat der Gesetzgeber regelmäßige rückwirkende Eingriffe in bereits nach Recht und Gesetz erworbene Ansprüche der Versicherten vorgenommen und nimmt sie noch vor. Das ist rechtlich weder in der berufsständischen Versorgung noch in der Beamtenversorgung zulässig und hat dazu geführt, dass sich das Rentenniveau im Vergleich zur allgemeinen Einkommensentwicklung und im Vergleich zur berufsständischen bzw. Beamtenversorgung in diesem Zeitraum etwa halbiert hat. Ab diesem Zeitpunkt kommt das Zwei-Klassenrecht bei der Altersvorsorge der erwerbstätigen Bevölkerung endgültig zum Tragen, mit verheerenden Auswirkungen insbesondere auf Neurentner.Zwei willkürliche politische Entscheidungen nach 1945 müssen endgültig dafür herhalten, ein Zwei-Klassenrecht zu begründen, das nicht nur gegenArt. 1 und 3 u.a. GG,
sondern auch gegen Art. 1 und 7 der allgemeinen Menschenrechte verstößt.

Der Vergleich, besonders mit den berufsständischen Versorgungssystemen, ist hier auch deshalb gerechtfertigt,
weil nach § 6 Abs 1 SGB VI eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung
nur zulässig ist, wenn die Betroffenen in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung einkommensbezogene
Beiträge bis zur Beitragsbemessungsgrenze zahlen und gegebenenfalls auch eine Erwerbsminderungs- oder eine Hinterbliebenenrente gezahlt wird.

11) Wie das BSG ausführt, „müssen Eingriffe in rentenrechtliche Anwartschaften allerdings einem Gemeinwohlzweck dienen und verhältnismäßig sein.“ Der Gemeinwohlzweck kann schon deshalb nicht gegeben sein,weil einerseits nur die Versicherten der gesetzlichen Rentenversicherung betroffen sind, andererseits aber nicht nur die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern gleichermaßen auch die Renten der berufsständischen Versorgung und die Pensionen von der jeweils erwerbstätigen Bevölkerung erwirtschaftet werden müssen.

12) Der Hinweis, dass die Anrechnungszeiten für den
Schul- und Hochschulbesuch nicht auf eigenen Beitragsleistungen beruht, muss man differenzierter sehen.
Erstens hat der Kläger mehr als 20 Jahre lang Beiträge unter der Voraussetzung des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) gezahlt. Diese Auffassung wird auch von Professor Dr. Hans-Jürgen Papier in der FAZ vom 11.06.2001, S. 12 – „Das Rentenversicherungsrecht vor dem Grundgesetz“ – vertreten.
Zitat: Der Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung ist so kalkuliert, dass auch das Risiko der Hinterbliebenenschaft abgedeckt ist.“ Das gilt selbstverständlich auch für die im AVG verbindlich festgelegten Anrechnungszeiten für den Schul- und Hochschulbesuch. Zweitens: der Wohlstand unserer Gesellschaft beruht ganz wesentlich auf der Exportwirtschaft. Durch entsprechend akademisch qualifizierte Mitarbeiter schaffen Unternehmen Produkte, die auch ins Ausland verkauft werden. Dadurch entstehen auch entsprechend gut bezahlte Arbeitsplätze für alle anderen Arbeitnehmer. Von dieser Wertschöpfungskette
profitiert die gesamte Gesellschaft.

Das heißt aber auch, dass die Gesellschaft ein vitales Interesse daran haben muss, dass junge Menschen für ein Studium auf die Möglichkeit verzichten, möglichst frühzeitig Geld zu verdienen. Aus diesen Fakten und Argumenten ergibt sich folgendes: - Die §§ 149 Abs. 5 und 300 Abs. 1 SGB VI sind mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Die Aussage in § 149 Abs 5, dass bei Rechtsänderungen die früheren Feststellungsbescheide mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben sind, gab es im AVG nicht, sie kam erst mit dem ersten SGB III-Änderungsgesetz vom 16. Dezember 1997, Artikel 5, ins SGB VI (BGBl. I S. 2970). Im Vertragsrecht wäre ein derart
gravierender einseitiger Eingriff undenkbar. Das gilt auch für den § 300 Abs 1, der zum ersten Mal 1992 im neuen SGB VI aufgetaucht ist. Das bedeutete eine drastische
Verschlechterung allein der gesetzlich Rentenversicherten.

- Alle Rechtsänderungen imAVG und im SGB VI, insbesondere
soweit sie rückwirkende Eingriffe zu Lastender Versicherten in bereits nach Recht und Gesetz erworbene Ansprüche aus Ausbildungszeiten beinhalten, sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Das sind im vorliegenden Fall im Einzelnen: - Rentenversicherungsänderungsgesetz vom 9.6. 1965 (BGBl. I, S. 476) § 36 AVG: Beginn der Anrechnung von schulischen Ausbildungszeiten erst ab dem vollendeten 16. Lebensjahr, vorher ab vollendetem 15. Lebensjahr (ab 01.01.1966) - Rentenversicherungsänderungsgesetz vom 27.6. 1977 (BGBl. I, S. 1040) § 32a AVG: Begrenzung der Bewertung von schulischenn Ausbildungszeiten auf umgerechnet 0,0833 Entgeltpunkte (EP) pro Monat (1 EP pro Jahr), vorher Bewertung nach Tabellen, die für Hochschulabsolventen die jeweilige Beitragsbemessungsgrenze zugrunde legten.

- Rentenreformgesetz 1992 vom 18.12.1989 (BGBL. I, S. 2261) § 58 SGB VI: Die Anzahl der maximal anerkannten schulischen Ausbildungszeiten wurde auf 7 Jahre begrenzt, vorher bis zu 4 Jahre für Schul-, bis zu 4 Jahre für Fachschul- und bis zu 5 Jahre für Hochschulbesuch. § 74 SGB VI: Die Bewertung wird auf 75 % der Gesamtleistungsbewertung begrenzt, maximal auf 0,0625 EP pro Monat (0,75 EP pro Jahr).

- Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25.9.1996 (BGBl. I, S. 1461) § 58 SGB VI: Die maximal anerkannten schulischen Ausbildungszeiten werden auf 3 Jahre begrenzt, berücksichtigt werden nur noch Zeiten ab dem vollendeten 17. Lebensjahr.
Mit freundlichen Grüßen

Link: Rentenklau: 524.775 Milliarden Euro fehlen
Quelle: ADG - Forum, Ausgabe Juni 2010 Seite 4 von 8